Digitalisierung
Softwareentwickler: die neuen Königsmacher
Die Bedeutung von Software ist schon heute bei vielen Unternehmen wettbewerbsentscheidend. Und dieser Trend nimmt im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung weiter an Fahrt auf. In der Automobilindustrie lautet ein viel zitiertes Bonmot: "Wir verkaufen ein Handy mit Motor und vier Rädern."
Eine Untersuchung des BMWi bestätigt das: "Die Automobilhersteller werden bis 2050 über 50 Prozent ihres Umsatzes mit datenbasierten Dienstleistungen erzielen", heißt es darin. Auch in anderen Branchen nimmt die Bedeutung der Software rasant zu: Stereoanlagen werden mit dem Handy gesteuert, das einstmals "dumme" Fernsehgerät ist heute ein smartes Internet-Terminal, und es gibt bereits Kühlschränke mit Verbindungen zum Cyberspace und komplizierten Artificial-Intelligence (AI)-basierten Nachbestellalgorithmen.
"Software wird zum wichtigsten Unterscheidungsmerkmal; ob Kaffeemaschine oder Kühlschrank, überall spielt sie eine immer größere Rolle", sagt Karsten Kempe, Solution Architekt bei Microsoft. "Wenn ich meine Kaffeemaschine mit dem Smartphone steuern kann, dann ist es nicht mehr die Kaffeemaschine, die den Kunden an die Firma bindet, sondern die Software, die dazu führt, dass der Kunde sich beim nächsten Mal wieder für eine Maschine desselben Herstellers entscheidet", führt er weiter aus.
Bisher Steigbügelhalter - jetzt auf dem Weg zur Macht
Das sind gravierende Herausforderungen für Produkthersteller, die auch - und vor allem - ihre Mitarbeiterstruktur betreffen. Beispielsweise haben sich die CIOs mit ihren IT-Bereichen schon vor Jahren vom internen Service-Provider zum Teil der Wertschöpfungsketten gewandelt. Das aber können die Herren über die IT nur deshalb leisten, weil ihnen ein breites Team an teilweise hoch spezialisierten Fachkräften wie etwa Datenwissenschaftlern oder Softwareentwicklern zur Seite steht.
Gerade Letztere werden schon in wenigen Jahren über das Wohl und Wehe vieler Unternehmen entscheiden. "Entwickler sind die künftigen Königsmacher", lautet die feste Überzeugung von Kempe. Viele CIOs dürften dieser Aussage zustimmen. Doch was das für sie selbst, ihren Aufgabenbereich und vor allem für die Zukunft des Unternehmens bedeutet, ist vielen noch nicht vollends bewusst.
Entwicklermangel blockiert Business
Kempe sieht eine Reihe von Herausforderungen, die in diesem Zusammenhang auf die IT-Chefs zukommen werden. An oberster Stelle steht der Mangel an qualifiziertem Personal. Laut Branchenverband Bitkom gab es Ende 2019 rund 154.000 offene Stellen für IT-Experten - ein Plus von 51 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und für die kommenden Jahre erwartet der Verband keine Besserung.
Bitkom-Präsident Achim Berg warnt bereits mit deutlichen Worten vor dieser Entwicklung: "Jede unbesetzte IT-Stelle kostet Umsatz und belastet die Innovationsfähigkeit der Unternehmen; der Mangel an IT-Experten bedroht die Wettbewerbsfähigkeit unserer gesamten Wirtschaft."
Das bedeutet für CIOs, dass sie den Entwicklern eine Arbeitsumgebung schaffen müssen, mit der sie nicht nur deren Kündigung verhindern, sondern vor allem junge Talente anwerben können. Das ist insofern besonders wichtig, weil diese jungen Entwickler mit modernsten Technologien vertraut sind. Kempe kann das gut begründen: "In der Softwareentwicklung erleben wir derzeit einen Technologiesprung, bei dem man sich von den klassischen monolithischen Ansätzen trennt und Anwendungen aus vielen Einzelbausteinen zusammensetzt, die dadurch flexibel und unabhängig voneinander vorangetrieben werden können. Dadurch entwickelt sich zunehmend ein Trend für den Einsatz von Container- und Serverless-Technologien.", so seine Beobachtungen.
Doch für diese "Cutting-Edge-Technologien" ist der Personalmarkt leer gefegt. "Die Entwickler, die übermorgen von den Unis kommen, werden das beherrschen, doch alle anderen müssen sich schnellstens damit vertraut machen", rät er den heutigen Professionals.
Inner Source denken
Das wiederum bedeutet für die IT-Oberen zweierlei: erstens, dafür sorgen, dass diese Technologien auch im eigenen Unternehmen zum Einsatz kommen, und zweitens, dass sie ihren Mitarbeitern die Chance geben, sich hierzu weiterzubilden. Das kann auch "On-the-Job" erfolgen, beispielsweise in einem Inner-Source-Umfeld.
Der Begriff leitet sich von Open Source ab und bedeutet, dass die Prinzipien von Open Source wie Zusammenhalt, Offenheit, Transparenz und Teamwork übernommen werden. Doch im Gegensatz zur großen weltweiten Open Source Community umfasst Inner-Source nur das eigene Unternehmen, das heißt, der Source Code, die gesamte IP, verlässt nicht den Unternehmensradius.
Das wichtigste Element hierbei ist die Gemeinsamkeit. Kein Entwickler kann noch sagen: "Das ist mein Source Code - lass die Finger davon." Stattdessen heißt es jetzt: "Das ist unser Source Code, lasst uns doch mal zusammen schauen, wie wir ihn verbessern können."
Da gibt es dann den Entwickler, der noch nicht so gut mit Containern vertraut ist, aber er lernt vom Kollegen: "Hey, lass uns das doch mal so probieren, dann sind wir viel zukunftssicherer, und ich habe dir nebenbei noch beigebracht, wie du das in Zukunft selber nutzen kannst."
Open Source praktizieren
Laut Kempe sollten sich die CIOs aber auch deshalb ganz intensiv mit Open Source beschäftigen, weil das ebenfalls eine unabdingbare Forderung der jungen Softwareentwickler ist. Damit meint er aber nicht die passive Rolle, bei der Open-Source-Komponenten übernommen und in eigene Software eingebunden werden.
"Für die Entwickler ist es heute ganz wichtig 'Open Source zu denken', das heißt, sie wollen aktiv an vielen Open-Source-Projekten mitwirken - und das auch mal während der Arbeitszeit und mit allen verfügbaren Ressourcen", lautet Kempes Appell an die CIOs und vor allem an die Controller. Denen sei es nur schwer beizubringen, dass teure Mitarbeiter nicht zu 100 Prozent für die eigene Firma arbeiten. Im Gegenzug heißt das für Unternehmen aber auch, dass sie ihrerseits von den erweiterten Ressourcen und dem Netzwerk der Open Source Welt profitieren können.
Hier sind die CIOs gefordert, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Anderenfalls laufen ihnen die besten Entwickler davon, und an Neueinstellungen ist nicht mehr zu denken. Die Folgen davon hat Achim Berg in seinem Kommentar zur Bitkom-Studie anschaulich vor Augen geführt.