Firmen mit digitalen Nachholbedarf
Digitale Wege zum Kunden
Dr. Kay Müller-Jones ist Leiter Consulting und Services Integration bei Tata Consultancy Services (TCS).
Mit den Erwartungen moderner Konsumenten tun sich viele Unternehmen noch sehr schwer. Kunden gehen heute wie selbstverständlich davon aus, auf allen digitalen Kommunikationskanälen mit ihren Lieferanten in Kontakt treten zu können. Doch gerade deutsche Traditionsunternehmen haben mit der Umstellung auf die "Digital Consumer Economy" so ihre Probleme.
In den vergangenen Jahrzehnten waren zunächst Kohle, Stahl und Erdöl, später dann Industrien wie der Maschinenbau oder die Automobilbranche die Stützen der Wirtschaft. Mit dem Aufkommen breitbandiger Internet-Verbindungen und vielfältiger IT-Innovationen müssen sich diese und andere Industrien neu aufstellen und vor allem den Umgang mit ihren Kunden überdenken. Nach Einschätzung von Tata Consultancy Services (TCS) nutzen derzeit die 2000 größten Unternehmen der Welt vor allem folgende fünf Technologien, um ihre Geschäftsmodelle zu überarbeiten und neue Produkte auf den Markt zu bringen: Big DataBig Data/Analytics, Cloud ComputingCloud Computing, Mobile und Pervasive Computing, Social MediaSocial Media sowie Robotik in Verbindung mit künstlicher Intelligenz. Alles zu Big Data auf CIO.de Alles zu Cloud Computing auf CIO.de Alles zu Social Media auf CIO.de
Inwieweit Unternehmen die Neuorientierung zu einer Digital Consumer Economy bereits vollzogen haben, zeigt der aktuelle Global Trend Report von TCS. Im Rahmen der Studie "The Road to Reimagination: The State and High Stakes of Digital Initiatives" wurden vor Kurzem rund 820 international tätige Unternehmen aus Nord- und Südamerika, Europa und dem asiatisch-pazifischen Raum befragt. Die Firmen sind in unterschiedlichen Branchen aktiv wie etwa dem Finanzsektor, der Medien- und Telekommunikationsbranche, der Logistik, der Konsumgüterindustrie oder der Automobilproduktion.
- Digitalisierung und die Aufgaben der IT
Unter dem Titel "Reinventing IT to support digitization" schreibt McKinsey über die Aufgaben der IT. Diese umreißen die Analysten anhand von sieben Punkten. - Punkt 1: Digitalisierung als zentrales Element
Jedes Unternehmen muss analysieren, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bietet. Diese Aufgabe kann ein Digital Center of Excellence übernehmen. - Punkt 2: Weiterqualifikation der ITler
Jeder IT-Chef sollte aus seiner Abteilung eine Elite machen. Dazu braucht man nicht zwingend die jungen Talente, die lieber bei Start-Ups arbeiten - aber eine Orientierung an der Denke des Silicon Valley hilft schon. - Punkt 3: Externes Wissen einbinden
Unternehmen werden immer wieder mit externen Kräften zusammenarbeiten. Verträge mit Externen müssen Raum für Flexibilität lassen. - Punkt 4: Agilität entwickeln
Agilität bezieht sich sowohl auf schnelle Markteinführungen als auch auf die internen Abläufe. Agile Methoden gehören ebenso dazu wie automatisiertes Testing und Installation von Anwendungen. - Punkt 5: Innovative IT-Architekturen
Die IT-Architektur muss sowohl auf Mobile IT als auch auf Web-Plattformen ausgerichtet sein. Anwender müssen über alle Kanäle zuverlässig auf Services zugreifen können. - Punkt 6: Cloud Computing
Im Hinblick auf Skalierbarkeit und Flexibilität spricht sich McKinsey für die Cloud aus. - Punkt 7: Daten zu Geld machen
McKinsey nennt das Beispiel einer Bank, die 800 Millionen US-Dollar aus ihren Daten herausgeholt haben will, beispielsweise über Empfehlungsprogramme der Kunden untereinander.
