Die neuen Fesseln der Wissensarbeiter
Arbeit ohne festen Arbeitsplatz
Das Bild des Menschen wandelt sich
Wie weitreichend werden diese Veränderungen sein?
Ulrich Klotz: Wenn sich Kommunikationsformen ändern, dann wandelt sich das Fundament einer Gesellschaft. Wenn sich die Art und Weise verändert, wie Menschen ihre Fähigkeiten verbinden und weiterentwickeln, dann wirkt sich das auf jeden Aspekt unseres Denkens aus: Wahrnehmung, Gedächtnis, Sprache, Vorstellungsvermögen, Kreativität, Urteilskraft, Entscheidungsprozesse und vieles mehr.
In der neuen Gesellschaft wird nicht nur Arbeit neu definiert. Auch das Bild des Menschen wandelt sich. Wenn Menschen nicht mehr wie Maschinenteile arbeiten müssen, dann zählt das, was uns von Maschinen unterscheidet: Kreativität, Emotionen und Intuition. Menschen können Informationen in Bedeutung und Erfahrungen in Wissen verwandeln, das kann man Computern (noch?) nicht beibringen – wie auch unsere Fähigkeit, intelligent mit Unvorhersehbarem umzugehen. Weil wir künftig mehr kreative Individuen brauchen als brave, angepasste Ausführer, müssen wir vor allem unser industriegeprägtes Bildungssystem radikal umkrempeln. Fleiß, Ausdauer und das Erlernen von Fertigkeiten allein reichen nicht mehr, denn irgendwo wird irgendwer immer noch fleißiger sein. Im Wettbewerb von morgen zählen vor allem gute Ideen.
Hier ist Eile geboten, denn die soziale Kluft zwischen den Gewinnern und Verlierern dieses Strukturwandels wird immer größer. Die zunehmende Spreizung bei den Einkommen ist eine direkte Folge der Informatisierung in der Arbeitswelt. Kolonnenhafte Vervielfältigungsarbeiten werden mehr und mehr technisiert und / oder in andere Länder verlagert. Auf der anderen Seite werden kreative Unikat-Arbeiten immer bedeutsamer und besser bezahlt, hier ist das Einkommen aber oft nicht mehr an Arbeitszeit etc. gekoppelt. Denken wir an einen Romanautor: Um erfolgreich zu sein, kommt es nicht darauf an, wie schnell er wie viele Zeilen schreibt, sondern wie gut seine Ideen sind. Ideen von heute sind das Geld von morgen. Bei allen Gütern, die man digitalisieren kann, zählt nur die Idee, das Design oder die Entwicklung – also ein Unikat. Die Vervielfältigung und weltweite Verteilung des Endprodukts, also das, was heute noch Industriearbeit ist, übernimmt die Technik.
Ist das Ende der Industriegesellschaft gekommen?
Ulrich Klotz: Die Produktion materieller Güter wird nicht verschwinden, genauso wenig wie die Landwirtschaft beim Übergang zur Industriegesellschaft verschwunden ist. Doch in allen hochentwickelten Ländern wird Innovation und Wertschöpfung mit immateriellen, digitalisierbaren Geistesprodukten immer wichtiger. Das gilt auch bei Industrieprodukten – bei Mobiltelefonen, aber etwa auch bei Autos kommt es mehr und mehr auf die Qualität der Software und des Designs an. Wer auf diesen Feldern nicht ganz vorne mitspielen kann, wird auch bei der Produktion von materiellen Gütern existenzielle Probleme bekommen.
Wir Europäer müssen verdammt aufpassen, um nicht im Zangengriff zwischen innovativen US-Hightech-Konzernen und nachrückenden asiatischen Massenproduzenten zerquetscht zu werden. Dafür müssen wir den Ideenreichtum der gesamten Gesellschaft zur Entfaltung bringen. In unserer starren Arbeitswelt liegen viele Fähigkeiten brach, weil Menschen hier oft nicht das tun dürfen, was sie können und wollen. Wir vergeuden heute viel mehr menschliche Potenziale, als wir nutzen. Diese Verschwendung können wir uns in Zukunft nicht mehr erlauben.
Ulrich Klotz ...
... befasst sich schon seit Jahrzehnten mit der Zukunft der Arbeit. Nach Stationen in Computerindustrie und Maschinenbau sowie Arbeitswissenschaften bearbeitete der studierte Informatiker ab 1987 im Vorstand der IG Metall die Themen-Forschungs- und Innovationspolitik, Informationstechnik und Zukunft der Arbeit.
Neben Lehraufträgen an den Universitäten Bremen, Hamburg und Hannover hatte Klotz eine Stiftungsprofessur an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main inne.
Als Beirat und Gutachter für das Bundesbildungsministerium begleitete er Forschungsprogramme zum Thema „Arbeit und Innovation“ und war zuletzt Mitglied der Expertengruppe „Zukunft der Arbeit“ im Bundeskanzleramt.