"External Peer Reflection"
Der Kollege ist der Coach
Fünfundzwanzig Senior Manager, fünf Firmen, ein Team: Ohne Angst vor Konkurrenz tauschen sich Führungskräfte aus und coachen sich gegenseitig. Das Prinzip der "External Peer Reflection", entworfen von der Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH (BSH), ist wohl einzigartig.
Das Programm, das Personalleiterin Andrea Mehde bereits 2008 entwickelt hatte, sollte damals ein neues Element in die Führungskräfte-Entwicklung bringen. "Der Gedanke dahinter war eigentlich erst mal ein Luxusproblem: Die Fluktuationsquote im Führungsbereich liegt bei uns bei 0,9 Prozent", erzählt Mehde über die Entstehung. "Das ist zwar schön - allerdings läuft man so Gefahr, im eigenen Saft zu schmoren." Ein neues Programm musste her, das nicht den alten Seminaren ähnelte.
Ihr eigenes Mentoring-Programm brachte die Lösung. "Ich habe immer noch einen Mentor aus einer anderen Firma und hatte dadurch Einblick in eine andere Unternehmenskultur", erzählt sie. Für sie ein großer Vorteil: "Wegen der anderen Lösungswege beginnt man, die eigene Herangehensweise zu hinterfragen." Mehde beschloss, das Prinzip Mentoring-Programm auf das obere Management zu übertragen. Die "External Peer Reflection" war geboren.
Fünf Firmen, ein Programm
Insgesamt beteiligten sich fünf Firmen am Programm: BSH, Münchner Rück, BMW, der Technologie-Konzern Giesecke & Devrient und der Gerätehersteller Andreas Stihl GmbH. Über die Geschäftsführer, die sich untereinander kannten, sei der Kontakt zustande gekommen. Überhaupt ist Sympathie eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das Programm funktioniert. "Gleichzeitig ist es wichtig, dass sich die Unternehmenskultur ähnelt. Es sollten international agierende Firmen sein, die aber deutsche Wurzeln haben", sagt Mehde.
Auch die unterschiedliche Größe der Unternehmen war der Personalerin wichtig. Zudem sollten die Unternehmen schon aus kartellrechtlichen Gründen aus verschiedenen Branchen kommen, durften aber nicht zu unterschiedlich sein. "Die Auswahl der Unternehmen ist wirklich der Knackpunkt", sagt die Personalerin. Zusätzlich haben alle Firmen ein "Anti-Abwerbe-Abkommen" unterschrieben. Keiner der Teilnehmer soll zu einem Coaching-Kollegen ins Unternehmen abwandern. "Aber in all den Jahren ist da noch nie etwas aufgekommen", kann Mehde beruhigen.
Keine Angst vor Abwerbern
Dass sich ein teilnehmender Manager so etwas traut, hält auch Ralf Alkemade von der Andreas Stihl GmbH für unwahrscheinlich. "Damit wäre das Programm sofort am Ende", meint er. Das Vertrauen der Unternehmen, die Basis der "External Peer Reflection", wäre sofort zerstört. "Kein Personalmanager würde dieses Risiko eingehen", sagt er. Alkemade war im ersten Jahrgang 2008 mit dabei - und hat sehr von dem ungewöhnlichen Programm profitiert.
Den größten Vorteil sieht der ehemalige Teilnehmer Alkemade darin, dass sein Sparringspartner einen anderen Blickwinkel auf seine Problemstellungen hat. "Da der Kollege aus einer völlig anderen Organisation kam, war das ideal. Ich konnte mit ihm zum Beispiel Personalthemen diskutieren, die ich intern natürlich nicht platzieren konnte, weil die handelnden Personen hier bekannt sind", berichtet Alkemade. Einfach mal mit jemandem über Führungsthemen sprechen, der weder den eigenen Chef, noch die Mitarbeiter kennt, dazu in lockerer Atmosphäre - nur wenige Manager haben diesen Luxus.
Vertrauen ist alles
Gegenseitiges Vertrauen ist sehr wichtig: "Die Chemie spielt eine sehr wichtige Rolle. Sie muss stimmen, damit Vertrauen entstehen kann", sagt Mehde. "Ich zeige meinem Gesprächspartner meine Situation im Detail auf", sagt Alkemade. Nur so kann der Partner die Situation auch nachvollziehen. "Das heißt aber auch, dass ich mich einem Fremden gegenüber öffnen muss." Darin sieht Alkemade allerdings auch den einzigartigen Vorteil des Programms. "Sich einem Dritten gegenüber öffnen zu können, ohne persönliche Nachteile fürchten zu müssen: das ist der Schlüssel an dem Programm." Das Vertrauensverhältnis sei auch nicht enttäuscht worden.
Fünf Manager sollt ihr sein
Stets sind fünf Teilnehmer in einem Team, wobei die Sparten bunt gemischt sind: Marketing-Leiter und Vertriebler sollen zusammen mit IT-Leitern ihre Angelegenheiten besprechen. Dass in diesem Fall ITlern gegenüber eine gewisse Reserviertheit herrschte, musste Alkemade schon bei der Gruppenbildung erfahren. "Am Ende war ich mit einem anderen IT-Bereichsleiter im Team", erzählt er lachend.
Dass er sich "nur" mit einem anderen IT-Experten gegenseitig coachte, sei für ihn dann letztendlich allerdings ganz vorteilhaft gewesen, erzählt Alkemade. "Schließlich hatten wir beide dieselben Erfahrungen, aber eben einen anderen Hintergrund", sagt er. Dennoch rät er dazu, sich lieber einen Fachfremden zu suchen, etwa einen Controller. "Die Controller haben ja eine stark ertragsorientierte Sicht, das ist für einen ITler nicht selbstverständlich", meint er.
