Albtraum Transparenz

Es lebe das Geheimnis!

27.10.2014
Von Ferdinand Knauß

Der geheimnislose Arbeitsplatz

Doch das Misstrauen, das der Anspruch des totalen Durchblicks verursacht, fällt als Bumerang immer auch auf den Menschen zurück. Auf den Arbeitnehmer vor allem. In der Arbeitswelt ist der Transparenztraum bereits für Millionen Menschen Wirklichkeit geworden. Und mit ihm ein Klima des dauernden Misstrauens. In vielen heutigen Unternehmen herrscht ein Kult der Kontrolle. Hochqualifizierte und vermutlich hoch motivierte Angestellte müssen in Großraumbüros mit gläsernen Wänden und Türen arbeiten, wo jeder verträumte Blick aus dem Fenster, jedes Nasebohren, jeder Anruf des Ehepartners transparent ist. Keine Sekunde kann der Großrauminsasse sicher sein, unbeobachtet zu bleiben. Selbst von der Straße aus sind viele Bürogebäude durchschaubar.

Geheimnisse haben zu dürfen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen von Freiheit. Und Freiheit ist Voraussetzung für jede kreative Arbeit. Die türlosen, gläsernen Büromonster unserer Tage stehen in der Tradition des antiken Steinbruchs, der so angelegt war, dass die darin schuftenden Sklaven, deren Motivation zu Recht bezweifelt werden konnte, stets von Aufsehern beobachtet werden konnten. Angesichts des offenen und jederzeit spürbaren Misstrauens, das solche Arbeitsbedingungen offenbaren, muss sich niemand wundern, dass ein wachsender Teil der Büroangestellten längst innerlich gekündigt hat und für seine Aufpasser nur das unbedingt notwendige und sichtbare tut.

Eine Welt ohne Geheimnis, so Hartmut Böhme, wäre nicht nur eine "Welt ohne Liebe" und "den Zauber der Attraktion", sondern auch eine "Wüste der Langeweile" und der "Verlust aller Spannkraft". Das kann sich eigentlich auch kein Unternehmen wünschen, das letztlich auf nichts so sehr angewiesen ist, wie auf die Kreativität und Arbeitsfreude seiner Mitarbeiter.

(Quelle:Wirtschaftswoche)

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