Kontargyris trifft Jarzombek
Streitgespräch: CIO-Forderungen an die Politik
Constantin Kontargyris, 48, ist seit zwölf Jahren Konzern-CIO beim TÜV Rheinland. Er ist Präsidiumsmitglied von VOICE, dem IT-Verband der IT-Anwender. Das Pendant zum Bitkom zählt rund 400 CIOs und IT-Verantwortliche aus großen und mittleren Unternehmen zu seinen Mitgliedern.
Thomas Jarzombek, 41, hat sich vor knapp 20 Jahren als IT-Systemadministrator selbstständig gemacht und ein IT-Systemhaus aufgebaut. Er war von 2005 bis 2009 Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen. 2009 und 2013 wurde er für den Wahlkreis Düsseldorf Nord in den Bundestag gewählt. Er ist Mitglied im neuen "Ausschuss für Digitale Agenda" des Deutschen Bundestages und dort Sprecher der CDU/CSU-Fraktion.
Constantin Kontargyris: Die IT wird immer wichtiger für die Wirtschaft und die Gesellschaft. Wie kommen wir zu einem stärkeren Fokus der Politik auf IT-Themen?
Thomas Jarzombek: Wir sind hier schon weitergekommen. Früher wurden IT-Themen in einem Unterausschuss des Ausschusses für Kultur und MedienMedien behandelt. In der letzten Legislaturperiode gab es die Enquete-Kommission, eine Hälfte Abgeordnete, die andere externe Experten. Es gab nach drei Jahren einen Bericht über die Herausforderungen durch die Entwicklung von IT und Internet auf die Politik. Jetzt gibt es zum ersten Mal einen Vollausschuss zum Thema Internet und Digitale Agenda. Er hat keine Federführung, aber es ist ein Schritt nach vorne. Wir fühlen uns wie die Umweltpolitiker vor 30 Jahren. Top-Firmen der Branche Medien
"Es gibt viele Vorhaben, aber wenige Handlungen des Bundes"
Kontargyris: Bei VOICE wünschen wir uns den Dialog zwischen Unternehmen und Politik, damit die Politiker ein besseres Verständnis bekommen. Die Wichtigkeit der Themen für die Unternehmen ist dort noch nicht angekommen. Es gibt viele Vorhaben, aber wenige Handlungen des Bundes.
Jarzombek: Es gibt im Bundestag immer unterschiedliche Sichtweisen und Erkenntnistiefen. Die Bundeskanzlerin hat sich bei der Hannover-Messe zu IndustrieIndustrie 4.0 klar positioniert und gesagt, dass die Industrie keinen Trend verschlafen darf. Top-Firmen der Branche Industrie
"Dialog mit den Anbietern und nicht mit den Anwendern"
Kontargyris: Das ist aber eher ein Dialog mit den Anbietern und nicht mit den Anwendern. Wo findet dieser Dialog statt - ja auch nicht auf dem IT-Gipfel?
Jarzombek: Der IT-Gipfel 2012 fand ja bei Thyssen-Krupp statt. Da hat man sich gesagt, wir wollen zu einem klassischen Industrieunternehmen gehen und uns dort die Auswirkungen der digitalen Transformation ansehen. Der IT-Gipfel wird im kommenden Jahr neu aufgesetzt. Die Bundesregierung ist mit dem IT-Gipfel auch nicht mehr zufrieden. Es soll einen Multistakeholder-Ansatz geben.
Kontargyris: Wenn es bei Thyssen-Krupp stattfindet, heißt das ja noch lange nicht, dass die Anwender dort beteiligt sind. Ich war selbst dort. In den Arbeitskreisen sind sehr viele Anbieter, das macht die Sache schwieriger. Wir kommen da mit den Themen nicht voran.
"Der IT-Gipfel in Hamburg 2014 ist der letzte in der bisherigen Form"
Jarzombek: Der IT-Gipfel wird im Herbst in Hamburg das letzte Mal in der bisherigen Form stattfinden und wird dann neu ausgerichtet. Die Anwender sind eingeladen, da mitzumachen.