Digitale Wege zum Kunden
Wichtigste Erkenntnis der Studie ist: Die überwältigende Mehrheit der Unternehmen (95 Prozent) betrachtet digitale Technologien als zentrales Mittel, um mit Kunden und Interessenten in Kontakt treten und deren Vorlieben erfassen zu können. Speziell für die sogenannten Digital Leader, also Unternehmen, die eine Vorreiterrolle beim Einsatz neuer IT-Lösungen und der entsprechenden Ausrichtung von Geschäftsprozessen und Produkten übernommen haben, genießt das bessere Kundenverständnis höchste Priorität. In Europa nutzen die Unternehmen dazu vorzugsweise mobile Apps (50,2 Prozent). Außerdem analysieren sie Beiträge von Usern auf SocialMedia-Plattformen wie FacebookFacebook, GoogleGoogle+ oder TwitterTwitter (49,3 Prozent). Alles zu Facebook auf CIO.de Alles zu Google auf CIO.de Alles zu Twitter auf CIO.de
Künftig werden weitere ToolsTools und Techniken Social-Media-Analysen und Apps auf SmartphonesSmartphones und TabletsTablets ergänzen oder ablösen. Denn es geht darum, die Anforderungen und Wünsche von Konsumenten möglichst "in Echtzeit" zu ermitteln. TCS zufolge wollen im Jahr 2020 bereits 62 Prozent der befragten Unternehmen WearablesWearables dafür nutzen. Dazu zählen Smart Watches und Kleidung mit integrierten elektronischen Geräten (E-Clothes), Datenbrillen, FitnessTracker und portable Miniaturkameras wie etwa Action-Cams. Alles zu Smartphones auf CIO.de Alles zu Tablets auf CIO.de Alles zu Tools auf CIO.de Alles zu Wearables auf CIO.de
Ein Alarmzeichen ist, dass laut der TCS-Trendstudie Deutschland das einzige Land in Europa ist, in dem die Mehrzahl der Unternehmen (60 Prozent) 2014 keine digitalen Produkte oder Services auf den Markt gebracht haben. Zum Vergleich: Im asiatisch-pazifischen Raum waren es 73 Prozent, in Lateinamerika 74 Prozent der Unternehmen. In Europa liegt Deutschland diesbezüglich klar zurück, beispielsweise hinter den französischen Nachbarn: Dort stellten im vergangenen Jahr fast zwei Drittel der Unternehmen (65 Prozent) digitale Produkte und Services vor.
Doch auch in Deutschland schlafen die wichtigen Branchen nicht: In der Automobilbranche etwa sind zusehends mobile Lösungen im Einsatz, die beispielsweise die Machine-toMachine-(M2M-)Kommunikation vorantreiben oder relativ jungen Technologien wie Augmented Reality in Bereichen wie der Produktentwicklung zu erster Blüte verhelfen.
- Wie Konzerne von der Digitalisierung profitieren
In der Studie "Technology Vision 2014 – from digitally disrupted to digital disrupter" erklärt Accenture, wie auch große Konzerne - und nicht nur innovative kleine Start-Ups - von der Digitalisierung profitieren. Die Analysten untermauern ihre These anhand von sechs Trends. - Trend 1: Internet der Dinge
Im Internet der Dinge kommunizieren Maschinen miteinander, Sensoren und Funkchips verbinden physische und virtuelle Welt. Beispiel eines Konzerns, der davon profitiert, ist Amazon. Pakete sollen künftig von einer Drohne ausgeliefert werden. - Trend 2: Kunden als Mitarbeiter
Crowdsourcing als neue Form der Mitarbeiterschaft: Unternehmen etablieren Plattformen, über die Kunden ihre eigenen Ideen für die Produktentwicklung einbringen können - und das auch noch kostenfrei. - Trend 3: Integration der Daten
Glaubt man Accenture, nutzen lassen viele Firmen Daten ungenutzt. Die Analysten empfehlen, Daten nach dem Modell einer Lieferkette zu organisieren, die das ganze Unternehmen durchzieht. - Trend 4: neuer Blick auf Hardware
Im Zuge der Digitalisierung könnten große Unternehmen die Vorteile ihrer Hardware ausschöpfen. Wer Energieverbrauch, Prozessoren und die Architektur seiner Infrastruktur intelligent manage, nutze Skalen-Effekte und senke Kosten. - Trend 5: Apps als Kernkompetenz
Zunehmend etablieren Unternehmen eigene App-Stores für Mitarbeiter und Kunden. Aufgabe von IT-Entscheidern ist, die Rollen bei der App-Entwicklung beziehungsweise den gesamten Entwicklungsprozess so zu gestalten, dass sie die Unternehmensziele unterstützen. - Trend 6: Resilienz statt Datenschutz
In Sachen Cyberkriminalität spricht Accenture nicht mehr nur von Datenschutz und Gefahrenabwehr. Das neue Schlagwort lautet Resilienz. Der CIO muss dafür sorgen, dass Cyber-Attacken an den Systemen quasi abprallen.
