Statt Fehltagen
Jeder vierte Chef: Kranke sollen zuhause arbeiten
Dass man mit Husten, Schnupfen und Fieber selbst unproduktiv ist und oft auch noch Kollegen ansteckt, das scheint in zahlreichen deutschen Firmen noch egal zu sein. "Die Anwesenheit am Arbeitsplatz gilt in Deutschland noch immer als Leistungs- und Karrierekriterium - auch, wenn das zu Lasten der eigenen Gesundheit geht", sagt Eberhard Nöfer, Professor für Soziale Arbeit und Gesundheit an der Hochschule Coburg. Dass reine Anwesenheit am Arbeitsplatz nichts mit der Qualität der Arbeit zu tun, das hat sich wohl in einigen Firmen noch nicht durchgesetzt. Schließlich sagten auch 63 Prozent der Befragten, dass Führungskräfte mit besonders langen Arbeitszeiten bei der Beförderung bevorzugt würden. Krank zur Arbeit zu gehen, das scheint in einigen Firmen noch als "Einsatz" missverstanden zu werden.
Immer weniger Mitarbeiter für immer mehr Arbeit
Wie die Berater herausfanden, hat die Anwesenheit trotz Krankheit zum Teil auch damit zu tun, dass immer weniger Mitarbeiter immer mehr Arbeit erledigen müssen. "Ohne Zwölf-Stunden-Schichten ist das Pensum nicht mehr zu schaffen", gab einer der Befragten an. Ein anderer wollte schlicht "Die Berge, die liegen bleiben", vermeiden. In Zeiten immer unsicherer Arbeitsplätze fürchten viele, zu wenig Leistung zu bringen. Dabei gebe es bessere Möglichkeiten, erkrankten Mitarbeitern wirklich zu helfen.
Gesundheitsexperten erachten Seminare für sinnvoll, in denen Mitarbeiter mehr über Bewegung und gesunde Ernährung lernen. Das, so fürchtet ein Studienteilnehmer, erreiche aber nur diejenigen, die sich ohnehin schon mit dem Thema beschäftigen. "Ein besseres Betriebsklima, wo alle Mitarbeiter aufeinander achten, ist auf jeden Fall sinnvoller", sagt Müller. Das sahen auch 72 Prozent der befragten Führungskräfte so. "Ein Unternehmen beziehungsweise der direkte Vorgesetzte hat einen sehr großen Einfluss auf den Krankenstand seiner Mitarbeiter. Wertschätzung, Respekt und Anerkennung sorgen für Motivation der Mitarbeiter und damit für einen geringeren Krankenstand", sagte einer der Befragten.
Prämien und Kündigungen sind keine Lösung
Aber nicht alle Chefs erkennen, dass eine Verbesserung des Betriebsklimas auch die Gesundheit der Mitarbeiter fördert. Auch wenn einige sie für "ethisch nicht vertretbar" halten: Neun Prozent der befragten Führungskräfte hielten Prämien für sinnvoll, die Angestellte für wenige Krankentage belohnen. "Das ist absolut kontraproduktiv", sagt Müller. "Denn damit öffnet man der Praxis Tür und Tor, sich auch noch im Krankheitsfall in die Arbeit zu schleppen." Nicht das einzige Problem: 17 Prozent gaben an, dass sie es befürworteten, sich von häufig erkrankten Mitarbeitern zu trennen. Damit hätte sich dann ein hoher Krankenstand von allein erledigt. Diese erschreckende Prozentzahl will Beraterin Müller aber nicht gleichsetzen mit einer tatsächlichen Kündigung. Da der Fragebogen nur eine Ja/Nein-Antwort zugelassen habe, so Müller, wäre sie mit einer solchen Interpretation vorsichtig. Trotzdem bleibt angesichts dieser Zahl ein fader Beigeschmack. Andererseits ist es nach deutschem Arbeitsrecht nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich, einem Mitarbeiter wegen Krankheit zu kündigen - insofern ist diese Überlegung allenfalls menschlich schockierend.
Der Gesundheitsexperte Nöfer war von den Studienergebnissen selbst erschrocken. Dass die Gesundheit der Mitarbeiter auch ein wertvolles Gut ist, das habe sich wohl in Deutschland noch nicht durchgesetzt, fürchtet er. Aber nicht alle Chefs sind so. "In Deutschland sagt der überwiegende Teil der Chefs: Wer krank ist, gehört nach Hause", sagt Müller. "Er soll sich vor allem auskurieren", schrieb denn auch eine Führungskraft über einen kranken Mitarbeiter, der trotzdem ins Büro kam. Den meisten Chefs ist die Gesundheit der Mitarbeiter also wichtig. Jetzt müssen sie sich nur noch um ihre eigene kümmern. Dann klappt das auch mit der Vorbildfunktion.