Riesen Ausschreibung
Deutsche Bahn vergibt 1,2 Milliarden spielerisch
- Wie viele Teilnehmer sich auf das glatte Eis der öffentlichen Ausschreibung gewagt haben
- Was für Tücken bei EU-weiten Ausschreibungen lauern
- Weshalb die die Bahn bei der Ausschreibung auf die Methode der Relativ-Bewertung gesetzt hat
- Wo Online-Auktionen an ihre Grenzen stoßen
"Streng nach Vergaberecht, aber dennoch dynamisch", so nennt Volker Muhr, Leiter der Beschaffung für IT-Dienstleistungen, seine EU-weite Ausschreibung "SMART ICT". 50 Rahmenverträge in sieben Vergaben hat die Deutsche BahnDeutsche Bahn damit seit Juli 2016 am Markt platziert. Insgesamt fließen in den nächsten acht Jahren 1,2 Milliarden Euro an IT-Dienstleister. Neben dem Volumen ist hierbei die Methodik besonders interessant. "Als Bahnkunde wollen Sie, dass Ihr Geld vernünftig eingesetzt wird - und nicht nach persönlicher Präferenz", sagt Muhr. Top-500-Firmenprofil für Deutsche Bahn
Um den Nasenfaktor auszuschalten, unterliegt die Bahn sowieso schon dem öffentlichen Vergaberecht. Bei Ausgaben von mehr als 418.000 Euro müssen die SchienenlegerSchienenleger obendrein europaweit ausschreiben, selbst wenn sie gar keine Schienen verlegen, sondern ServerServer verdrahten: Das Prozedere muss der seit April 2016 gültigen europäischen Sektorenverordnung genügen. Die "SektVO" für Verkehr, Trinkwasserversorgung und Energie verlangt Offenheit gegenüber international aufgestellten Bietern. Alles zu Server auf CIO.de Top-Firmen der Branche Transport
Außerdem soll mit ihr der Mittelstand gefördert werden. Damit kleinere Anbieter ohne breite fachliche Aufstellung eine Chance bekommen, durften sie sich bei den Ausschreibungen der Bahn zu Bietergemeinschaften zusammenschließen. "Diese Sichtweise kommt woanders öfter mal unter die Räder", meint Muhr.
200 Teilnehmer haben sich schließlich auf das glatte Eis der öffentlichen Ausschreibung gewagt. "So ein Vergabeprozess dauert üblicherweise sechs bis neun Monate und kostet natürlich Geld", betont Muhrs Mitarbeiterin Silvia Klick, die mittlerweile zur Spezialistin des europäischen Vergaberechts geworden ist. Als Einkäuferin bei der Schweizer Post und der Deutschen Bank hat sie es auch schon mit großen Aufträgen zu tun gehabt.
Aber europäische Vergabe ist noch mal eine besondere Nummer: Bieter und die EU-Kommission selbst ziehen gerne mal vor die Vergabekammer, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Selbst wenn sie damit die endgültige Vergabe an Konkurrenten nicht ändern, werfen sie dann die Ausschreibung um Monate zurück. "Bisher haben wir aber alle Klagen vor der Vergabekammer gewonnen", sagt Klick: "Das hat uns bei den Kollegen aus der IT Respekt verschafft."
Spieltheorie als Bewertungsbasis
Eine einzige Rüge haben sich Muhr und sein Team bis jetzt bei ihrer Mammut-Ausschreibung eingefangen. Insgesamt sei der Zwist aber ausgesprochen gering, angesichts der Zahl der Bewerber und angesichts der Tatsache, dass, wer jetzt keinen Auftrag bekommen hat, die nächsten acht Jahre auch keinen bekommt. "Wir haben fast nur gutes Feedback von den Anbietern erhalten", sagt Muhr. "Die meisten sind ausgesprochen zufrieden mit der Transparenz, die unser Verfahren bietet. Da wissen alle zu jedem Zeitpunkt, was von ihnen erwartet wird und wie es weitergeht."
Basierend auf spieltheoretischen Überlegungen hat die Bahn erstmalig eine sogenannte Relativbewertung eingesetzt. Diese berücksichtigt mehrdimensional sowohl den Preis als auch die fachliche Ausprägung eines jeden Bieters im Vergleich zu den Mitbewerbern - in Echtzeit. "Es geht hier ausdrücklich nicht um das billigste Angebot: Wer eine hohe fachliche Bewertung erreicht hat, konnte einen höheren Tagessatz anbieten", betont Muhr.
Klick hat dafür ein System mit der bahneigenen IT-Tochter Systel aufgesetzt: Experten - sogenannte Assessoren - aus der Systel und den Fachbereichen, wie zum Beispiel dem Fernverkehr, bewerten die Lieferanten. Teams aus zumeist drei Assessoren arbeiten sich anhand eines Fragebogens durch jedes spezielle Thema, zum Beispiel Middleware. Öffentlich machen, will Muhr diesen Fragebogen allerdings nicht. Nur so viel: "Wir haben eine Gewichtung zwischen Preis und Qualität", sagt Kollegin Klick.
Dynamik virtueller Verhandlungen
Alle Aktionen werden bei der E-Auktion überwacht und protokolliert. Neben der Effizienz entsteht eine Dynamik in den virtuellen Verhandlungen, die mit normalen Verhandlungen am Tisch mit einer großen Anzahl von Bietern nicht zu erreichen ist. Spieltheoretisch neu: In der ersten Runde hat die Bahn keine Rückmeldung gegeben, ob der Bieter einen Rahmenvertrag erhält. Auch hat sie keine Angabe gemacht, wie viele Mitbewerber dabei sind. "Der Sinn der Spieltheorie liegt ja darin, dass im Anfangsstadium Fragen offen bleiben", sagt Klick.
Das funktioniert allerdings nur, solange das Verfahren für alle noch neu ist. Andere große Ausschreiber wie zum Beispiel Siemens rücken bereits wieder von den spieltheoretischen Ansätzen ab, weil die Mitspieler sich auf die Regeln eines solchen Bieterverfahrens eingestellt haben.
Ein solches Verhalten lässt sich auch bei der Bahn beobachten: Am Anfang haben noch alle Anbieter gezittert, ob sie unter die ersten fünf und somit in die nächste Runde kommen. Aber die ersten Lieferanten haben das System der Vergabe schnell nachgebaut - und getestet, wann sie am besten welches Gebot abgeben. Ein Anbieter hatte sich so von vornherein auf ein Angebot festgelegt und sich auch nicht von den Konkurrenzangeboten durcheinanderbringen lassen.
"Anbieter, seid mutig"
Mit Abschluss der elektronischen Vergabe sehen schließlich alle Anbieter, ob sie einen Rahmenvertrag mit der Bahn gewinnen konnten oder in welchem der Cluster sie sich wiederfinden. Und auch die Unternehmen im Bahn-Konzern wissen dann, auf wen sie sich einstellen können. Zweieinhalb Jahre haben sie insgesamt darauf gewartet, bis das neue Verfahren getestet und etabliert war. Das klingt kompliziert - war es auch. Muhr will aber am Ende seiner Ausführungen unbedingt noch eine Botschaft platzieren: "Anbieter, seid mutig und registriert euch als Lieferant der Bahn."