Rechnungshof übt schwere Kritik
Digitalisierung im Gesundheitswesen wird zum Albtraum
Die Zwischenbilanz des BRH zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) und der dazugehörigen Telematikinfrastruktur fällt verheerend aus. "15 Jahre nach Beginn des Projektes ist lediglich ein Teil der ärztlichen Praxen an die Telematikinfrastruktur angeschlossen", heißt es in einem Bericht der Prüfbehörden, der der COMPUTERWOCHE vorliegt.
Krankenhäuser und andere Leistungserbringer seien komplett außen vor. Bislang habe die Gesundheitskarte keinen konkreten Mehrwert für Leistungserbringer und Versicherte gebracht. Zwar handele es sich bei der DigitalisierungDigitalisierung des Gesundheitswesens durchaus um eine komplexe und zeitaufwändige Aufgabe, konzedieren die Prüfer. Es sei aber nicht vertretbar, "dass auch nach weit mehr als einem Jahrzehnt das Projekt nur ansatzweise verwirklicht ist". Alles zu Digitalisierung auf CIO.de
Verantwortlich ist aus Sicht des Bundesrechnungshofs die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (Gematik). In dieser Organisation sollten die beteiligten Vertreter des deutschen Gesundheitswesens eigentlich gemeinsam an der Einführung der Gesundheitskarte und dem Aufbau der notwendigen Infrastruktur arbeiten. Doch dieser Plan ging gründlich daneben. Gegensätzliche Interessen führten immer wieder zu Verzögerungen und bremsten die Einführung, schreiben die Rechnungsprüfer in ihrem Bericht. Allein bis zum Jahr 2017 habe die Gematik Kosten von 606 Millionen Euro verursacht.
Vor allem die Arbeit in den Gremien der Gematik kam in den vergangenen Jahren nicht voran. "Häufig waren Schlichtungsverfahren notwendig, weil sich die Gesellschafter nicht einigen konnten", heißt es im Bericht. Doch nicht immer seien die Schlichtungsentscheidungen bei allen Gesellschaftern akzeptiert worden. In einem Fall habe sich beispielsweise an ein Schlichtungsverfahren eine weitere Schlichtung angeschlossen, weil sich die Gesellschafter zunächst über eine organisatorische und im Anschluss über eine inhaltliche Frage nicht verständigen konnten. Zwischen dem Beginn des ersten und dem Ende des zweiten Verfahrens seien rund drei Jahre ins Land gegangen.
Mehr als 20 Jahre Pleiten Pech und Pannen
Mit der Gesundheitskarte und der Telematikinfrastruktur sollen sämtliche Beteiligten im deutschen Gesundheitswesen vernetzt werden. Das betrifft rund 170.000 Arzt-, Zahnarzt- und Psychotherapeutenpraxen, 20.000 Apotheken, 2000 Krankenhäuser, 110 gesetzliche Krankenkassen sowie 1200 Vorsorge- und Reha-Einrichtungen.
Die ersten Pläne dafür reichen bis ins Jahr 1996 zurück. Damals hatte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ein Beratungsunternehmen mit einer Studie zur Telematik im Gesundheitswesen beauftragt. Einen ersten rechtlichen Rahmen schuf das GKV-Modernisierungsgesetz im Jahr 2004. Ein Jahr darauf wurde die Gematik gegründet, die auf Basis des sogenannten Telematikgesetzes den weiteren Ausbau der Infrastruktur vorantreiben sollte.
Doch hier ging es nur schleppend voran. Dem Bundesrechnungshof zufolge hat es sich nicht bewährt, "die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und der Telematikinfrastruktur den Spitzenorganisationen zu übertragen." Die Organisations- und Entscheidungsstruktur der Gematik unterstütze nicht ausreichend ihren gesetzlichen Auftrag, die Telematikinfrastruktur zu schaffen. Seit dem Gründungsjahr 2005 habe es massive Verzögerungen gegeben. Erst mit dem E-Health-Gesetz ab dem Jahr 2015 hätten sich Fortschritte abgezeichnet - aber nur, weil von diesem Zeitpunkt an durch Fristen gesetzt, Sanktionen und Ersatzvornahmen eingeführt worden seien.
Der Bundesrechnungshof empfiehlt, eine andere Organisationsstruktur für die Einführung der Telematikinfrastruktur und weiterer Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte zu schaffen. Diese sollte so beschaffen sein, dass Entscheidungsprozesse unterstützt und nicht durch unterschiedliche Interessen verzögert würden. Die Prüfer raten daher, "die Allzuständigkeit der Gematik zu durchbrechen". Richtungsweisende Entscheidungen sollten vom Bundesgesundheitsministerium selbst oder einer von ihm beeinflussbaren Organisation im Sinne eines Top-Down-Ansatzes getroffen werden können.
Es braucht eine neue Strategie für die Digitalisierung
Ziel müsse sein, die geplante Digitalisierung im Gesundheitswesen nunmehr zügig und konsequent einzuführen. Das Ministerium müsse einen verbindlichen und transparenten Rahmen für eine effiziente Einführung einer Telematikinfrastruktur als Grundlage für die Nutzung medizinischer Anwendungen zu schaffen, heißt es in dem Bericht. Zudem sei notwendig, eine neue Strategie für die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu entwickeln. Diese müsse den sich ändernden funktionalen Anforderungen Rechnung tragen sowie eine zügige Umsetzung und adäquate Finanzierung sicherstellen. Soweit erforderlich, sei auch der rechtliche Rahmen dazu zu verändern.
Ob das Ministerium dazu in der Lage ist, bleibt zweifelhaft. Schließlich muss sich auch die Politik von den Rechnungsprüfern Versäumnisse ankreiden lassen. Seit Inkrafttreten des Telematikgesetzes im Jahr 2005 seien die gesetzlichen Vorgaben zur Architektur der TelematikinfrastrukturTelematikinfrastruktur nicht mehr angepasst worden, heißt es seitens des BGH. Es stehe zu befürchten, dass diese nicht mehr zeitgemäß seien. Alles zu Healthcare IT auf CIO.de
Das Ministerium habe es beispielsweise versäumt, einen einheitlichen Rechtsrahmen für die elektronische Patientenakte (ePA) der Krankenkassen sicherzustellen. Erst bis zum 31. Dezember 2018 habe die Gematik technische Vorgaben dafür vorlegen müssen. Ob die individuellen Gesundheitsakten der Kassen in eine Telematikinfrastruktur eingebunden werden können, sei aber keineswegs sichergestellt. Das Urteil des Bundesrechnungshofs zur Rolle des Ministeriums: "Das BMG hat die Einführung eines elektronischen Gesundheitswesens nicht angemessen gestaltet und gesteuert, wenn ihm sogar der Überblick über die am Markt befindlichen elektronischen Gesundheitsakten und deren technischen Spezifikationen fehlt."