ERP bei Liqui Moly, Otto & Co.
Gescheitert am ERP-System
Lidl, die Deutsche Post, die Deutsche Bank und Otto: Die Liste der gescheiterten SAP-Einführungen in großen Konzernen in Deutschland ist lang. Liqui-Moly-Chef Ernst Prost hat seine Frust über die gefloppte Einführung von Microsoft AX in seinem Unternehmen reichlich ernüchtert auf den Punkt gebracht: "Das ist schlimmer als Brexit, Trump und Handelskrieg", wetterte er in der Frankfurter Allgemeinen am 10.07.2019 . Es ist also im Grunde egal, welche ERP-Software genutzt wird - sie ist es nicht, die primär für Probleme verantwortlich ist. Vielmehr kann jeder einzelne der folgenden Gründe die Implementierung eines Enterprise-Resource-Planning-Systems zum Scheitern bringen.
1. Personalressourcen
Es sind keine Key User und Prozessexperten vorhanden oder sie müssen erst ausgebildet werden und in ihre neue Rolle mit all ihren Herausforderungen hineinwachsen. Nicht selten muss erst einmal geklärt werden, was Key User und Prozessexperten sind und welche Aufgaben sie haben. Das nimmt einige Zeit in Anspruch, die idealerweise vor dem Start des Projektes investiert werden sollte und nicht erst währenddessen. Denn dann ist es eigentlich schon zu spät. Ist das Projekt bereits gestartet, ist keine Zeit mehr für die Ausbildung der Projektmitglieder vorhanden, denn diese Mitarbeiter müssen dann schon Gas geben.
Weiterhin wichtig in diesem Kontext ist die absolute Transparenz für die Abteilungsleiter der verschiedenen Geschäftsbereiche. Sie sollten wissen, inwieweit ihre jetzt an das ERP-Projekt abgegebenen Mitarbeiter noch zur Verfügung stehen. Sind sie zu 100 Prozent in das Projekt abgegeben oder variiert die Projekttätigkeit.
Ein Schema kann zum Beispiel sein: zu Anfang 80 Prozent für die Konzeption/Blue-Print-Phase, dann 50 Prozent während der Implementierung und dann 100 Prozent für die Tests und den Go Live. Dieser Punkt muss sehr klar sein, denn oftmals gibt es Spannungen oder Unverständnis bezüglich der Zeitaufwände zwischen den Abteilungen und dem Enterprise-Resource-Planning-Projekt.
2. Internes Projekt-Knowhow fehlt
Zwar ist das theoretische Rüstzeug zum Thema Projektmanagement-Methodik heutzutage zumeist vorhanden, es mangelt jedoch an der engen Zusammenarbeit mit dem (Top-)Management. Oft fehlt die Seniorität und damit die Courage und die Offenheit, Fehler zuzugeben und Probleme frühzeitig zu berichten. Für die daraus resultierende Schönmalerei gibt es unterschiedliche Gründe, ein durchaus nachvollziehbares, jedoch kaum zielführendes Motiv ist die Karrierechance, die sich insbesondere für Projektleiter auftut. Wer will sich in dieser Situation schon unbeliebt machen. Dennoch muss auch hier gelten: Ehrlichkeit währt am längsten. Hier kann ein Coach für den Projektleiter hilfreich sein.
3. User fordern Customizing anstatt im Standard zu bleiben
Das ist der Klassiker für Projektverzögerungen und die spätere Komplexitäts- und Kostenfalle. Was tun, wenn der User/Anwender nur seine bisherige Arbeitsweise kennt und die gewohnten Prozesse genauso wiederhaben will? Klassisch argumentiert wird hier, dass dieses Prozedere schließlich eine Besonderheit des Unternehmens sei (ohne die man nie so groß geworden wäre) und dass eine Änderung der Vorgehensweise das Risiko berge, dass nichts mehr voran geht
Lesetipp: Wenn Mitarbeiter Projekte verhindern
Andersherum: Wenn man im Standard bleibt und nicht auf die Wünsche der User eingeht, dann entsteht Widerstand, der dazu führen kann, dass die ERP-Einführung bewusst blockiert wird. Hier ist sehr viel Feingefühl, Führungsqualität und Change Management von Nöten. Die Vorgesetzten der Anwender müssen hier klar ihre Verantwortung erkennen, entsprechend Position beziehen und deutlich sagen, wie vorgegangen wird und auch klären was das für den User am Ende bedeutet.
