Reflexionsmethoden
Denken für Fortgeschrittene
- Was charakterisiert Reflexion?
- Reflexionsmethoden
- Ziele der Reflexion
Wer verlässt schon gerne frustriert und ratlos eine eskalierte Besprechung. Nach einem so erlebten Arbeitsalltag erlaubt die Reflexion Abstand zu gewinnen. Stellen Sie sich vor, Sie klettern auf einen Turm. Oben auf der Aussichtsplattform ist ein Fernglas aufgebaut. Logisch verleitet dieses zum In-die-Ferne-Schauen. Mit dieser Vorstellung können Sie den Tag oder Situationen nachbetrachten sowie Gründe für gescheiterte Gespräche hinterfragen.
Es lohnt sich deshalb das Können der Reflexion einmal genauer aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Projekt-Meeting das plötzlich eskaliert - schlimmer noch, die Besprechung crasht sogar. Schnell sind erste Schuldige ausgemacht: Komplexität und Termindichte waren verantwortlich! Sicher trivial, aber auch zu leicht den Zeigefinger immer auf andere Gründe zu richten. Hätten wir selbst den Crash abwenden können? Ja!
Reflexion - Definition
Reflektion - eine Falschschreibweise, meint der Duden. Richtig ist aus dem Französischen: Reflexion. Die Dudenredaktion stuft Reflexion sogar als rechtschreiblich schwieriges Wort ein. Was aber ist Reflexion und was unterscheidet Denken von Reflektieren? Unsere Gedanken sollten organisiert sein, um zu einem sinnvollen Ganzen zusammengesetzt zu werden. Damit wird unser Handeln unterstützt. Die Ursachen und Wirkungen unseres Tuns werden entdeckt.
Grundsätzlich ist die Fähigkeit zu reflektieren ein Teil unserer Willenskraft. Noch etwas konkreter bedeutet Reflektieren, dass wir uns gedanklich auf eine Metaebene begeben. Praktisch können Sie sich vorstellen, Sie betrachten eine Situation mit Ihrem Verhalten, den Emotionen und Motive aus einer Tribünenperspektive. Das eigene Handeln wird besser wahrgenommen, um in Situationen wünschenswerter zu reagieren oder ein Ziel im Fokus zu halten.
Jet-Piloten nutzen dafür beispielsweise den Begriff Situational Awareness und bezeichnen damit den Zustand, sich seiner Umgebung zutreffend bewusst zu sein, manchmal auch den Prozess, einen solchen Zustand zu erreichen. Die Philosophen sagten, Reflektieren helfe systematisches Wissen zu erwerben. Eine erste Konzeptualisierung erfuhr der Begriff 1997 im Spannungsfeld der Reformpädagogik und traditionellen Pädagogik für den sinnvollen Umgang mit den Erfahrungen.
Dagegen ist das Denken ein stiller, mentaler Prozess zur reinen Informationswahrnehmung und -verarbeitung. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass das Denken lediglich mental stattfindet und somit nicht wirklich fassbar ist. Grundsätzlich lassen sich alle Vorgänge hierunter zusammenfassen, die eine geistige und innere Beschäftigung umfassen. Die Bewertung unserer Gedanken wiederum gewichten Beobachtungen sofort und immer. Dies führt dazu, dass die freie Betrachtung der Fakten keine Chance hat. Also ist diese Art der gedanklichen Bewertung auch keine klassische Reflexion.
Bleiben wir beim obigen Beispiel der eskalierten Projektbesprechung. Für das erlebte Meeting ist demnach die Auseinandersetzung mit der Frage: "Was war der Auslöser für die Eskalation im Projekt-Meeting?" gewinnbringend. Mit dem Erkennen dieser "Bruchstelle", entstehen Lösungsansätze. Die Aufmerksamkeit wird wie eine Lupe auf den eigenen Rückblick gelenkt. Im wahrsten Sinne des Wortes ein Hineinschauen, ohne zu bewerten. Deshalb der synonym verwendete Begriff der Selbstreflexion.
Reflektieren kann uns beruflich wie privat für Zusammenhänge und Lösungen sensibilisieren. In agilen Organisationsstrukturen helfen gute Reflexionsgespräche beispielsweise Prozess- oder Produktentwicklungen zu beschleunigen. Psychologisch markiert das Reflektieren Methoden und Prozesse im Zusammenhang mit Denken, dem Lernen unserer Wahrnehmung, der Problemlösung sowie eine Analyse aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Reflexionsfragen erlauben ein besseres Verstehen unserer Bewusstseinsebenen und Reflexionsgespräche machen Emotionen, Motive und auch Hindernisse sichtbar.
Die Digitalisierung beschleunigt allerorts die Informationsflut und sorgt für unsere gestresste Gedankenwelt. Hier können wir mit Abstand und Ruhe wieder mehr Souveränität erlangen. In diesem Wunsch nach Ruhe stehen Achtsamkeit und Grundsätze des Buddhismus hoch im Kurs. Der Buddhismus rückt Reflexion als zentrale Fähigkeit der Gedankenkontrolle in den Mittelpunkt.
Mit etwas Ruhe nach dem eskalierten Meeting kann demnach auch die Frage: "Was wäre einem wünschenswerten Verhalten durch mich oder die Alternative gewesen?" hilfreich sein. Jedes Verhalten, auch unser eigenes, beeinflusst eine Situation. Die Aufmerksamkeit liegt auf dem Erkennen der sachlichen Fakten und der Geschehnisse. Genaues Verstehen erlaubt weniger Stressempfinden als Nicht-Verstehen.