Kontargyris: Ist denn beim Ausschuss Digitale Agenda ein Dialog mit Anwenderunternehmen vorgesehen?
Jarzombek: Wir sind als Bundestag für jeden Dialog offen. Jeder, der uns anspricht, kann mit uns reden. Wir sprechen zum Beispiel auch mit Anwendern, der Netzgemeinde, Daten- und Verbraucherschützern.
Kontargyris: Wir erleben ja gerade alle, was an Innovationen von der IT kommt, welcher Treiber die IT ist. Sie hat eine ganz neue Bedeutung bekommen auch für die Politik.
Jarzombek: Die IT und das Internet verändern alle Bereiche der Gesellschaft wie der Wirtschaft auf extreme Art und Weise. Diesen Wandel zu begleiten, ist für die IT eine große Herausforderung. Die Geschwindigkeit der Innovationen ist sehr hoch. Sie ist eine völlig andere als die Geschwindigkeit der Gesetzgebung.
Kontargyris: Ich glaube nicht, dass es viele Politiker gibt, die aus der IT kommen. Zumindest erleben wir, dass die IT-Affinität bei der Politik nicht stark ausgeprägt ist. Dass Sie, Herr Jarzombek, von der IT in die Politik gegangen sind, das ist schon ungewöhnlich.
Jarzombek: Es gibt nicht viele Leute mit IT-Background im Deutschen Bundestag. Aber es gibt aber auch positive Beispiele wie meinen CSU-Kollegen Reinhard Brandl. Er ist promovierter Informatiker. Bei der FDP gab es einige Kollegen, die jetzt leider nicht mehr dabei sind.
"Jeder kann für den Bundestag kandidieren"
Es wäre wünschenswert, wenn sich mehr Menschen aus der IT-Industrie für Politik interessieren würden. Damit nicht nur Lehrer und Juristen im Bundestag sitzen, sondern auch Personen mit technischem Sachverstand. Jeder kann für den Deutschen Bundestag kandidieren - man muss es halt machen.
Infrastruktur: "So richtig weit sind wir da nicht gekommen"
Kontargyris: Eine wesentliche Voraussetzung für IT ist die Infrastruktur. So richtig weit sind wir da nicht gekommen. In Japan etwa gibt es ganz andere Möglichkeiten. Das ist ja eigentlich eine hoheitliche Aufgabe. Die deutsche Politik aber wartet darauf, dass die Unternehmen investieren.
Jarzombek: Wir haben in den 90er Jahren bewusst entschieden, die Bundespost in den Markt zu schicken und den Markt zu liberalisieren. Vor fünf Jahren waren nur 55 Prozent der Haushalte tatsächlich an Breitband angeschlossen, inzwischen sind es 85 Prozent. Das ist ein Sprung nach vorne. Wir liegen nach Eurostat nur noch drei Prozentpunkte hinter dem Spitzenreiter Finnland. Und die Anschlüsse sind bei uns sehr preiswert. Es geht eben nicht nur darum, wer die schnellste Leitung hat, sondern auch, wie viele es tatsächlich nutzen.
Kontargyris: Das sehe ich anders. Sie müssen auch mit den Bandbreiten Schritt halten. In Japan haben Sie eine 100 Mbit/s-Leitung bis nach Hause. Vieles in der digitalisierten Welt braucht diese Bandbreite. Im Business-Umfeld können Sie nichts mit schmalen Bandbreiten erreichen.
Jarzombek: Das stimmt, aber bei knapp 70 Prozent der Haushalte in Deutschland gibt es auch eine Bandbreite, die bis zu 100 Mbit/s geht. In Asien haben wir eine andere Ausganglage mit Metropolen, die sehr dicht besiedelt sind. Wir haben gerade im Bundestag eine Initiative vor allem für die Verfügbarkeit von mobilem Breitband eingebracht. Die Zukunft von Breitband ist vor allem mobil. Wir wollen weitere Frequenzen dafür zur Verfügung stellen. Bei LTE waren wir eines der ersten Länder in der Implementierung, das soll auch bei LTE Advanced mit dem Ziel 5G so sein. Und für kabelgebundenes Breitband im ländlichen Raum legen wir neue Förderprogramme auf.
