Immer in Bewegung bleiben

Wo Car-Sharing noch seine Tücken hat

02.01.2019
Irgendwo einsteigen, losfahren, irgendwo abstellen: Car-Sharing ohne feste Stationen ist praktisch und beliebt. Wer sein Leih-Auto allzu einsam parkt, bringt aber das ganze System ins Wanken.

Randlage ist in Stuttgart eigentlich begehrt und teuer. Wer es sich leisten kann, meidet den engen Talkessel und wohnt lieber etwas abseits - mit entsprechendem Aufpreis, versteht sich. Bei Car2Go, Daimlers Car-Sharing-Dienst, ist es neuerdings umgekehrt: Wer in ein eher einsam am Stadtrand abgestelltes Fahrzeug einsteigt, zahlt nun oft weniger als bisher. Wer hingegen zur Hauptverkehrszeit in der verstopften Innenstadt ein Car2Go-Auto bucht, bekommt mehr berechnet. Randlagen-Rabatt gegen City-Zuschlag, und zwar nicht nur in Stuttgart, sondern überall in Deutschland.

Wer am Stadtrand einsteigt, zahlt bei Car2Go neuerdings weniger.
Wer am Stadtrand einsteigt, zahlt bei Car2Go neuerdings weniger.
Foto: Bjoern Wylezich - shutterstock.com

Hinter der Änderung der Preispolitik steckt ein Problem, das es nicht nur hier und auch nicht nur bei Car2Go gibt. Es plagt alle, die Car-Sharing nach dem sogenannten Free-Floating-Prinzip anbieten - also ohne feste Anmietstationen.

Für die Nutzer ist dieses Konzept ausgesprochen praktisch, weil sich oft gleich um die Ecke ein Leih-Auto findet und es nahezu überall innerhalb eines bestimmten Radius wieder abgestellt werden kann. Für die Anbieter aber hat das System einen Haken: Wird ein Fahrzeug in einer wenig frequentierten Gegend, meist irgendwo am Rand des Geschäftsgebiets, abgestellt, steht es dort unter Umständen stundenlang ungenutzt herum. Und wie bei Flugzeugen, Schiffen, Last- und Lieferwagen gilt auch beim Car-Sharing: Stillstand kostet Geld.

Herausforderung Standzeit

"Die Standzeiten der Fahrzeuge zu verkürzen, ist eine grundsätzliche Herausforderung des Free-Floating-Konzepts, je nach Stadt mal mehr und mal weniger", sagt ein Sprecher von Car2Go. Die Frage sei: "Wie bekommt man die inaktiven Fahrzeuge aus den Bereichen mit geringer Nachfrage heraus - und in Bereiche mit höherer Nachfrage herein?" Denn steuere man nicht aktiv gegen, gebe es irgendwann zu viele inaktive Autos in Randgebieten - und an den Hotspots der Innenstädte, wo sie gebraucht würden, nicht mehr genug.

Etwa 15 Mal am Tag wird jedes Car2Go-Auto im Wochendurchschnitt gemietet, es können aber auch mal über 20 Anmietungen sein - zum Beispiel in Berlin, in den 24 Stunden ab Freitagnachmittag, wie das Unternehmen vorrechnet.

Damit die Werte nicht deutlich darunter fallen, versucht es Car2Go nun mit den wechselnden Preisen, um Menschen zu animieren, in ein zu lange ungenutztes Auto einzusteigen. In Stuttgart etwa wurde vor gut einem Jahr auch schonmal das Geschäftsgebiet deutlich verkleinert. Dadurch fielen Gegenden weg, in denen häufig Autos strandeten.

Auch bei BMW kennt man das Problem

Auch bei DriveNow von BMW, jetzt noch Konkurrenz, bald aber Partner von Daimler in einem neuen Gemeinschaftsunternehmen, kennt man das Problem. Komplett flexibel ist das Preissystem dort zwar nicht. Geringere Minutenpreise für Autos, die zu lange ungenutzt sind, gibt es aber auch, wie ein Sprecher erklärt. Oder, wie in Köln, kostenlose Bonusminuten für Kunden, die ein Fahrzeug wieder zurück an einen Hotspot fahren. Auch Anpassungen der Geschäftsgebiete gebe es je nach Stadt immer wieder, sagt der Sprecher. Durchaus könnten die dadurch auch mal größer werden, zum Beispiel um eine gut frequentierte Bahn-Station noch einzubinden.

Aber bringt das alles auch was? "Die Menschen sind schon sehr preissensitiv", sagt Verkehrsforscher Martin Kagerbauer vom Karlsruher Institut für Technologie. Insofern könne die Taktik schon Erfolg haben. Auch ein möglichst homogen gestaltetes Geschäftsgebiet sei wichtig. Aber letztlich habe man es eben mit Menschen zu tun und die verhielten sich nicht immer rational. "Man wird so nicht alle Standorte der Fahrzeuge ändern können. Aber es ist ein erster Schritt, das zu steuern", sagt Kagerbauer.

Ansonsten müssten die Anbieter Mitarbeiter losschicken, um die Autos zurückzuholen - was die in manchen Fällen auch machen. "Aber man hat sehr schnell gesehen, dass sich das nicht lohnt", sagt Kagerbauer. "Es rechnet sich wirtschaftlich nicht." Car2Go etwa versucht deshalb, solche manchmal unvermeidbaren Aktionen mit ohnehin notwendigen Service-Maßnahmen an den Autos zu verbinden. Gesteuert wird das Ganze von einem Algorithmus, der dem Mitarbeiter auch sagt, wo er das Fahrzeug am Ende wieder abstellen soll.

Im September etwa betraf dieses Prozedere in Berlin rund zwei Prozent aller Fahrten der dort stationierten Autos. Ein weiteres Prozent waren reine sogenannte Relocation-Fahrten, also Touren, die allein dazu dienten, das jeweilige inaktive Fahrzeug wieder in eine belebtere Gegend zu bekommen.

Ideal ist das alles nicht. Auch DriveNow spricht zwar von eher vereinzelt auftretenden Fällen - die seien dann aber mit hohem Aufwand und entsprechenden Kosten verbunden.

Abhilfe durch autonome Fahrzeuge?

Abhilfe könnten autonom fahrende Autos schaffen, wenn es sie dann irgendwann gibt. Die parken sich dann - gesteuert vom Computer - selbst immer genau da, wo sie gerade gebraucht werden. Die Standzeiten gingen dadurch praktisch gegen null, dafür würde sich die Verfügbarkeit deutlich erhöhen, rechnet Car2Go vor. "Wir kalkulieren, dass wir in der autonomen Zukunft den heutigen Bedarf mit nur 50 Prozent der Fahrzeuge abdecken könnten", sagt ein Sprecher.

Diese Reduzierung der Fahrzeugzahl wäre auch dringend notwendig. Sonst bestehe durchaus die Gefahr, dass ganze Flotten leer und allein in der Gegend herumfahrender Car-Sharing-Autos wieder für mehr Verkehr sorgten, warnt Experte Kagerbauer. "Das wäre dann kontraproduktiv", sagt er. Denn eigentlich ist Car-Sharing ja genau für das Gegenteil gedacht. (dpa/ad)

Zur Startseite