Emanzipation

Der neue Typ Mann

29.09.2014
Von Daniel Rettig

Emanzipation der Frauen, Freiheit der Männer

Diesen Eindruck gewinnt, wer in deutsche Wohnzimmer und Küchen blickt. Dort gibt es immer mehr Männer, die die Freiheiten nutzen, die ihnen die Emanzipation der Frauen gewährt. Die aus dem Korsett der Karriere ausbrechen und es sich im Windschatten ihrer Frauen gemütlich machen. Die Lieblingshobbys ausüben, Kinder versorgen und sich lang gehegte Träume erfüllen - während ihre Partnerinnen die Hauptverdiener sind.

Diese Männer empfinden die Rolle als Hausmann, Chauffeur oder selbstständiger Zweitverdiener nicht als Grund zur Sorge, sondern als Anlass zur Freude. Sie sehen sich nicht als Verlierer. Sondern als Gewinner.

"Wann ist ein Mann ein Mann?", fragte 1984 der Sänger Herbert Grönemeyer. Die Antwort ändert sich derzeit. Für Michael Meuser kein Zufall.

Der Soziologieprofessor der Technischen Universität Dortmund gilt als Deutschlands führender Männerforscher. Er macht für die neue Rollenverteilung vor allem drei Punkte verantwortlich. Zum einen kam mit der aktuellen Generation die Frauenbewegung auf und mit ihr die steigende weibliche Erwerbsquote: Etwa 70 Prozent aller deutschen Frauen gehen mittlerweile einer bezahlten Arbeit nach.

Zum anderen stieg die Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt - befristete Verträge sind nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) meldete, gab es im Jahr 2001 550.000 Arbeitsverträge, die ohne sachlichen Grund befristet waren. 2013 waren es schon 1,3 Millionen.

Außerdem änderten sich die ökonomischen Bedingungen: Einst genügte selbst in der Arbeiterschicht ein Einkommen, um die ganze Familie zu ernähren. Heute reicht auch in Mittelschichtfamilien ein Gehalt häufig nicht aus.

Wenn Männer eine Familie gründen, befinden sie sich in einem Spannungsverhältnis. Einerseits wollen sie für die Familie sorgen und Geld verdienen, andererseits ein guter Vater sein und Zeit für ihr Kind haben. Früher entschieden sie sich in dieser Situation meist für die Rolle als finanzielle Versorger. Doch heute haben bei Männern Kinderbetreuung und berufliche Selbstverwirklichung immer häufiger Vorrang vor dem Strampeln im Hamsterrad und der Rolle des Rabenvaters.

James Renier etwa ist mit seiner Rolle sehr zufrieden. Er war 1984 aus seiner Heimat Chicago nach Wien gezogen, um an der Universität für angewandte Kunst zu studieren. 1988 eröffnete er in Chicago seine eigene Galerie, doch 1994 zog er wieder zurück nach Wien. Zwei Jahre später verdiente er sein Geld als Tennistrainer.

Seine Schülerin Ursula Soritsch arbeitete damals als Projektmanagerin bei Philips Consumer Electronics. Die beiden verliebten sich und wurden ein Paar. Sechs Monate nach dem ersten Treffen sollte sie ins Philips-Hauptquartier nach Amsterdam wechseln. Ein Sprung auf der Karriereleiter, den ihr Mann unterstützte. Er begleitete sie in die Niederlande - wo er seine Passion für die Kunst auslebte.

Das Paar wohnte in einem großen Haus, Renier richtete sich ein Atelier ein, knüpfte Kontakte in der Kunstszene, stellte seine Werke aus, unter anderem im Museum van Bommel van Dam in Venlo. 2005 kam der gemeinsame Sohn zur Welt - Mutter Ursula ging ein halbes Jahr später wieder arbeiten, Vater James wechselte Windeln, kochte Brei, übernahm die Arzttermine.

Bereits ein Jahr danach bekam Reniers Frau das Angebot, für Philips Healthcare in der Nähe von Boston zu arbeiten. Der nächste Schritt auf der Karriereleiter, wieder ging Renier mit. Kümmerte sich um den Sohn, gab anderen Kindern Tennistraining. Und stand im Januar 2013 kurz davor, seinen Lebenstraum zu verwirklichen: unbedingt mal ein High-School-Tennisteam zu trainieren.

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