Interview mit Arbeitsrechtler
E-Mails dürfen nicht einfach gelöscht werden
Herr Dzida, IT-Fachleute raten Arbeitnehmern ernsthaft, ihrer Überforderung durch viele E-Mails Herr zu werden, indem man sie am besten kurzerhand löscht. Würden Sie beipflichten oder welches Risiko geht derjenige ein, der solchem Tipp folgt?
Boris Dzida: Arbeitnehmer, die dienstliche Mails einfach ungelesen löschen, riskieren im schlimmsten Fall eine fristlose Kündigung. Stellen Sie sich vor, beim Vertriebsleiter geht per E-Mail ein Großauftrag ein, der nur innerhalb weniger Tage angenommen werden kann. Wenn der Vertriebsleiter die MailMail ungelesen löscht und der Auftrag geht an die Konkurrenz, dann ist das ein fristloser Kündigungsgrund. Die tägliche Mail-Flut aber einfach mit der Delete-Taste zu lösen klingt einfach, ist brandgefährlich. Alles zu Mail auf CIO.de
Und wer keine Aufträge bekommt und vielleicht im Sekretariat, als Sachbearbeiter oder Abteilungsleiter Marketing arbeitet. Welche Risiken haben die?
Boris Dzida: Auch bei anderen Arbeitnehmern kann es eine Pflichtverletzung sein, dienstliche Mails ungelesen zu löschen. Allerdings darf der Arbeitgeber ihn deshalb nicht automatisch fristlos kündigen, sondern muss erst abmahnen. Denn es kommt auch darauf an, ob tatsächlich 'etwas passiert'. Angenommen, der Chef ist auf Reisen und mailt der Sekretärin, dass sie ihn auf einen früheren Rückflug buchen soll. Wenn sie das einfach löscht, kann man sie abmahnen. Es gibt aber auch viele dienstliche Mails, die so belanglos sind, dass noch nicht mal abgemahnt werden kann. Wer aber beispielsweise nach dem Urlaub einfach alles löscht, was während des Urlaubs so eingegangen ist, fährt ein hohes Risiko, dass eben doch etwas Wichtiges dabei ist.
Was ist mit dem umgekehrten Fall: Dürfen Arbeitgeber rigoros alle E-Mails, die sich auf Accounts der Angestellten befinden, löschen? Ohne einzelne Vorwarnung?
Boris Dzida: Damit kann sich der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig machen. Wenn der Arbeitnehmer das dienstliche Mail-System auch privat nutzen durfte, dann darf der Arbeitgeber das Account nicht einfach löschen, zum Beispiel nach einer Kündigung. Denn es kann ja sein, dass der Arbeitnehmer auf diesem Account private Mails hat, die er noch braucht. Deshalb hat das Oberlandesgericht Dresden es für möglich gehalten, dass ein freier Mitarbeiter Schadensersatz beanspruchen kann, wenn sein Account am letzten Arbeitstag sofort gelöscht wird. Das Gericht entschied: Bei erlaubter Privatnutzung darf ein dienstliches Account solange nicht gelöscht werden, bis feststeht, dass der Mitarbeiter für seine privaten Daten keine Verwendung mehr hat.
- Archivieren oder lieber nicht
Darf ein Unternehmen jede E-Mail archivieren? Was passiert mit privater Korrespondenzen? Sollte jede E-Mail verschlüsselt werden? Hier finden Sie die gröbsten Fehleinschätzungen bei der E-Mail-Archivierung. - 1. Jede Mail muss archiviert werden
Alle Unternehmen – Kleingewerbetreibende ausgenommen – müssen ihre komplette Geschäftskorrespondenz für sechs bis zehn Jahre ab Ende des Kalenderjahres aufbewahren. - 2. Jede Mail darf archiviert werden
Einige E-Mails können, andere müssen gespeichert werden. Es gibt aber auch Mails, die auf keinen Fall mitgespeichert werden dürfen: private E-Mails von Mitarbeitern, soweit keine explizite Einwilligung der Mitarbeiter vorliegt. - 3. Das Verbot privater Mails in Unternehmen ist juristisch ohne Alternativen
Auch wenn es die bequemste und einfachste Methode ist: Ein striktes Verbot für private E-Mail ist nicht mehr zeitgemäß. Der gesamte Social-Media-Bereich weicht die Grenze von privater und geschäftlicher Nutzung IT auf und gerade die Einbindung des Unternehmens in Facebook, Twitter oder ähnliche Netzwerke erfordert eine private oder halbprivate E-Mail-Korrespondenz während der Arbeitszeit. - 4. Das E-Mail-Archiv muss verschlüsselt sein
Der Gesetzgeber verlangt keine Verschlüsselung. Einige Fälle von unbeabsichtigten Datenverlusten zeigen aber, dass es im Eigeninteresse der Unternehmen liegen sollte, Daten verschlüsselt zu speichern und zu übertragen. - 5. Bordmittel des E-Mail-Servers bieten alle nötigen Optionen
E-Mails werden häufig in proprietären Archivdateien gesichert, wie beispielsweise PST-Dateien in Exchange-Umgebungen. Diese enthalten nicht nur die gesicherten E-Mails, sondern auch Kalendereinträge, Kontakte sowie Aufgaben und werden häufig auf dem Endgerät des Anwenders abgespeichert. Dies reduziert zwar die Datenmenge auf den Mail-Servern, bietet aber keinerlei Compliance. - 6. Ein E-Mail-Archivsystem garantiert Rechtskonformität
Neue, automatisierte Appliances oder Cloud-Lösungen mit hohem Zusatznutzen steigern die Motivation in Unternehmen, ihre E-Mail-Archivierung rechtskonform aufzusetzen. Doch die Tools automatisieren nur den Archivierungsvorgang. - 7. E-Mail-Archivierung geschieht nur aus juristischen Gründen
Selbst wenn es keine gesetzliche Verpflichtung geben würde, ist eine Sicherung der E-Mails nach heutigen Standart sinnvoll: Eine umgehende Wiederherstellung verloren gegangener E-Mail-Infrastrukturen ist jederzeit möglich - entweder von einer lokalen Appliance oder von einem externen Rechenzentrum, wo die Daten gespiegelt sind.