Lesetipp: Zielerreichung - Werden Sie zum Shaolin!
Reflexion - Ziele und Voraussetzung
Der Lohn der Reflexion: Sie gewinnen Lösungsorientierung für Verbesserungen und vermeiden Sackgassen. In unserem Beispiel bleibt die Projektbesprechung lösungsorientiert, erhält eine erweitere Perspektive und bleibt nicht als spürbare Niederlagen haften. Denn die wertfreie Betrachtung ist Lernpotenzial und keine Summe aus Fehlern, da ihr Denken stets umsetzungsstark und veränderungsbereit bleibt. Selbstregulierung entlastet aber auch, da Reflektieren aus Eile Weile macht und Stress und Belastung dadurch steuerbar werden.
Folgendes Zitat ist ein guter Gradmesser für den Start zum prüfenden Denken, dem Reflektieren: "Was Dich hierhergebracht hat, bringt Dich nicht weiter" (M. Goldsmith). Dieses Zitat ist mir vor Jahren in Form eines Buches begegnet. Fühle ich mich in einer Sackgasse oder stehe ich an einem schwierigen Punkt, gibt mir diese Aussage das Startsignal zur Reflexion.
Oft kündigen sich schwierige Situation, wie in der anfangs erwähnten Projektbesprechung mit Warnsignalen oder Vorboten an. Sie sind eine wichtige Voraussetzung im Reflexionstraining. Vorboten helfen ein wünschenswertes Nachjustieren zu erkennen und warnen vor heiklen Verhaltensmustern. Allerdings werden Vorboten oft schlichtweg übersehen, weil wir uns nie selbst in diesem Sinne beobachten.
Aufkommender Ärger, bestimmte Situationen oder Gedanken wie: "Schaffe ich das …" können Vorzeichen sein. Dann gilt es auf die Bremse zu treten und in den Rückspiegel zu schauen. Bleiben Sie wachsam für solche Vorboten! Hat sich die Eskalation der Projektbesprechung etwa angekündigt? Haben bestimmte Vorboten und Warnsignale den Crash vorausgesagt?
Unabdingbar für das Reflexionstraining ist aber auch die Offenheit für die eigene Verbesserung, um aus Erfahrungen konkret zu lernen. Diese Bereitschafft macht die Reflexionsfähigkeit, prüfendes, beobachtendes Denken erst möglich. Geduld mit sich selbst stellt für mich einen weiteren Erfolgsfaktor für das effektive Üben der Reflexion dar. Vergleichbar den Sprints in der Agilität. Zu gerne rettet uns der alte Trott in stressigen, komplexen oder unsichereren Situationen mit Automatismen und mit nicht bewusstem Handeln. Reflektieren Sie also in kleinen Schritten.
Reflexionsmethoden - Training und Umsetzungshilfen
Reflexion können Sie trainieren und sofort umsetzen. Folgende Reflexionsmethoden unterstützen diese wichtige Fähigkeit:
Das Perspektivenrad: Notieren Sie den Reflexionspunkt mit einer Ich-Formulierung in die Mitte eines Zettels, zum Beispiel: Ich ärgere mich über den Stillstand der Produktentwicklung! In die vier Ecken rund um die Aussage, werden nun die unterschiedlichen Perspektiven geschrieben:
Fakten: neutrale Informationen, Zahlen, Daten, Hintergründe. Ohne emotionale Äußerungen.
Emotionen: Zweifel, Unsicherheiten, Begeisterung, Freude.
Optimismus: Vorteile oder Möglichkeiten.
Kreativität: Hier wird quergedacht und assoziiert, etwa Phantasie und Chancen.
Blickrichtung ändern: Haben Sie in der Familie am Esstisch oder im Meeting am Besprechungstisch schon einmal regelmäßig die Sitzordnung verändert? Ihre Kommunikation und die Eindrücke verändern sich unwillkürlich. Neue Blickwinkel tun sich auf und beeinflussen das Geschehen sofort.
Erzählerperspektive einnehmen: Gönnen Sie sich fünf Minuten an einem bequemen Ort. Zoomen Sie sich in die Sichtweise des Gesprächspartners, des Familienangehörigen oder des Meeting-Teilnehmers. Was berichtet er über sein Erleben in Ihrer Situation. Schreiben Sie seine Reflexion, die Geschehnisse auf einen Zettel. Wie wirkten Sie auf Ihn? Was dachte er? Warum war diesem ein Punkt besonders wichtig?
Der Drachenflug: Knien Sie sich bequem auf den Boden. Richten Sie den Oberkörper auf und beugen diesen leicht nach vorne. Halten Sie die Spannung 30 bis 60 Sekunden und breiten die Arme rechts und links wie Flügel aus. Nach kurzer Zeit werden Sie erleben, dass sich der Abstand zu Ihrem Fixpunkt auf dem Boden vergrößert. Sie gewinnen buchstäblich Abstand zu einer Situation oder dem Tag. Mit Ihrem Drachenflug gewinnen Sie die Retroperspektive und einen guten Überblick. Übrigens kann der Drachenflug, eine überraschende Einlage in einer Mini-Pause oder in einem hitzigen Meeting, wie zu Beginn der eskalierten Projektbesprechung sein.
Für mich ist Reflexion Denken für Fortgeschrittene und steigert die Lebensqualität.Mehr Handlungsfähigkeit und Performance ist das Plus. Sie sind der Fluglotse in Ihrem Flug. Geben Sie Ihren Gedanken einen konkreten Plan. Minimieren Sie Stress-Momente und steigern Sie Ihre Gelassenheit. (bw)