Strategien


Quantencomputer-Zukunft

Quantum-Computing-Disruption ab 2022?

Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Noch sind Quantencomputer Science Fiction. Doch bereits ab 2022 könnte Quantenrechenleistung as a Service aus der Cloud zur Verfügung stehen. Lesen Sie, wie Sie ihr Unternehmen auf die sowohl disruptive als auch transformative Technologie vorbereiten sollten.

Pharmazeutische Unternehmen haben ein enormes Interesse an Enzymen. Diese Proteine katalysieren alle Arten von biochemischen Wechselwirkungen, oft durch die gezielte Beeinflussung eines einzigen Molekültyps. Leider kennen wir die genaue molekulare Struktur der meisten Enzyme nicht. Prinzipiell könnten Chemiker diese Moleküle mit Hilfe von Computern modellieren, um die Funktion der Moleküle zu verstehen. Allerdings bestehen Enzyme aus so komplexen Strukturen, dass die meisten von ihnen nicht von klassischen Computern modelliert werden können.

Das IBM Q SYSTEM ONE ist einer der ersten industriell verfügbaren Quantencomputer und rechnet mit 20 Qubits.
Das IBM Q SYSTEM ONE ist einer der ersten industriell verfügbaren Quantencomputer und rechnet mit 20 Qubits.
Foto: Boykov - shutterstock.com

Möglich wäre dies dagegen, so die McKinsey-Mitarbeiter Alexandre Ménard, Ivan Ostojic, Mark Patel und Daniel Volz, mit einem leistungsfähigen Quantencomputer. In ihrer Analyse "A game plan for quantum computing" stellen sie die These auf, dass ein solcher Rechner diese Aufgabe in wenigen Stunden bewältigen könnte. Ein Fortschritt, der die Arzneimittelentwicklung revolutionieren und eine neue Ära im Gesundheitswesen einleiten könnte. Doch damit nicht genug, für die Autoren haben Quantencomputer das Potenzial, Probleme dieser Komplexität und Größenordnung in vielen unterschiedlichen Branchen und Anwendungen zu lösen - etwa im Finanz-, Transportwesen, der Chemieindustrie oder in der Cyber-Sicherheit.

Was Quantencomputer können

Grundsätzlich verfügen Quantencomputer über vier grundlegende Fähigkeiten, die sie von den heutigen Computern unterscheiden:

  • Quantensimulation, bei der Quantencomputer komplexe Moleküle modellieren;

  • Optimierung (das heißt Lösung multivariabler Probleme mit beispielloser Geschwindigkeit);

  • quantenkünstliche Intelligenz (KI) mit besseren Algorithmen, die das maschinelle Lernen auf einen neuen Level heben könnte; und die

  • Primfaktorzerlegung, die die Verschlüsselung revolutionieren könnte.

Doch noch ist dies alles Science Fiction, denn die bislang entwickelten Quantencomputer können lediglich ein paar Dutzend Qubits - also eine Kombination aus Nullen und Einsen und vereinfacht ausgedrückt das Pendant zu den Bits heutiger Computer - gleichzeitig darstellen. Und um einen leistungsfähigen Quantencomputer zu entwickeln, müssten Hunderttausende oder Millionen von Qubits kohärent miteinander verbunden werden. Wie sich Quantencomputer und herkömmliche Computer unterscheide lesen Sie hier.

Quantencomputer rechnen mit einer Kombination aus Nullen und Einsen.
Quantencomputer rechnen mit einer Kombination aus Nullen und Einsen.
Foto: metamorworks - shutterstock.com

Dementsprechend gehen die McKinsey-Analysten davon aus, dass es noch ein Jahrzehnt dauern könnte, bis wirklich leistungsfähige Quantencomputer zur Verfügung stehen. Also abwarten, denn es besteht kein Handlungsbedarf? Mitnichten, warnen die Autoren des Reports. Sie glauben, dass einige wenige Unternehmen bereits in fünf Jahren einen wirtschaftlichen Vorteil aus dem Quantencomputing ziehen könnten. Deshalb, so ihre Meinung, sollten sich Manager bereits heute mit dem Potenzial der Technologie befassen. Dabei sollten sie sich ein grundlegendes Verständnis dafür aneignen, welche Art von Problemen Quantencomputer lösen können und wie das eigene Unternehmen darauf vorbereitet sein sollte, um das Potenzial zu nutzen.

Das Potenzial von Quantum Computing

Der beste Weg, das Geschäftspotenzial der Quanteninformatik zu verstehen, ist ein Blick auf die potenziellen Anwendungsfälle. Dazu untersuchte McKinsey mehr als 100 im Entstehen begriffene Szenarien. In vier Bereichen sehen die Forscher ein besonders hohes Potenzial:

1. Verkürzung der Entwicklungszeit für Chemikalien und Pharmazeutika durch Simulationen

Wissenschaftler, die neue Medikamente und Substanzen entwickeln wollen, müssen oft die genaue Struktur eines Moleküls untersuchen, um seine Eigenschaften zu bestimmen und zu verstehen, wie es mit anderen Molekülen interagieren könnte. Hierfür eignen sich Quantencomputer von Natur aus gut, da die Wechselwirkung der Atome innerhalb eines Moleküls selbst ein Quantensystem ist. So glauben Experten, dass Quantencomputer in der Lage sein werden, selbst die komplexesten Moleküle in unserem Körper zu modellieren. Jeder Fortschritt in dieser Richtung wird die Entwicklung neuer Medikamente und anderer Produkte beschleunigen und möglicherweise zu neuen transformativen Heilmitteln führen.

2. Optimierungsprobleme mit beispielloser Geschwindigkeit lösen

Jeder Branche hat viele komplexe Geschäftsprobleme, die mit einer Vielzahl von Variablen verknüpft sind. Wo sollte der RoboterRoboter in der Fabrikhalle stehen? Was ist der kürzeste Weg für einen Lieferwagen? Wie können Autos, Motorräder und Roller am effizientesten eingesetzt werden, um ein Transportnetz zu schaffen, das die Nachfrage der Benutzer erfüllt? Wie kann die Leistung und das Risiko eines Finanzportfolios optimiert werden? Alles zu Roboter auf CIO.de

Ein Qubit ist die Basis der Quanteninformatik.
Ein Qubit ist die Basis der Quanteninformatik.
Foto: Astibuag - shutterstock.com

Die Lösung dieser Probleme mit Hilfe der klassischen Informatik ist ein mühsamer Prozess. Um die Eingaben zu isolieren, die Leistungsgewinne oder -verluste bewirken, muss die Anzahl der Variablen begrenzt werden, die bei jeder Berechnung verschoben werden können. Folglich müssen Unternehmen eine komplizierte Berechnung nach der anderen durchführen, was angesichts der Vielzahl von Variablen ein kostspieliger und zeitaufwändiger Prozess ist.

Da Quantencomputer jedoch mit mehreren Variablen gleichzeitig arbeiten, können sie zuerst eingesetzt werden, um die Bandbreite der möglichen Antworten in sehr kurzer Zeit dramatisch einzuschränken. Die klassische Berechnung kann dann auf eine einzige präzise Antwort zurückgreifen, und ihre Arbeit wird im Vergleich zu der der Quantencomputer immer noch langsam erscheinen. Aber da die Quantentechnik so viele Möglichkeiten eliminiert hat, wird dieser hybride Ansatz die Zeit, die man braucht, um die beste Lösung zu finden, drastisch verkürzen.

3. