Arbeitsleben
Dienstreisen: Schauen Sie aus dem Fenster!
Besinnungslose Betriebsamkeit
Das zwanghafte Arbeiten unterwegs ist für den Psychologen Stephan Grünewald ein Indiz der "besinnungslosen Betriebsamkeit", die er den Deutschen in seinem Buch "Die erschöpfte Gesellschaft" attestiert.
Grünewald ist überzeugt, dass träumerisch aus dem Fenster zu sehen, keineswegs vertane Zeit ist. Mußestunden auf Reisen sind Phasen, in denen die guten Einfälle, die klugen Gedanken uns überkommen. "Dieses schöpferische Moment, das in der Fähigkeit zum Schweifen begründet ist, wurde dem Effizienzdiktat geopfert." Man fühlt sich verpflichtet, die ein oder zwei Stunden Zugfahrt nutzen zu müssen, um irgendwelche Dinge abzuarbeiten. Und verschenkt die Gelegenheit zum Träumen, der wahren Quelle der Schöpferkraft.
Für Grünewald als Freudianer und Schüler Wilhelm Salbers ist das Träumen der Königsweg, um aus der Alternativlosigkeit der Alltagsmühle herauszukommen. Und gerade den Deutschen rät er, sich auf ihre besonderen Träumerqualitäten zu besinnen. "Deutschland hat stark gemacht, dass wir in der Lage waren, über das Träumen unsere Unruhe in Schöpferkraft zu verwandeln, in Erfindungen, Patente, Dichtkunst, philosophische Systeme."
Die "Innerlichkeit", die nicht erst der britische Historiker Peter Watson uns 2010 in seinem Buch "Der deutsche Genius" attestierte, war auch wirtschaftlich immer unsere große Stärke. Wir sollten uns fragen, ob wir ein Land der Arbeitsbienen, der Controller und Bürokraten sein möchten, oder eines der Dichter und Denker - und Tüftler.
Die ausgedehnten Reisestunden im mobilen Zeitalter eignen sich ganz hervorragend dafür, um unsere Traumstärke wieder zur Geltung zu bringen. Einfach aus dem Fenster zu sehen, ist ein guter Anfang.
(Quelle: Wirtschaftswoche)