Rückkehr zur Präsenzkultur
Abschied vom Home Office?
Marissa Mayer, die mittlerweile nicht ganz so neue Chefin von Yahoo!, macht es vor und alle ziehen jubelnd mit: Home Office, so scheint es, war einmal - wenn man der "Welt am Sonntag" glaubt. Die Zeitung will mit Daten des Statistischen Bundesamtes ermittelt haben, dass immer weniger Arbeitnehmer ihren Job von zu Hause aus erledigen. Die Daten basieren auf dem sogenannten Mikrozensus, den das Amt jedes Jahr durchführt. Ein Prozent der Haushalte, etwa 820.000 Personen, werden zu ihrem Leben und der Arbeitssituation befragt - und eben zum Thema Home Office. So arbeiteten 1996 noch 8,8 Prozent der Erwerbstätigen manchmal oder hauptsächlich daheim, 2008 sogar 9,7 Prozent der Angestellten. Vier Jahre später gaben nur 7,7 Prozent der Befragten an, Telearbeit zu nutzen. Heraus kam: "Der Trend zum "Home Office" ist eine Illusion". Eine eher überraschende These.
Das Gegenteil ist der Fall
War es das mit der Telearbeit? Mitnichten! Denn Arbeitsmarktforscher sehen einen genau entgegensetzten Trend. "Dass nur acht Prozent der Arbeitnehmer gelegentlich von zu Hause aus arbeiten sollen, kann ich mir nicht vorstellen", sagt etwa Christiane Flüter-Hoffmann, Home-Office-Expertin vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). "Im Gegenteil, etwa ein Drittel der Arbeitnehmer arbeitet inzwischen mindestens ein Mal in der Woche daheim."
Das hat auch die Studie "Arbeiten in der Digitalen Welt" des IT-Branchenverbandes Bitkom von 2013 ergeben: Demnach arbeiten 21 Prozent der Befragten täglich von zu Hause, weitere zwölf Prozent mindestens einen Tag in der Woche (zusammen 33 Prozent) und weitere 13 Prozent mindestens einmal im Monat. Zusammen genommen arbeiten also 46 Prozent der Befragten zumindest gelegentlich Home Office. "Immer mehr, gerade auch kleinere Firmen, bieten die Möglichkeit zum Home Office an", fügt Dennis Stolze, Forscher am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes überraschen auch die Experten.
Mobil und multilokal
Wie diese beiden Ergebnisse zusammen passen, kann Flüter-Hoffmann nur so erklären: "Viele beantworten per Smartphone und Tablet unterwegs mal schnell eine Email oder lesen noch ein Dokument. Das empfinden sie aber gar nicht als Telearbeit - obwohl es das natürlich ist." Ähnliches vermutet auch Stolze: "Inzwischen ist die Arbeit zunehmend entgrenzt. Arbeiten ist mobil immer öfter möglich. Die IT erlaubt es, von beinahe überall auf Daten zuzugreifen", sagt er. Die neue Multilokalität ersetzt die starre Zweiteilung Büroarbeit - Telearbeit, stattdessen können viele Tätigkeiten unterwegs erledigt werden. Wahrscheinlich hat das Statistische Bundesamt nur nach dem Home Office und damit zu einseitig gefragt, vermutet Stolze. Die vielen Möglichkeiten des mobilen Arbeitens wurden dabei außer Acht gelassen. Er nimmt die neue Flexibilität der Arbeit als positiv wahr und fügt hinzu: "Alles, was ich schnell unterwegs erledige kann, muss ich nicht mehr im Büro abarbeiten."
Home Office wird erwartet
Gegen die These der ungeliebten Telearbeit spricht auch, dass mehr junge Mitarbeiter schon im Vorstellungsgespräch nach dem Home Office Angebot fragten, erklärt Flüter-Hoffmann. Immer mehr Mitarbeiter - auch diejenigen über Fünfzig - erkundigten sich nach flexibleren Arbeitszeitmodellen, fügt Stolze hinzu. Solche Angebote erwarten die Angestellten inzwischen - und sie werden sie wohl zunehmend nutzen. Eine der Ursachen ist der demographische Wandel. "Bald werden wir uns immer stärker um die Elterngeneration kümmern müssen", sagt Stolze. Pflege und starre Arbeitszeiten lassen sich nicht vereinbaren. Nur flexiblere Zeiten, in denen man Aufgaben auch mal abends erledigen kann, wären eine Lösung, meint der Wissenschaftler. Von einer Verabschiedung von Telearbeit kann also keine Rede sein.
- Zehn Tabus im Home Office
Wenn aus dem heimischen Büro Tele- oder Videokonferenzen geführt werden, wird der Arbeitsplatz zum öffentlichen Raum. Dementsprechend ist auch am heimischen Schreibtisch alles tabu, was unprofessionell wirken könnte. - 1. Kinderlärm...
stört nicht nur die Gesprächsteilnehmer, sondern signalisiert ihnen auch, dass der Heimarbeiter ihnen nicht seine volle Aufmerksamkeit widmet. Bei fest terminierten Telekonferenzen sollten die Kinder außer Hörweite sein. - 2. Hundegebell oder Geräusche von anderen Haustieren..
schaden dem professionellen Image. - 3. Essen während eines Meetings vermeiden!