Kontargyris: Die IT-Branche ist schnelldrehend, es muss sich auch etwas tun. Bei den Rahmenbedingungen sind wir zu langsam.
Jarzombek: Nein, die Rahmenbedingungen sind eigentlich gut, die Frage ist, was man daraus macht. Im Koalitionsvertrag steht, wir wollen ab 2018 mindestens 50 Mbit/s flächendeckend in Deutschland, das ist ein großes Ziel. Die Versorgung auf dem Land hängt auch stark von den Bürgermeistern und Landräten vor Ort ab. 50 Mbit ist ja auch nur ein Zwischenschritt. Am Ende muss man Glasfaser in jedes Haus verlegen.
Kontargyris: Es sind Milliardeninvestitionen notwendig. Die sollen von den Unternehmen kommen, die sind darüber nicht sehr froh. Das muss sehr viel stärker gesteuert und überwacht werden. Sonst geht es sehr viel langsamer, und gerade mittelständische Firmen haben einen Wettbewerbsnachteil.
"Das kann aber nicht alles von Berlin aus geregelt werden"
Jarzombek: Das kann aber nicht alles von Berlin aus geregelt werden. Wir haben eine kommunale Selbstverantwortung. Vor Ort kennt man sich am besten aus. Dazu haben wir das Breitbandbüro des Bundes als Berater. Dessen Budget haben wir gerade mit einer siebenstelligen Summe aufgestockt.
Kontargyris: Ich finde, das ist auch eine Aufgabe des Bundes. Die IT-Affinität auf dem Land ist bei der Politik noch geringer als auf Bundesebene. So erreicht man die Breitbandziele nicht.
Jarzombek: Es ist für jedes Unternehmen vor Ort besser, zu seinem Stadtrat und Bürgermeister zu gehen, als bei einem Beamten im Bundesministerium vorsprechen zu müssen. Ich glaube auch, dass die Situation bei den Unternehmen auf dem Land deutlich besser ist, als sie häufig beschrieben wird. Ich treffe häufig Leute, die den Mangel auf dem Land beklagen, selbst aber in der Stadt wohnen und nur denken, es müsse anderswo alles so schwierig sein. Meine Erfahrung ist, dass dem nicht immer so ist.
Man kann nicht erwarten, dass es den Big Punch gibt, es sind viele kleinere Maßnahmen notwendig. 2012 haben wir das Telekommunikationsgesetz geändert. Es geht etwa um die Mitnutzung der Infrastruktur des Bundes, also die Nutzung von Bundesfernstraßen oder Bahntrassen durch Glasfaserkabel von Telekommunikationsunternehmen. Bei den Frequenzen verhandeln wir mit den Ländern. Die erste digitale Dividende war ein großer Erfolg. Die Basisstationen sollen für LTE Advanced bis 2017 oder 2019 mit Glasfaser angeschlossen werden, sie sollen auch für die leitungsgebundene Infrastruktur geöffnet werden.
"Wie schützt der Staat die Unternehmen vor dem Angriff von anderen Staaten??"
Kontargyris. Ein anderes Thema: Wie schützt der Staat die Unternehmen vor dem Angriff von anderen Staaten? Die Firmen sollen die Vorfälle an das BSI melden. Aber wo ist da die Hilfestellung?
Jarzombek: Wir werden in der zweiten Jahreshälfte das IT-Sicherheitsgesetz auf den Weg bringen. Das BSI bekommt erweiterte Aufgaben, dazu kommen die Meldepflichten. Der Schutz vor Angriffsszenarien ergibt sich erst dann, wenn man diese kennt und man andere Unternehmen vor ihnen warnen kann.
Kontargyris: Das würde ja auch eine aktive Hilfestellung bedeuten, das habe ich bisher noch nicht gehört. Wenn ich einen Sicherheitsvorfall habe, habe ich anderes zu tun, als diesen zu melden. Ich brauche eine Unterstützung des Staates durch Experten.
