Retail IT


Otto Group

Inkasso ... find' ich gut

31.07.2013
Von Henryk Hielscher
Marken wie Otto, Baur und Schwab haben das Image als Versandimperium geprägt. Doch ein so unbekanntes wie profitables Geschäftsfeld hat der Handelssparte längst den Rang abgelaufen: Otto ist Deutschlands größter Schuldeneintreiber.

Hans-Otto Schrader war stolz. "Wir konnten die Ergebnisse deutlichst verbessern", jubelte der Chef des Otto-Konzerns und feierte eine "sehr erfolgreiche Strategie" im Bereich E-Commerce. Beim Blick in die Details des Geschäftsberichts wird jedoch schnell klar, dass die traditionsreiche Handelskulisse mit Marken wie Baur, Bonprix und natürlich dem Otto-Versand zwar nach wie vor das Image des Konzerns prägt. Doch das Geld verdient er in den vergangenen Jahren mit einem gleichermaßen profitablen wie unbekannten Geschäftsfeld: Otto ist Deutschlands größter Schuldeneintreiber. Die Tochter EOS-Gruppe ist eines der weltweit führenden Inkasso-Unternehmen.

Egal, ob es um Außenstände in Albanien, Inkasso in Indien oder Schulden in China geht: EOS fordert und mahnt, pfändet und klagt vor Ort und schmückt die Otto-Bilanz mit stattlichen Zahlen. Während das Handelsgeschäft des Versandimperiums 2012 nur ein mageres Umsatzplus von 0,4 Prozent auf 10,07 Milliarden Euro verbuchte, ging es bei EOS mit zweistelligen Wachstumsraten nach oben - mal wieder. Innerhalb weniger Jahre hat die 9000-Mann-Mahntruppe ihre Erlöse auf über 500 Millionen Euro mehr als verdoppelt.

Entscheidender noch: EOS war in den vergangenen Jahren die Gewinnquelle des Otto-Konzerns und spielte regelmäßig Erträge ein, die mindestens auf dem Niveau des vermeintlichen Kerngeschäfts Versandhandel liegen. "Im Grunde ist Otto ein Finanz- und Inkassodienstleister mit angeschlossenem Handelsgeschäft", sagt Jörg Funder, geschäftsführender Direktor des Instituts für Internationales Handels- und Distributionsmanagement an der Hochschule Worms.

Doch wie springt die Otto-Tochter mit säumigen Zahlern um? Wie läuft das Geschäft mit den Schulden?

Der Selbstversuch beginnt am 17. September 2012: Otto findet mich gut. Gerade habe ich mich als Neukunde im Online-Shop registriert, schon geht die erste Bestellung raus: eine Babywaage der Marke Reer, weiß, mit beruhigender Musikfunktion zum harmonischen Wiegen des Säuglings. Ein paar Tage später überreicht der Hermes-Bote das Paket samt Rechnung über 69,99 Euro zuzüglich Versandkosten von 5,95 Euro "zahlbar innerhalb von 14 Tagen". Ich warte ab.

Hans-Werner Scherer sitzt in seinem Büro in der zwölften Etage der EOS-Zentrale in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs. Mit roter Krawatte, grauem Haar und einem stets griffbereiten Kugelschreiber in der Hemdtasche stellt sich der Mann vor, den jeden Tag wohl Tausende Schuldner verfluchen dürften, wenn sie ihre Briefkästen öffnen und Mahnungen von EOS herausfischen. Scherer leitet seit 2003 die Geschäfte und wirkt wie ein Gegenentwurf zum Klischeebild der Geldeintreiberzunft: ein fröhlicher Endfünfziger, der zum Firmenjubiläum schon mal in weißer Kapitänsuniform auftritt und in seiner Büro-Schrankwand Platz für ein Buddelschiff findet. Seit 28 Jahren ist Scherer bei EOS an Bord. Angefangen hat der Inkassoveteran als Leiter des Außendienstes.

Zur Startseite