4. Planung der Testphase ist unzulänglich
Den Anwendern fehlt die Zeit, um sich tief genug mit dem System vertraut zu machen oder sie können die Testfälle gar nicht abarbeiten. Testfallkataloge existieren oftmals nicht oder die wesentlichen Funktionen wurden vergessen. In der Folge werden Fehler nicht erkannt oder der Umgang mit Fehlern - so sie erkannt werden - wird in der Testphase nicht thematisiert. Abnahmen von Tests sind häufig nicht vorhanden, weil sie mit Blick auf die Zeit auf "hinterher" verschoben werden. Im Ergebnis fehlen dann wichtige Funktionen im Live-Betrieb.
Diese vermeintlich kleinen Dinge, die dann ausgelassen werden, haben auf den Gesamtprozess gesehen aber oftmals enorme Auswirkungen. So kann es dann sein, dass Warenlieferungen wegen Lücken im Gesamtprozess fehlerhaft sind. Um solche Pannen zu vermeiden ist es wichtig, trotz jeglicher Komplexität eines Enterprise-Resource-Planning-Projektes auch die kleinen Details im Auge zu behalten.
5. Schulungen
Schulungen - die perfekte Bühne für Dramen aller Art. Das fängt schon bei den Kosten an, die bei hohem Schulungsbedarf ruckzuck durch die Decke gehen können. Das Planen und Koordinieren von Schulungen für mitunter mehrere 100 User kostet ebenso Zeit wie die Fortbildung an sich. Woher soll man die Zeit dafür nehmen? Und was, wenn die vorgesehenen Schulungen alleine für die effiziente Bedienung des neuen ERP-Systems dann doch nicht ausreichen? Das wird im Vorhinein häufig nicht bedacht.
- E-Learning im Job und Talent-Management
Unternehmen müssen im Talent-Management neue Wege gehen und verstärkt in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren. Folgende Tipps zum Thema E-Learning können den Experten von Right Management zufolge helfen, die Weichen in Sachen Skills und Ausbildung neu zu stellen und das Lernen attraktiv zu gestalten. - Tipp 1: Lernen ohne Ausbilder
Um Neues zu lernen, muss nicht immer ein Ausbilder präsent sein. E-Learning erlaubt Experten, Lehrpläne granular zu entwerfen, Kurse oder einzelne Lektionen aufzuzeichnen und alles über eine Online-Plattform abrufbar zu machen. Damit ist E-Learning ein wichtiger Schritt in Richtung selbstbestimmtes Lernen. - Tipp 2: Lernfreude im Team
Online- und selbstbestimmtes Lernen bedeutet nicht notwendig allein lernen. Die gemeinsame Schaffung von Lerninhalten sowie das Kategorisieren und Teilen von Content sind gut geeignet, einen Geist der Zusammenarbeit zu schaffen. Geschieht das unter Zuhilfenahme von Elementen aus Social Media, Smartphone-Apps und Spielen, erleben die Mitarbeiter die Faszination der Echtzeit-Zusammenarbeit. - Tipp 3: Lernen überall und jederzeit
In der modernen Business-Welt erweist sich der allgegenwärtige und zeitunabhängige Zugang auch zu sehr spezialisierten Informationen als großer Segen. Ein Lern- beziehungsweise Talent-Management-System sollte dabei auch stark die Aspekte einer zunehmend mobilen Welt berücksichtigen. - Tipp 4: Produktive Lernportale