Jarzombek: Darüber kann man reden. Es ist klar, dass die Meldepflichten dazu dienen, die Unternehmen zu unterstützen und sie zu beraten. Wenn man weiß, da ist ein Unternehmen, das angegriffen worden ist, dann können sich andere CIOs dagegen wappnen. Aktive Hilfe des BSI ist sehr sinnvoll. Dazu muss man die Rolle des BSI noch einmal neu definieren.
Kontargyris: Das wäre wirklich entscheidend.
Jarzombek: Auch die Landeskriminalämter helfen den Unternehmen. Es geht ja nicht nur um fremde Staaten sondern auch um Cyberkriminalität.
"Deutschland soll Verschlüsselungsstandort Nummer eins werden"
Kontargyris: Das Problem ist, dass die Tools ganz andere sind, wenn man als Unternehmen von einem Staat angegriffen wird. Das sind Dinge, vor denen ich mich nicht unbedingt schützen kann. Da kämpft David gegen Goliath, da brauchen wir eine andere Unterstützung. Da muss der Staat agieren.
Jarzombek: Das ist absolut notwendig und geht mit den Meldepflichten einher. Das Ziel der Initiative ist Unterstützung.
Mein Ziel ist es auch, dass wir in Deutschland Verschlüsselungsstandort Nummer eins werden, verschlüsselte E-Mails müssen zum Standard werden und mit einem Klick abgeschickt werden können. Der E-Mail-Verkehr zwischen den europäischen Providern muss verschlüsselt werden. Die Nadel zu finden ist immer schwieriger, je größer der Heuhaufen ist. Je größer die verschlüsselte Menge wird, desto knapper werden die Ressourcen, uns kompromittieren zu können. Die E-Mailprovider müssen sich dazu verpflichten, ansonsten werden wir das gesetzlich verankern.
Tut die Politik genug für Gründer und Innovationen?
Kontargyris: Absolut richtig, Sie müssen dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Ein weiteres Thema, das mir am Herzen liegt, ist das Thema Innovation. Auch dafür müssen die Bedingungen stimmen. Was tut die Politik, um Startups zu unterstützen?
Jarzombek: Hier in Berlin gibt es einen Gründerboom. Wir haben schon vieles getan, was die Kapitalversorgung in der Seed-Phase angeht. Was uns fehlt, ist Wachstumskapital. Dafür brauchen wir ein entsprechendes Ökosystem. Wir wollen ein Venture-Capital-Gesetz machen, um die Kapitalbedingungen zu verbessern. Auch beim Thema DatenschutzDatenschutz müssen wir in Richtung InnovationInnovation denken. Der Staat muss seine Daten bereitstellen. Wir haben dazu im Koalitionsvertrag ein Open-Data-Gesetz verabredet. Es gibt gerade im Verkehrsbereich sehr viele Daten, die viele Innovationen ermöglichen können. Alles zu Datenschutz auf CIO.de Alles zu Innovation auf CIO.de
Kontargyris: Wir bei VOICE wollen das auch unterstützen und den Gründern eine Bühne geben und ihnen so den Zugang zu Unternehmen erleichtern, dass sie sich mit CIOs treffen und unterhalten können.
Jarzombek: Das ist gut. Wir brauchen generell bessere Schnittstellen zwischen Unternehmen und Gründern und zwischen Staat und Gründern. Wir wollen das fördern und auch darüber sprechen, welche Rahmenbedingungen wir ändern müssen. Wir waren gerade in London, dort werden Topmanager und Gründer zusammengebracht. In Berlin wurde vor kurzem die "Factory" eröffnet, das größte deutsche Zentrum für Internet-Gründungen. Ich lade Sie gerne ein, sich mit dem Präsidium von VOICE ein eigenes Bild zu machen. Die Gründer würden sich freuen, mit Ihnen in Kontakt zu kommen.
Das Gespräch leitete Johannes Klostermeier.