Im Netz und auf der Mattscheibe

Die Jagd nach dem jungen Zuschauer

01.12.2014
Alle wollen die junge Zielgruppe ansprechen. Doch wie das am besten klappt, darüber herrscht Uneinigkeit. Ein Medienforscher sagt: Öffentlich-Rechtliche sollten auch mal einen Disco-Test machen.

2014 war das Jahr, in dem ARD und ZDF ihre Pläne für einen Jugendkanal im Fernsehen begraben mussten. Allein im Internet soll das Angebot entstehen. Es werde "nun schwerer, das Jugendangebot zum Fliegen zu bringen", machte sich Peter Boudgoust, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), nach der politischen Weichenstellung Luft. Sein Ärger über die Entscheidung der Ministerpräsidenten vom Oktober ist nachvollziehbar: Sein Sender hat die Federführung bei dem Renommierprojekt inne. Junge Menschen - das ist eine sehr kostbare Währung auf dem deutschen Fernsehmarkt. Die Zuschauer der Öffentlich-Rechtlichen sind nach den Zahlen von Media Control im Schnitt 60 Jahre alt, die der Privatsender 45 Jahre.

Der Fernsehdirektor des Westdeutschen Rundfunks (WDR), Jörg Schönenborn, räumte kürzlich bei einer Diskussion mit Studenten der Hochschule Fresenius in Köln ein, dass das Internet eine extreme Konkurrenz zu den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern sei. Denn junge Zuschauer seien sehr sparsam mit ihrer Zeit. Und die verbringen sie vor allem im Internet.

So gesehen ist es konsequent, dass der Jugendkanal nur im Netz an den Start gehen wird. Ursprünglich war er multimedial geplant, sollten Hörfunk, Fernsehen und das Internet miteinander verschmelzen. Denn eines scheint klar: Das rein lineare Fernsehen, also das Abspulen des Programms nach festen Zeiten, gilt als unbeliebt unter Jugendlichen.

So setzen die Öffentlich-Rechtlichen verstärkt auf crossmediale Angebote. Eine Strategie lautet: Online first. Der Bayerische Rundfunk (BR) etwa zeigte die Serie "Mann/Frau" mit Christian Ulmen und seiner Frau Collien Ulmen-Fernandes zuerst im Internet und dann im klassischen Fernsehen. Redaktionsleiter Ingmar Grundmann vom BR bezeichnete das als Chance, junge Leute anzulocken: "Wir wollen den jungen Zuschauern zeigen: Wir haben auch ein Angebot für Euch!"

Der Versuch der Öffentlich-Rechtlichen, durch web-exklusive Angebote die Reichweite zu erhöhen, "könnte sich als erfolgreiche Strategie erweisen", sagt Jens Woelke, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Münster. Sendungen am Vortag online zu stellen, habe möglicherweise einen ähnlichen Werbeeffekt wie ein Plakat auf einer Litfaßsäule.

"Junge Leute bei Laune zu halten, ist schwierig." Diese Zielgruppe sei sehr anspruchsvoll, weil sie an eine Medienvielfalt gewöhnt sei. "Aber eigentlich sind die öffentlich-rechtlichen Sender institutionell in der Lage, gute Angebote für junge Zuschauer zu schaffen, unabhängig von Quote und Werbung. Dafür zahlen wir schließlich Gebühren." Der Digitalkanal ZDFneo sei ein gutes Beispiel, dass das gelingen könne.

Dessen Senderchefin Simone Emmelius, die die Zielgruppe 25 bis 49 ansprechen will, setzt stark auf Social MediaSocial Media. "Online und Social Media sind wichtig, um jüngere Zuschauer zu erreichen. Das merken wir bei ZDFneo. Das gilt auch für unsere Zielgruppe. Beim "Neo Magazin" mit Jan Böhmermann erfolgt die Nutzung zu 20 Prozent über die Mediathek. "Normal" im Fernsehen sind 2 Prozent Online-Nutzung." Alles zu Social Media auf CIO.de

Eine andere Strategie der Sender ist es, verstärkt jüngere Fernsehmacher vor die Kamera zu holen - wie Joko und Klaas, Jan Böhmermann oder Jeannine Michaelsen. Welche Strategie erfolgversprechender ist, darauf will sich Woelke nicht festlegen: "Vermutlich ist es eine Mischung aus beidem." In diesem Zusammenhang kritisiert er: "Die öffentlich-rechtlichen Sender setzen zu sehr auf immer dieselben Gesichter. Da ist mehr Vielfalt nötig."

Woelke warnt zudem davor, sich zu sehr auf junge Zuschauer zu fokussieren: "Das kann komplett nach hinten losgehen." So sei es etwa den Sendern ORFeins, SFzwei oder BBC one ergangen, die ihre Programmstruktur in den 1990er Jahren mit mehr Unterhaltungs- und weniger Informationssendungen an die vermeintlichen Bedürfnisse eines jungen Publikums angepasst haben und bei insgesamt rückläufigen Marktanteilen einzelner Programme die höchsten Quotenverluste hinnehmen mussten.

"Vor allem muss inhaltlich etwas passieren: Insgesamt müssen die Sender die Lebensrealität der Menschen mehr einbeziehen", fordert Woelke. Das passiere im deutschen Fernsehen zu wenig. Als Ideen nennt er eine Sendereihe über Konzerte oder Clubs in der Region.

Beim Blick in die Zukunft äußert sich Woelke optimistisch: "Der Bedarf nach linearem Fernsehen wird bleiben. Die neuen Angebote im Internet wird es nicht vollkommen verdrängen." Und er geht noch weiter: "Ich glaube, das lineare Fernsehen wird auch bei jungen Zuschauern ein Revival erleben." (dpa/rs)

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