Bei Weiterbildungsmaßnahmen ist zu vermeiden, dass sich Mitarbeiter langweilen und länger aus dem produktiven Business abgezogen werden. Das gelingt am besten über geeignete Lernportale, vor allem wenn sie populäre Trends wie zum Beispiel Gamification und Mikro-Learning berücksichtigen. Lernen wird so zur arbeitsbegleitenden Sofortmaßnahme, über die Mitarbeiter kontinuierlich ihre Qualifikation verbessern. - Tipp 5: Talent-Management & Learning
Lernen ein starker Treiber für Qualität und Leistung. Sicht- und messbar wird das aber nur, wenn die Disziplinen E-Learning, Personalwesen und IT ihre Synergien ausschöpfen. Tools, die E-Learning und Talent-Management-Programme zusammenführen, sind dafür eine gute Basis. - Tipp 6: Lernbereitschaft fördern
Um Lernakzeptanz bei den Mitarbeitern zu erzielen, empfiehlt sich für Unternehmen ein Mix aus traditionellem Lernen und digitalen, selbstbestimmten Lernprogrammen. Letztere wiederum sollten die gesamte Palette von einfachem E-Learning über Mischprogramme bis hin zu virtuellen 3D-Elementen abdecken.
Es wird deutlich, wie wichtig eine sehr frühzeitige und gut kommunizierte Planung ist - vor allem auch, damit die Führungskräfte verstehen, dass ihre Mitarbeiter während des Trainingszeitraums nicht zur Verfügung stehen. Daher gilt: Wer den Zeit- und Koordinationsaufwand von Schulungen und Trainings frühzeitig im Auge behält, dem rauben diese nicht den Schlaf.
6. Stammdaten
Stammdaten - nicht selten ein Trauerspiel. Bei der Qualität von Stammdaten müssen die Erwartungen vor ERP-Einführungen häufig erschreckend weit heruntergeschraubt werden. Im schlimmsten Falle gibt es gar keine Stammdaten oder aber sie fristen in Office-Programmen, beziehungsweise im alten Enterprise-Resource-Planning-System ihr trauriges Dasein. Rudimentär gepflegte, veraltete Stammdaten bergen das Risiko von Dopplungen, unterschiedliche Versionen und sorgen für weiteres Chaos. Viele im neuen ERPERP benötigte Stammdaten müssen neu generiert und aufgebaut werden, weil es sie noch gar nicht gibt. Alles zu ERP auf CIO.de
Gibt oder gab es bisher noch keinen Stammdatenverantwortlichen, dann müssen sich die Key User sehr intensiv mit dem Thema Stammdaten beschäftigen und haben dadurch weniger Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben im ERP-Projekt und ihr normales Aufgabegebiet. Ergo ist es entscheidend, dass die Organisation der Stammdaten sehr frühzeitig, am besten vor dem Projekt etabliert wird. Die entsprechenden Rollen und Verantwortlichkeiten müssen klar geregelt sein. Da diese Jobs sind nicht sehr beliebt sind, ist es nicht immer leicht, hierfür gute Leute zu finden. Für den Projekterfolg sind sie jedoch maßgebend.
7. Die ERP-Einführungsstrategie
Die Einführungsstrategie wird nicht ausreichend analysiert und einzelne Szenarien werden nicht genau genug auf mögliche Risiken geprüft. Das führt oft zu Big-Bang-Einführungen, die das Unternehmen schlimmstenfalls erbarmungslos lahmlegen. Hier sind mitunter kurze Sprints und schnelle Einführungen von Teilbereichen sinnvoller. Zwar lauern hier die Probleme einer komplexen Architektur sowie die der Schnittstellen zu Altsystemen, aber einen Tod muss man sterben. Schlussendlich führen halbherzige Diskussionen und nicht durchdachte Schritte dazu, dass eine Einführungsstrategie bei näherer Betrachtung oftmals nicht den Namen verdient.
