Überall Arschlöcher, leider!
Rainer Janßen liefert ab
Was hat er sich nur bei diesem Titel gedacht? "Arschlöcher gibt's halt leider überall", nennt Rainer Janßen, langjähriger CIO der Munich Re und zuvor viele Jahre Manager bei IBM sein kürzlich erschienenes Buch. Doch Arschlöcher spielen darin nur eine Nebenrolle. Es geht um das, was im Untertitel zu lesen ist: "Management - Anregungen zum Nachdenken über einen schönen Beruf", und genau von diesen Denkanstößen gibt es jede Menge: praxisbezogen, launig formuliert und überaus alltagstauglich.
Janßen ist vielleicht Deutschlands bekanntester IT-Manager. Er war "CIO des Jahres 2008", "CIO der Dekade (2001 - 2011)", Gewinner des "Global Exchange Award", und er ist Mitglied in der 2014 gegründeten deutschen "IT Hall of Fame", die von der COMPUTERWOCHE ins Leben gerufen wurde. In der CIO-Community hat Janßens Stimme auch heute noch großes Gewicht.
Umso schöner, dass er seinen CIO-Freunden nun dieses wunderbare Buch vorlegt, in dem er viele seiner praktischen Erfahrungen aus dem Management-Leben bei IBM und Munich Re in seiner intelligenten, mitunter leicht spöttischen Art wiedergibt. Ein paar Beispiele:
Wenn KPIs den Fortschritt verhindern
In vielen ChefetagenChefetagen gilt die Maxime: Was wir nicht messen können, können wir auch nicht managen. Janßen weiß ein Lied davon zu singen, denn es ist meistens die IT, die den "Mechanikern der Unternehmensführung" die Daten für all die gewünschten Messungen bereitstellen soll. Doch der Autor warnt: "KPIs sind nur Indikatoren dafür, dass etwas schon so sein könnte, wie es sollte, aber sie sind noch kein Nachweis, dass es wirklich so ist." Alles zu Führung auf CIO.de
Janßen beschreibt am Beispiel der IBM, die vor Jahren den Anschluss an den Wettbewerb verloren hatte, wie ein Kennzahlensystem in die Irre führte. Es sorgte dafür, dass Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebsfunktionen zu lange an alten, traditionell umsatzträchtigen Themen festhielten, insbesondere an Mainframes und großen Speichersystemen. Es gab keine Anreizsysteme, die dafür gesorgt hätten, dass PCs oder mittelgroße Systeme, auf die Agenda kamen, obwohl ihnen, wie man heute weiß, die Zukunft gehörte. Janßen stellt fest: Kennzahlen leiten sich aus der bekannten Unternehmenswelt ab, berücksichtigen aber nur ungenügend oder gar nicht neue Themen und Innovationen.
Menschen ändern zu wollen, bringt wenig
Mehrere Kapitel widmet der Ex-CIO der aus seiner Sicht wichtigsten Managementaufgabe, dem Umgang mit Menschen. Janßen kritisiert, dass viele Chefs nur mit ihren Direct Reports Umgang pflegen und so selbst zu Opfern ihrer starken Hierarchien werden.
Viel zu oft arbeiteten sich Unternehmen daran ab, das Verhalten ihrer Mitarbeitenden ändern zu wollen. Das sei aber meist unmöglich: Ein Ordnungsfreak bleibe ein Ordnungsfreak, ein Schweiger werde niemals ein Small-Talk-Künstler und einen introvertierten Entwickler in ein Open-Space-Büro zu setzen, sei kontraproduktiv und unmenschlich.
Warum schreibt Janßen das? Weil aus seiner Sicht zu viele Manager und vor allem Personalabteilungen das Ziel verfolgen, menschliches Verhalten zu ändern. "Jedes Jahr wird aufs Neue im persönlichen Gespräch zwischen dem Vorgesetzten und dem Mitarbeiter analysiert, wo denn die Schwächen und deshalb auch das Verbesserungspotenzial des Mitarbeiters liegen." Der austauschbare, überall einsetzbare Mensch sei der Traum der verantwortlichen "Führungstheoretiker".
Janßen schreibt: "Man spricht dann nebelhaft vom Menschen als fungible Ressource, dessen Kapazität in PY oder FTE - Person Year oder Full Time Equivalent - gemessen wird." Solche Mitarbeitenden gebe es aber nicht, auch wenn sie das Leben der Manager sicher leichter machen könnten. "Menschen sind wie sie sind", schreibt der Autor.
Janßen rät Führungskräften: "Statt unglaublich viel Zeit aufzuwenden, um ihre vermeintlichen Schwächen auszubügeln (die der Mitarbeitenden, Anm. d.Red.), leben Sie lieber mit ihren Schwächen und stärken Sie ihre Stärken. Wenn Ihr absoluter Star-Techie keine vorstandskompatiblen Vorträge halten kann, schicken Sie ihn um Himmels Willen nicht zum nächsten Top-Presenter-Workshop", so der Autor. Auf einer "Star-Trek-Techie-Konferenz" sei er gegebenenfalls besser aufgehoben.
Diversity ist wichtig - wenn Skills im Mittelpunkt stehen
In insgesamt 35 Kapiteln trägt Janßen Beispiele für praxistaugliches, gutes Management zusammen, aber auch für Fehlentwicklungen und dummes Führungsverhalten. Beispiel "Diversity": Janßen glaubt wie die meisten Manager, dass Teams von Diversität profitieren können. Doch er wendet sich gegen eine quotengeleitete Zusammenstellung, die sich nur an äußeren Kriterien wie etwa Geschlecht, Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder Alter orientiert.
Die "innere Verschiedenheit" in Teams sei viel wichtiger als die "äußere Diversität", so der Autor. In Arbeitsgruppen brauche es - je nach Aufgabe - den Tüftler genauso wie den Organisator, den Verkäufer oder den Zahlenmenschen. "Ich bin jedenfalls fest überzeugt", bilanziert Janßen selbstironisch, "dass mein Team nie erfolgreich gewesen wäre, wenn alle so wären wie ich. Es wäre sicher lustig und intellektuell anregend gewesen. Wir hätten schöne Strategien und wohl auch Architekturen gehabt, aber wir hätten nichts gebacken gekriegt."
Bestimmte Rollen - Janßen bezieht sich hier auf das Teamrollen-Konzept des englischen Beraters und Psychologen Meredith Belbin - wären in einem solch homogen besetzten TeamTeam zu kurz gekommen, was sicher zum Scheitern geführt hätte. "Sorgen Sie für die notwendige Verschiedenheit", rät der Autor. Es gehe darum, die nötigen SkillsSkills für Lösungsstrategien, Projektvorgehen oder soziale Verhaltensweisen im Team zu haben. Alles zu Personalführung auf CIO.de Alles zu Skills auf CIO.de
In Rainer Janßens Werk sind noch viel mehr Tipps aus der Management-Praxis zu finden, beispielsweise zu Themen wie Change-Management, dem "Mythos Team", dem "Umgang mit Hype" oder der Bedeutung einer Unternehmensarchitektur im Vergleich zur Prozessoptimierung. Das alles ist sehr lesenswert, zumal es für ein "Management-Buch" ungewöhnlich kurzweilig geschrieben ist.
Wenn Sie sich also für den Konflikt mit "Arschlöchern" wappnen wollen, lesen Sie Rainer Janßens Buch. Wir geben neun von zehn Punkten für diese wunderbare Wochenendlektüre (den Abzug gibt es für den etwas irreführenden Titel)!