Deutsche Wirtschaft bricht ein
Die Corona-Krise trifft Deutschland mit aller Wucht
Die Corona-Krise hat die deutsche Wirtschaft in eine Rezession gestürzt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte im ersten Vierteljahr gegenüber dem Vorquartal um 2,2 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in Berlin mitteilte. Der Rückgang sei im Quartalsvergleich der mit Abstand stärkste seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 und der zweitstärkste seit der deutschen Wiedervereinigung. Volkswirte sind überzeugt, dass damit das Schlimmste noch nicht überstanden ist.
"Obwohl die Ausbreitung des Coronavirus die Wirtschaftsleistung im Januar und Februar nicht wesentlich beeinträchtigte, sind die Auswirkungen der Pandemie bereits für das erste Quartal 2020 gravierend", stellten die Wiesbadener Statistiker fest. Ausgangsbeschränkungen, geschlossene Grenzen und Geschäfte brachten das Wirtschaftsleben ab Mitte März in großen Teilen zum Erliegen.
Technische Rezession droht
Die privaten Konsumausgaben und der Export brachen im ersten Vierteljahr ein. Unternehmen investierten deutlich weniger in Maschinen, Geräte, Fahrzeuge und andere Ausrüstungen. Gestiegene Bauinvestitionen und Konsumausgaben des Staates verhinderten den Angaben zufolge einen noch stärkeren Absturz.
Bereits im Schlussquartal 2019 war die Wirtschaftsleistung nach neuer Berechnung der Statistiker gegenüber dem Vorquartal um 0,1 Prozent zurückgegangen. Sinkt die Wirtschaftsleistung zwei Quartale in Folge, sprechen Ökonomen von einer "technischen Rezession".
Volkswirte rechnen damit, dass der Einbruch im zweiten Quartal noch heftiger ausfallen wird. Im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften in Europa sei Deutschland zwar bislang glimpflich davongekommen, bilanzierte der Chefökonom der VP Bank, Thomas Gitzel. Aber: "Die deutsche Volkswirtschaft hat ihr Armageddon erst noch vor sich. Im zweiten Quartal wird es das BIP umso härter treffen. In Anbetracht der Wirtschaftsdaten mag tatsächlich so etwas wie Endzeitstimmung aufkommen."
Volkswirte rechnen mit -14 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt
Der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft, Stefan Kooths, sprach mit Blick auf das erste Vierteljahr von einem "milden Vorboten eines noch deutlich größeren Einbruchs im zweiten Quartal". Auch Ifo-Konjunkturexperte Timo Wollmershäuser rechnet damit, dass ein Großteil der Auswirkungen erst im April zu Buche schlagen wird. "Der Rückgang der Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2020 zeigt bei Weitem noch nicht das wahre Ausmaß der Krise." Trotz der allmählichen Lockerung staatlicher Maßnahmen rechnen Volkswirte mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukt im zweiten Vierteljahr um bis zu 14 Prozent.
Die Forderungen nach einem staatlichen Konjunkturprogramm werden lauter. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Nachfrage aus dem Ausland nicht so schnell zurückkommt. Umso wichtiger ist es, die Nachfrage im Inland zu stärken", mahnte der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Claus Michelsen. "Ein kräftiger Impuls durch ein Konjunkturprogramm wird notwendig sein, um noch größeren Schaden abzuwenden."
Bundesregierung führt die Wirtschaft durch die Krise
Nach Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums wird sich der Rückgang der Wirtschaftsleistung im zweiten Vierteljahr zunächst noch verstärken. Im Verlauf des Quartals dürfte aber bereits die Erholung einsetzen. "Die Maßnahmen der Bundesregierung tragen hierzu bei. Dennoch wird sich der Erholungsprozess über einen längeren Zeitraum erstrecken." Die Bundesregierung hatte umfassende Hilfsprogramme auf den Weg gebracht, um die wirtschaftlichen Corona-Folgen abzufedern.
Im Gesamtjahr 2020 rechnet die Bundesregierung mit der schwersten Rezession der Nachkriegsgeschichte. Die Wirtschaftsleistung der größten Volkswirtschaft Europas dürfte demnach um 6,3 Prozent schrumpfen, obwohl es im zweiten Halbjahr wieder aufwärts gehen soll. In der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 war das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 5,7 Prozent gesunken.
Konsumklima auf historischen Tiefstand
Die weltweite Corona-Krise mit unterbrochenen Lieferketten belastet vor allem den Export, aber auch den privaten Konsum. Die Angst vor Kurzarbeit oder gar Arbeitsplatzverlust dämpft die Stimmung der Verbraucher. Das Konsumklima sank nach Angaben der Marktforscher der Nürnberger GfKGfK auf einen historischen Tiefstand. Die Corona-Pandemie könnte die Kauflaune der Menschen noch längere Zeit beeinträchtigen: Jeder Dritte glaubt einer GfK-Befragung zufolge, dass sich seine finanzielle Situation in den nächsten zwölf Monaten verschlechtern wird. Top-500-Firmenprofil für GfK
In der Vergangenheit hatte vor allem die Kauflaune der Verbraucher Europas größte Volkswirtschaft am Laufen gehalten. Der Export hatte bereits 2019 an Tempo verloren - belastet von internationalen Handelskonflikten und der Abkühlung der Weltkonjunktur.
Volkswirte der Allianz rechnen aber damit, dass die deutsche Wirtschaft schneller und besser durch die Krise kommen wird als viele europäische Nachbarländer. Besonders heftig erwischte es im ersten Vierteljahr Frankreich mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 5,8 Prozent zum Vorquartal. In Spanien ging das BIP um 5,2 Prozent zurück, in Italien um 4,7 Prozent. Insgesamt brach die Wirtschaftsleistung der 19 Euroländer nach Angaben des Statistikamtes Eurostat um 3,8 Prozent ein. Das ist der stärkste Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1995. (dpa/rs)