Prozesse im Recruiting überdenken

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Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt.
Bewerber können ein Lied davon singen, was in Bewerbungsprozessen alles suboptimal läuft. Der Mangel an Fachkräften und Nachwuchs ist zum Teil nämlich auch ein hausgemachtes Problem von Unternehmen und ihren Personalabteilungen. Das Manko: Veraltete Auswahlverfahren und Fehleinschätzung der Kandidaten.
  • Viele Unternehmen vergraulen Bewerber durch respektloses Verhalten.
  • Das Denken der Personal-Manager und Führungskräfte ist oft antiquiert.
  • Kandidaten sollten in die Recruitment-Analyse einbezogen werden.

Wer sich für einen neuen Job interessiert, kann im Verlauf von Bewerbungsprozessen eine Menge erleben. Und jeder Kontakt hinterlässt Spuren: Nicht nur in den Köpfen und Herzen der Menschen, sondern oft genug auch im Web. Denn wie im wahren Leben will man von seinen Erlebnissen erzählen. Die Vorentscheidung zukünftiger Bewerber beeinflussen solche Berichte auf ganz erhebliche Weise. Das heißt, sie ziehen weitere gute Talente entweder wie magisch an, oder sie vertreiben diese schon vor dem ersten Kontakt.

Unternehmen sind gut beraten, ihre oft angestaubten Recruiting-Methoden genauer unter die Lupe zu nehmen.
Unternehmen sind gut beraten, ihre oft angestaubten Recruiting-Methoden genauer unter die Lupe zu nehmen.
Foto: Muemoon - shutterstock.com

Ursachen dafür gibt es viele: Stellenanzeigen, die noch aussehen wie vor fünfzig Jahren, der Einheitsbrei vergleichbarer Texte, endlose Reaktionszeiten, standardisierte Interviews, respektloses Verhalten, nicht eingehaltene Versprechen und vieles mehr. Meist ergeht man sich in Prozessen, die für das Unternehmen zwar praktisch, für die Kandidaten jedoch ätzend sind. Selbst die vielversprechendsten Leute kommen sich dabei nicht wie Umworbene, sondern wie Bittsteller vor.

Ein weiteres Hemmnis lauert in einem anderen Bereich. Es ist das "von sich auf andere schließen". Mit anderen Worten: Man geht von seinem Eigengeschmack aus. "Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass auf diesem Weg neue Bewerber kommen", sagt der verantwortliche Abteilungsleiter oder Chef. Und ganz ohne Gegenwehr wird eine womöglich durchschlagend neue Maßnahme einfach gestrichen. Ja, das Machtwort der Oberen und überholte Ansichten führen leider allzu oft in die falsche Richtung.

Die Bewertung der Bewerber entscheidet

Meist ist es ein Mix aus positiven und negativen Erfahrungen an mehreren Interaktionspunkten, der schließlich zur Zu- oder Absage eines Bewerbers führt. Bei jedem RecruitingRecruiting ist eine grundlegende Entscheidung also die, Alles zu Recruiting auf CIO.de

  • auf welche Maßnahmen man sich konzentrieren soll,

  • welche sich neu kombinieren lassen,

  • welche vernachlässigt werden können,

  • welche gestrichen werden müssen und

  • welche womöglich noch fehlen.

Danach ist zu prüfen, ob das, was an den einzelnen Interaktionspunkten passiert, enttäuschend, in Ordnung oder begeisternd ist. Hierzu werden die faktischen wie auch die emotionalen Erlebnisse, die ein Kandidat jeweils hat oder haben könnte, beleuchtet. Dabei gibt es für die Unternehmen viele Möglichkeiten, es sich auf immer und ewig mit dem Kandidaten zu vermasseln - oder aber einen Fan fürs Leben zu gewinnen.

Deshalb ist eine Bewertung durch die Bewerber sehr hilfreich. Zwei Ebenen sind dabei zu betrachten:

1. Die Wichtigkeit eines Interaktionspunktes - und zwar aus Sicht des Aspiranten betrachtet, denn die allein zählt.

2. Die Qualität dessen, was aus Bewerbersicht an den einzelnen Interaktionspunkten passiert.

Um beides zu messen, werden am besten die kürzlich eingestellten Mitarbeiter und, soweit möglich, auch abgesprungene Kandidaten befragt. Hier die Fragen im Wortlaut:

  • Auf einer Skala von 0 bis 10:

Wie wichtig ist Ihnen dieser Interaktionspunkt?

  • Auf einer Skala von 0 bis 10:

Würden Sie das, was an diesem Interaktionspunkt passiert ist, weiterempfehlen?

Nach jeder Antwort stellen Sie am besten gleich noch folgende sinnvolle Zusatzfragen:

  • Was ist der wichtigste Grund für die gerade von Ihnen abgegebene Bewertung?

  • Was lief aus Ihrer Sicht besonders gut?

  • Was hat Sie daran gehindert, uns den Höchstwert zu geben?

  • Haben Sie dazu eine schnell umsetzbare Idee?

Mit diesen Fragen kommen Sie sofort ganz nah an die wichtigsten Bewerbermotive heran. Vor allem die Spitzen und die Täler sind dabei von Interesse. Vermeintliche Kleinigkeiten können aus Bewerbersicht herbe Enttäuschungen oder unakzeptable Missstände sein. Solche kritischen Ereignisse müssen schnellstens gefunden und beseitigt werden. Hochgelobte Punkte hingegen sollten verstärkt und ausgebaut werden. Auch Interaktionen, die in besonderem Maße für die Reputation und das überlebensnotwendige Weiterempfehlen förderlich sind, lassen sich so bestimmen.

Die Bewerber als Prozessoptimierer

Werden Bewerber nach ihrer Meinung befragt, können neue Herangehensweisen und besser geeignete Aktivitäten gefunden werden. Die wichtigsten Ein- und Ausstiegspunkte während eines Bewerbungsprozesses können ermittelt und, wenn nötig, optimiert werden. Veraltetes und Irrelevantes lässt sich streichen, wodurch sehr oft auch Kosten einzusparen sind.

Zudem gilt: Jede Bewerbergruppe hat an die einzelnen Interaktionspunkte, auch Touchpoints genannt, unterschiedliche Erwartungen, von denen es abhängt, ob es zu einer Zusage kommt. Vor allem dann, wenn man auf die Suche nach jungen Talenten geht, gibt es nur eine Gruppe von Menschen, die sagen kann, wie man sie für sich gewinnt: die jungen Talente selbst. Betriebe, die sich nicht auf die Erwartungen der nachrückenden Generation einstellen können, werden deren Potenzial niemals gewinnen.

Natürlich gibt es viele weitere Fragen, mit denen man (potenzielle) Mitarbeiter in die Analyse einbinden kann. Mein Favorit ist in diesem Zusammenhang die Gewissensfrage, und die geht so:

Stellen Sie sich vor, Sie wären unser Unternehmensgewissen. Was würden Sie uns zu … sagen?

Zugegeben, es erfordert etwas Mut, solche Fragen zu stellen. Doch der Lerngewinn ist gewaltig. Sie erfahren nämlich eine Menge darüber, was die Menschen sich wünschen, was sie vermissen und was sie wirklich bewegt. Sie wollen keine schlafenden Hunde wecken? Die Hunde schlafen nicht! Sie toben sich nur woanders aus: zum Beispiel auf Meinungs- und Arbeitgeberbewertungsportalen.

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