Bei Telefonen mit Stummschaltung erscheint dieser Ratschlag überflüssig, aber was, wenn der Teilnehmer mitten in einem herzhaften Bissen direkt angesprochen wird? - 4. Keine Hausarbeit...
während des Gesprächs erledigen – vielleicht stört die Waschmaschine im Hintergrund nicht mehr als der Fluglärm aus dem Handy des Kunden, aber der Image-Schaden ist unvergleichlich höher! - Fernseher, Radio oder sonstige Geräusche...
im Hintergrund lenken ab und wirken unprofessionell. - Ein leerer Akku...
ist immer ärgerlich für alle Beteiligten. Im Büro ist er obendrein peinlich. - Die private Ansage auf dem Anrufbeantworter...
„Hier ist die Familie …“ ruft immer Verwirrung hervor. Deshalb sollte das Bürotelefon auch nicht kurzfristig auf den Privatanschluss weitergeleitet werden. - Nicht im Schlafanzug ...
oder in der Badehose arbeiten. Ordentliche Kleidung fördert die Konzentration.
Trotz aller Vorteile ist die Telearbeit noch nicht in allen Firmen angekommen: "In vielen Unternehmen herrscht noch immer eine Präsenzkultur. Da wird Anwesenheit mit Leistung gleichgesetzt - obwohl das gar nicht stimmen muss", sagt Flüter-Hoffmann. "Das Vertrauen ist ganz entscheidend: Wenn eine Führungskraft dem Mitarbeiter nicht vertraut, dann kann es auch keine Telearbeit geben." Ein Chef muss einem Mitarbeiter auch ohne Kontrolle arbeiten lassen können, er muss anders führen - aber das scheint einige noch Überwindung zu kosten. Zudem sei Telearbeit für eine Führungskraft mehr Aufwand, denn man müsse den nicht anwesenden Mitarbeiter immer mitdenken, meint die Telearbeitsexpertin. "Viele Führungskräfte wollen aber gar nicht umdenken", sagt sie. Diese Einstellung bremst die Entwicklung hin zu mehr Home Office und flexiblerem Arbeiten.
Schattenseiten der Flexibilität
Aber es gibt auch Schattenseiten der Telearbeit. Viele Mitarbeiter fürchten, dass sie sich aus schlechtem Gewissen selbst ausbeuten und dadurch länger arbeiten. Studien zufolge nicht ganz zu Unrecht. Flüter-Hoffmann glaubt, dass dies nur Einzelfälle seien. "Wir erleben nicht, dass Firmen Druck machen", sagt sie.
Darüber hinaus beklagen Mitarbeiter laut Bitkom-Studie beim Home Office die Gefahr, von Team und Chef isoliert zu werden, und den Zwang, ständig erreichbar zu sein. Der Verlust der sozialen Kontakte kann auch ein Grund dafür sein, dass einige Menschen sich von der Telearbeit wieder verabschieden, glaubt Stolze vom IAO. "Es ist zwar schön, frei zu sein, aber nicht schön, allein zu sein", sagt er. Wer zu oft zu Hause arbeitet, läuft Gefahr, den Anschluss an die Kollegen zu verlieren. Zudem haben viele das Gefühl, zu Hause zu wenig zu leisten - und arbeiten deswegen sogar eher mehr, wie eine US-Studie ergeben hat. Diese Gefühl der Minderleistung entstehe, weil der Face-to-Face-Kontakt essenziell für den Informationsaustausch ist, meint Stolze. "Wir unterschätzen den sozialen Aspekt der Arbeit", sagt er. Dieser Ansatz würde zumindest einen Teil der Zahlen des Statistischen Bundesamtes erklären. Klar ist: "Diese Arbeitsweise muss man einfach lernen, sowohl von der Arbeitnehmer-, als auch von der Arbeitgeberseite." Beide Seiten müssen sich auf klare Regeln einigen und ausreichend kommunizieren.
"Telearbeit hat Zukunft"
Dass zuviel Telearbeit dem Wohlbefinden - und zum Teil der KarriereKarriere - schaden kann, ist inzwischen bekannt. Zudem ist das Arbeiten in den eigenen vier Wänden nicht für jeden Mitarbeiter geeignet. "Da gehört viel Selbstdisziplin und Eigenmotivation dazu", sagt Flüter-Hoffmann. Ob es zu einem passt, sollte man zwei bis drei Monate ausprobieren. Überhaupt empfiehlt das IW, nicht ausschließlich Telearbeit auszuüben, sondern einen Wechsel von Büroarbeit und Home Office. Das senkt die Gefahr der Isolation oder mangelnder Kommunikation, während die Mitarbeiter gleichzeitig zufriedener sind. Auf die richtige Balance kommt es an. Wie viel Telearbeit am besten ist, will das IAO in den nächsten Jahren in einem Forschungsprojekt herausfinden, erzählt Stolze. Telearbeits-Expertin Flüter-Hoffmann ist jedenfalls überzeugt: "Telearbeit hat Zukunft. In zehn Jahren wird es selbstverständlich sein." Alles andere wäre eine Illusion. Alles zu Karriere auf CIO.de