Was Leader unterscheidet
Die TCS-Studie beschäftigt sich auch mit der Frage, was die Vorreiter von den Nachzüglern im Bereich der digitalen Initiativen unterscheidet. Zahlen sich Investitionen an dieser Stelle messbar aus? Demnach verzeichneten Firmen, die sich intensiv auf den Wandel in Richtung Digital eingestellt haben, zu 50 Prozent einen Umsatzanstieg. Bei den Nachzüglern konnten nur etwa 20 Prozent mit einem Einnahmenplus aufwarten.
Ein weiterer Unterschied betrifft das Investitionsverhalten. So gaben die Vorreiter rund 17 Prozent des Budgets, das für digitale Technologien vorgesehen war, für Cloud Computing aus, bei den Followern waren es nur zwölf Prozent. Interessanterweise lagen aber die Ausgaben für Big Data bei den Nachzüglern mit 29 Prozent im Vergleich zu den Leadern (24 Prozent) höher.
Nach Einschätzung von TCS deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass Unternehmen, die eine ausgefeilte digitale Strategie verfolgen, einen Großteil der dafür notwendigen Infrastruktur mieten, etwa in Form von Cloud-Services. Dies sind beispielsweise Rechenleistung und Speicherkapazitäten, aber auch Big-DataAnalyse-Kapazitäten, deren Preise im Falle des Frembezugs deutlich sinken.
Insgesamt geben die Vorreiter im Schnitt rund 290 Millionen Dollar für digitale Initiativen aus, die Follower hingegen nur 93 Millionen Dollar. Irritierend ist der Studie zufolge, dass deutsche Unternehmen durchschnittlich nur 76 Millionen Dollar in solche Aktivitäten investierten. Mit anderen Worten: Die Deutschen investieren im Mittel nur rund ein Viertel dessen, was international führende Unternehmen für digitale Technologien vorsehen.
Wie es zu dieser Zurückhaltung kommt, darüber kann auch die Studie nur spekulieren. Eine These lautet beispielsweise, dass Unternehmen hierzulande einen zu großen Teil ihres Budgets an den Betrieb vorhandener, teils proprietärer IT-Infrastrukturen gebunden haben. Nach Einschätzung von TCS wäre es in vielen Fällen sinnvoll, diese Infrastrukturen zu vereinfachen oder zu verschlanken, um dadurch Ressourcen für digitale Initiativen freizusetzen.
Wichtig: Zentrale Strategie
Es sind jedoch nicht nur die vorhandenen Budgets sowie effiziente IT-Infrastrukturen und Geschäftsprozesse, die für den Erfolg eines Unternehmens in der Digital Consumer Economy entscheidend sind. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist auch eine umfassende zentrale Strategie. Rund 57 Prozent der Unternehmen, die einen Wandel in Richtung Digital mit Erfolg initiiert und umgesetzt haben, verfügen über einen solchen einheitlichen Ansatz. In Deutschland sind es dagegen nur 42 Prozent. Auch in diesem Punkt besteht bei den hiesigen Unternehmen Nachholbedarf.
Abteilungen entscheiden
Ein Phänomen in deutschen Unternehmen ist, dass einzelne Abteilungen oder Business-Funktionen separate digitale StrategienStrategien entwickeln. Die Marketing-Abteilung verfolgt beispielsweise einen anderen Ansatz als Vertrieb, Produktentwicklung und Kundenservice. Dies hat Reibungsverluste zur Folge, und diese kann sich heute kaum ein Unternehmen leisten - schon gar nicht, wenn es in hart umkämpften Marktsegmenten aktiv ist. Alles zu Strategien auf CIO.de
Unternehmen sollten im Vorfeld genau prüfen, welcher Nutzen sich durch den Einsatz digitaler Technologien für sie ergibt und wie dieser nachhaltig erzielt werden kann. Wichtig ist daher die Entwicklung einer digitalen Agenda, die geeignete digitale Initiativen definiert und den durch den Technologieeinsatz bewirkten Transformationsprozess ergebnisorientiert steuert.
Fazit: Deutschland mit Nachholbedarf
In Deutschland konzentrieren sich Unternehmen darauf, die Digitalisierung im Rahmen von Initiativen wie "Industrie 4.0Industrie 4.0" voranzutreiben und so beispielsweise ihre Produktionssysteme mit Kunden und Zulieferern stärker zu verzahnen. Das ist auf die besondere Rolle des Produktionssektors hierzulande zurückzuführen. Alles zu Industrie 4.0 auf CIO.de
Allerdings sollten deutsche Firmen die wachsende Bedeutung von digitalen Initiativen in anderen Bereichen erkennen, etwa bei der Kundenansprache oder der Entwicklung digitaler Produkte und Dienstleistungen. Auf diesen Gebieten besteht in Deutschland ein Nachholbedarf.