Lesetipp: Ist das noch ERP - oder kann das weg?
8. Die Prioritäten
Die Prioritäten ändern sich. Das ERP-Projekt kann ganz schnell auf Prio 2 oder 3 rutschen, wenn zum Beispiel ein neuer großer Kunde oder Lieferant hinzukommt, Lieferanten oder wichtige Kunden abspringen oder ein neues Unternehmen gekauft wird. Im Nu rückt das Enterprise-Resource-Planning-Projekt aus dem Fokus und wird von heute auf morgen sowohl vom Top-Management als auch von Key Usern und Prozessexperten zur Seite geschoben. Das führt verständlicherweise zu Verzögerungen, die aber nicht immer als solche wahrgenommen werden. Trotzdem soll die Einführung des Enterprise-Resource-Planning-Systems dann sozusagen "nebenbei" fortgeführt werden - was aber meistens danebengeht.
Solche Verzögerungen haben den weiteren Nachteil, dass alle Beteiligten sich wieder neu einarbeiten müssen, was nicht gerade motivierend wirkt. Dem Top-Management muss klar sein, dass Verschiebungen von Prioritäten große Auswirkungen auf den Projekterfolg haben. Ressourcen sollten nicht von heute auf morgen in andere Projekte abgezogen werden. Stattdessen sollte das Management an dieser Stelle im Interesse des Unternehmens besonderes Feingefühl walten lassen.
9. Der Change-Prozess
Die sogenannte Change-Komponente eines ERP-Projektes wird völlig unterschätzt. Nicht selten wird die ERP-Einführung unbedacht in die 'IT-Projekt-Schublade' gesteckt. Das ist ein Fehler, denn ein Enterprise-Resource-Planning-Projekt fordert die gesamte Organisation, geht es doch um die Einführung von zum Teil vollständig neuen Prozessen und Arbeitsabläufen. Dies hat zur Konsequenz, dass Mitarbeiter auf einmal völlig neue Rollen und Aufgaben haben. Im worst case wurde eine Aufgabe sogar 'weg-automatisiert' - was dann? Solche Szenarien müssen thematisiert werden. Hier ist nicht nur Führung und Coaching gefragt, sondern auch der Betriebsrat, welcher gegebenenfalls rechtzeitig ins Boot geholt werden sollte.
10. Der Projektabschluss
Last, but not least fehlt leider viel zu oft ein echter Projektabschluss mit Übergabe an die Abteilungen, Unterschriften aller Top-Manager sowie eine gemeinsam verabschiedete Offene-Punkte-Liste. Nur ein solches, offizielles Dokument macht klar, dass das Projekt abgeschlossen wurde, in welchem Zustand es bei der Übergabe war, was noch offen ist und wer sich bis wann darum kümmert. Das ist dann nicht mehr Projektaufgabe, sondern Verantwortung der Abteilung. Projektleiter und seine -mitglieder sind dann entlastet und ebenfalls wieder zurück in ihren Abteilungen oder in eine neue Aufgabe beordert.
Fazit
Diese zehn Punkte zeigen noch einmal sehr deutlich, dass eine ERP-Einführung kein IT-Projekt ist, sondern die gesamte Organisation fordert. Es ist nicht primär die Enterprise-Resource-Planning-Software selbst, die zum Scheitern von großen ERP-Projekten führt, sondern das "Drumherum" im Sinne der zehn genannten Punkte.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese zehn Punkte vor Projektstart beherzigen und damit ein solides Fundament für eine erfolgreiche ERP-Einführung schaffen. Denn wichtig ist die gute und richtige Vorbereitung sowie eine über allem stehende Vision des Enterprise-Resource-Planning-Projektes. Denn nur diese gibt dem ERP-Projekt einen Sinn und kann damit auch in schwierigen Phasen Motivation zum Durchhalten bis zum erfolgreichen Go Live verleihen.