Vom Kabelschacht in die Chefetage
Die Geschichte von Cisco
Die Gründung im Orwell-Jahr 1984
Eine beliebte Geschichte zur Cisco-Gründung liest sich so: Sandra Lerner, die an der Stanford University im kalifornischen Palo Alto die Computer der Graduate School of Business verwaltete, verliebte sich in Leonard Bosack, der an der gleichen Uni für die Rechner der Computerwissenschaften verantwortlich war. Da ihre Rechnersysteme weit voneinander entfernt standen und dabei auch noch inkompatibel waren, erfanden sie 1984 die ersten Multiprotokoll-Router. So konnten sich die beiden quer über den Campus Liebesbriefe auf ihre Rechner senden.
Soweit die romantische Dichtung. In Wahrheit verhält es sich so, dass die beiden Verliebten den ersten Multiprotokoll-Router nicht alleine erfunden haben, sondern ein Team von Stanford-Mitarbeitern und Studenten. Tatsache ist aber, dass die verschiedenen Rechner mit den unterschiedlichsten Protokollen über den Campus hinweg vernetzt werden sollten. Das erste Gerät, mit dem das gelang, nannten die Entwickler nach der Gehäusefarbe "Blue Box".
Blue Box - der erste Multiprotokoll-Router
Das Rechnerboard innerhalb der Box hatte ein anderer Stanford-Student entwickelt: Andreas von Bechtolsheim. Er konstruierte eigentlich Workstations, die er über die von ihm mitbegründete Firma Sun Microsystems vertrieb. Sein Computerboard "68000" war mit damals unglaublichen 256 KB Hauptspeicher ausgestattet und damit auch für die Netzwerker attraktiv. Die Netzwerkplatinen der Blue Box stammten ebenfalls von Studenten und Mitarbeitern der Uni in Palo Alto, Leonard Bosack war einer davon.
Die Software für den Router - das Kernstück der Box - entwickelte aber William Yeager, damals Staff Research Engineer von Stanfords Medizinfakultät. Er nutzte Bechtolsheims Rechnerplatine und schuf mit NOS (Network Operating System) ein Netzwerkbetriebssystem, das auch noch multitasking-fähig war. Mit ihm war es möglich, verschiedene Protokolle, darunter auch das Internet Protokoll, zu routen und so Daten zwischen Workstations, Mainframe-Terminals, Druckern und Servern auszutauschen.
Die Blue Box war ein voller Erfolg und allein auf dem Stanford-Campus arbeiteten mehr als zwei Dutzend davon. Die Nachfrage stieg schnell, auch andere Universitäten wollten sie haben. Ende 1984 starteten Lerner und Bosack ihr eigenes Unternehmen im Wohnzimmer und nannten es "Cisco", nach der berühmten Stadt im Norden von Palo Alto.
Im Clinch mit Stanford und Kollegen
Das neue Unternehmen wollte die Blue Box gerne vermarkten. Aber Stanford hielt die Rechte daran und verweigerte die Zustimmung. Die Universität wollte 1985 den Campus neu vernetzen und dafür nur mehr das Internet Protokoll (IP) nutzen. Bosack und Kirk Lougheed, ein anderer Stanford-Mitarbeiter, der später ebenfalls zu Cisco kam, nahmen Yeagers Originalsoftware und verkürzten sie auf die ausschließliche Abarbeitung von IP-Traffic. Das Projekt war ein Erfolg, der Campus war über IP vernetzt.
Allerdings gab es ja die Firma Cisco schon und deren erstes Produkt, das Netzwerk-Interface "MEIS" (Massbus Ethernet Interface Subsystem), das die 20 DEC-Minicomputer von Stanford mit dem Universitätsnetz verband. Ab 1986 vermarktete Cisco seinen ersten Multiprotokoll-Router, den "Advanced Gateway ServerServer" (AGS). Die Verantwortlichen der Universität bemerkten schließlich, dass die Cisco-Gruppe um Bosack ihre privaten Entwicklungen während der Arbeitszeit in Stanford erledigten und sich noch dazu des Knowhows der Universität bedienten. Der AGS beruhte auf der Entwicklung von Yeager und der Blue Box. Im Juli 1986 verließen Bosack und Lougheed die Universität im Unfrieden, Sandy Lerner war schon früher gegangen. Alles zu Server auf CIO.de
Damit begnügte sich die Universität aber nicht, sie wollte von Cisco Geld sehen und drohte sogar mit einem Gerichtsverfahren. Im April 1987 einigte man sich darauf, dass Cisco 19 300 Dollar an die Universität zahlte und dazu noch Lizenzeinnahmen in Höhe von 150 000 Dollar. Zugleich sicherte sich Stanford einen Preisnachlass bei der Anschaffung von zukünftigen Cisco-Produkten.
Bis heute äußern sich die damals Beteiligten nur ungern über die genauen Umstände. Softwareentwickler Yeager, der einen Teil der Lizenzeinnahmen erhielt, lieferte einen Großteil davon in seiner Abteilung an der Uni ab und beklagt bis heute, dass er von Cisco kaum öffentliche Wertschätzung für seine Pionierarbeit erfahre. Leonard Bosack will sich angeblich nie mehr zu den Anfängen von Cisco äußern und Sandy Lerner glaubt, dass es damals ein guter Deal für alle war: "Stanford erhielt Geld und Cisco pflegte das Campus-Internet drei Jahre lang."
Universitätsgranden wie Tom Rindfleisch, damals Chef von Softwareentwickler Yeager, beklagten allerdings vor allem den immateriellen Schaden der Cisco-Erfahrung. Er fürchtete, dass in Zukunft Ideen, Informationen und Entwicklungen, die sich vermarkten lassen, nicht mehr geteilt würden und man so auf dem Campus nicht mehr von der Arbeit der anderen profitieren könne.