Kein Home Office

Die, die in der Krise alles am Laufen halten

25.03.2020
Wer kann, der bleibt daheim, das gilt auch für Berufstätige. Trotz Kinder-Chaos und Lagerkoller ist es in diesen Zeiten zum Privileg geworden, von zuhause aus sein Geld zu verdienen. Aber wie geht es den anderen?
Paketboten, Verkäuferinnen, Handwerker, Bahn- und Busfahrer, Polizistinnen und die gesamte Gesundheitssektor-Belegschaft - sie sind jene, die nicht zu Hause arbeiten können.
Paketboten, Verkäuferinnen, Handwerker, Bahn- und Busfahrer, Polizistinnen und die gesamte Gesundheitssektor-Belegschaft - sie sind jene, die nicht zu Hause arbeiten können.
Foto: Vytautas Kielaitis - shutterstock.com

Michael Fellendorf steht hinter dem leuchtenden Lotto-Toto-Schild und nimmt einen Tippschein an. "Gewettet wird immer, das war schon im Krieg so." Seine Frau Monika und er stehen noch immer jeden Morgen auf, um den gemeinsamen Kiosk zu öffnen. Verrückt fühle sich das schon an in diesen Zeiten, erzählt die Besitzerin des kleinen Ladens in Köln-Ehrenfeld. Zettel auf der Theke fordern Kunden auf, Abstand zu halten. "Ich knutsche keinen, ich nehme keinen mehr in den Arm." Die gemeinsamen Enkel hat das ältere Paar schon seit Wochen nicht mehr getroffen, dafür kommen jeden Tag viele andere. "Wenn ich's kriege, krieg ich's. Ich kann es ja nicht ändern."

Verkäuferinnen, Handwerker, Bahn- und Busfahrer, Polizistinnen, Lieferanten und die gesamte Gesundheitssektor-Belegschaft - sie sind jene, für die Home OfficeHome Office nicht zur Debatte steht. Es ist Teil ihres Jobs, in Kontakt mit Menschen zu sein. Dadurch sind sie einem besonderen Risiko ausgesetzt. Alles zu Home Office auf CIO.de

Keine Wahl

"Mich erwischt es auf jeden Fall. Ich habe keine Chance", meint deshalb Selami Toktas, der an der in normalen Zeiten pulsierenden Venloer Straße in Köln ein Lebensmittelgeschäft betreibt. Er lächelt und zeigt auf die aktuell gut gefüllten Regale. "Aber ich habe keine Wahl." Wie fühlt es sich an, jetzt noch jedem Tag Dutzenden von Menschen begegnen zu müssen? "Ich habe keine Angst", sagt Toktas. "Wenn man über die Straße geht und nicht aufpasst, kommt ein Auto und man ist auch weg. Man muss immer vorsichtig sein."

Auch Adriana Kurth, die von einem Marktstand aus Obst und Gemüse verkauft, bleibt tapfer. "Mir ist es ein bisschen komisch, wenn Leute husten. Aber: Was passiert, passiert." Kurth weiß von gedankenlosen Kunden zu berichten, aber auch von dankbaren, eine Seniorin hat ihr eine Tafel Schokolade mitgebracht. Eine willkommene Freude in der Spätschicht, während der die Verkäuferin oft an ihre elfjährige Tochter zuhause denken muss. Seit die Schulen geschlossen sind, ist diese nun lange Tage allein zuhause. "Die hat sogar schon angefangen, freiwillig zu putzen, so langweilig ist ihr."

Thorsten Wenke, der als Maler auf einer Baustelle um die Ecke arbeitet, hält es für problematisch, dass so viele Betriebe noch normal weiterarbeiten und damit Millionen Menschen trotz allem zur Arbeit müssen. "Ich denke, bei der Arbeit werden die meisten angesteckt - und nicht abends im Park."

Während Baustellen oder Renovierungsarbeiten zu jenen Bereichen gehören, die im Zuge weiterer Einschränkungen des öffentlichen Lebens noch lahmgelegt werden könnten, steht es für andere Branchen außer Frage, dass das Arbeitsleben draußen weitergeht. Viele von ihnen sind sogar jetzt besonders gefragt, um das Leben am Laufen zu halten.

Appell der Mediziner

"Ich verkaufe das Dreifache", erzählt Adriana Kurth vom Marktstand. Ärzte und Pflegende in den Kliniken müssen sich nicht nur um Patienten kümmern, sondern auch darauf vorbereiten, dass der Höhepunkt der Krise noch lange nicht erreicht ist. "Wir bleiben für euch hier. Bleibt ihr für uns daheim", appellieren Mediziner der Uniklinik Köln und vieler anderer Häuser auf Gruppenfotos, die sich in den sozialen Netzwerken verbreiten.

Paketbote Seref Özel kann sich kaum vor Päckchen retten: Er erzählt von Kunden im fünften Stock, die nun viel Zeit zuhause verbringen und sie für Online-Shopping nutzen - und die Klamotten dann schon am nächsten Tag wieder zurückschicken. Sollte sich die Lage weiter zuspitzen, rechnet Özel fest damit, dass Medizintechnik oder Lebensmittel vorrangig behandelt werden, denn: "Was wir nicht schaffen, schaffen wir nicht." Özel lässt sich seinen Optimismus trotz allem vorerst nicht nehmen: "Das einzig Gute ist: 99 Prozent der Menschen sind jetzt zuhause." (dpa/rs)

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