Kollegiale Supervision
Das Prinzip der kollegialen Supervision steht über dem ganzen Programm. "Es ist weder ein Mentorenverhältnis, noch sollen die Teammitglieder einfache Ratschläge erteilen", erklärt Mehde. Es gehe vielmehr darum, Senior Manager auf Augenhöhe zusammen zu bringen. Der Teamkollege soll durch gezieltes Nachfragen zu einer eigenen Lösung kommen. "Das ist natürlich am Anfang schwierig, sich an die richtige Fragetechnik heranzutasten", sagt Mehde.
Habe eine Führungskraft einen ähnlichen Fall erlebt, könne er zwar seine Lösungsmöglichkeit vorstellen - allerdings sei nicht jeder Fall gleich und nur durch genaues Nachfragen könnten die Unterschiede herausgearbeitet werden. "Der Kollege sagt einem, wie man auch auf die Sache blicken könnte", sagt Alkemade. Es ist eine Außensicht und eine Meinung, mehr aber nicht. "Wir haben in unseren Treffen auch Führungsthemen besprochen. Warum sind gewisse Zustände oder Prozesse so, wie sie sind, was sind meine Zielsetzungen, wie gehe ich mit bestimmten Situationen oder Mitarbeitern um", erläutert Alkemade.
Wer ist hier der Coach?
Auch die KarriereKarriere soll durchaus thematisiert werden. "Es soll zum Beispiel um das Thema des Rollenverständnisses gehen. Was ist meine derzeitige Rolle und wie sieht meine Rolle in der Zukunft aus?", sagt Mehde. "Schlussendlich coachen sich die Kollegen gegenseitig." Alles zu Karriere auf CIO.de
Wie häufig sich die Teilnehmer treffen, bleibt ihnen überlassen. Zwischen drei Mal im Jahr bis zu alle acht Wochen sei alles möglich. "Das kann auch während der Arbeitszeit geschehen", sagt Mehde. Schließlich würden dadurch betriebliche Abläufe verbessert, zudem träfe man sich ja nicht aus privaten Gründen.
Wer darf mitmachen?
Die Personalabteilung identifiziert Potenzialträger, die in Richtung oberstes Management entwickelt werden sollten. "Dabei haben wir auch sehr konkret das Ziel Stellenbesetzung im Auge", erklärt sie. Vor allem gilt dieses Prinzip auch für die IT-Abteilung, wo es meist nur einen CIO, aber häufig mehrere fähige Leute eine Ebene darunter gebe. Diese könnten naturgemäß wegen des Stellenmangels nur sehr schwer aufsteigen. "In der IT ist die Hierarchie flacher", sagt Mehde. "Daher haben wir aus der IT Leute identifiziert, die auch etwas anderes machen können. Wir wollen eben gezielt nicht nur den General Manager aus dem kaufmännischen Bereich fördern", erklärt die Personalleiterin. Die ITler sollten aber zur IT zurückkehren können, fügt sie hinzu.
Eher für erfahrene Manager
Nicht für jeden sei das Programm geeignet. "Ich würde in der Hierarchie-Ebene nicht zu weit runtergehen", rät Mehde. Schließlich würden auch sensible Informationen besprochen werden und zu junge Mitarbeiter hätten noch nicht genügend Erfahrung, was offengelegt werden dürfe und was nicht. "Nur weil man Führungskraft ist, heißt das nicht, dass man aufhören sollte, zu lernen", sagt Mehde. Nur funktioniert das Lernen hier eben anders.
Aufwand
Die Gruppengröße von fünf Managern je Firma habe sich als ideale Größe herausgestellt, erzählt Mehde. "Das ist aber schon die kritische Menge." Die Nachfrage könne sie damit nicht abdecken, denn inzwischen habe sich in den Firmen das Programm herumgesprochen und immer mehr Mitarbeiter wollten mitmachen. Bis jetzt haben 120 Teilnehmer das Programm durchlaufen. Das Feedback sei bis jetzt durchweg hervorragend gewesen, sagt Mehde.
Für die Personalabteilung sei der Aufwand gering, meint Mehde. "Nur in der Entwicklungsphase gab es viel zu tun." Die Auftakt- und Abschlussveranstaltung sei auf einen Tag gelegt, sodass die Personaler nur einmal anreisen müssten. "Sehr effizient", lacht Mehde. Während der insgesamt drei - eine Zwischenveranstaltung findet nach jeweils drei Monaten statt - Veranstaltungen seien die Manager ohnehin unter sich. "Die fünf Unternehmen teilen sich die Kosten - das ist aber nur ein netter Nebeneffekt", sagt Mehde.
Nachhaltiges Lernen
Das Vertrauen zu den eigenen Führungskräften und zu anderen Firmen lohnt sich: Die "External Peer Reflection" ist nachhaltig. "Es hat sich herausgestellt, dass sich noch immer zahlreiche Gruppen treffen", sagt Mehde. Das aufgebaute Vertrauensverhältnis sei sehr gut. Auch Alkemade sieht in der Dauer des Programms einen großen Vorteil: "Das normales Coaching durch externe Berater ist oft nur ein Snapshot. Oft hat man ihn ja nicht längere Zeit als Begleiter", sagt er. Vielleicht macht dieses Programm Schule. Führungskräften kann ein wenig Austausch auf Augenhöhe nicht schaden. Alkemade würde jederzeit wieder am Programm teilnehmen und fügt hinzu: "Aus meiner Sicht war die Maßnahme ein voller Erfolg."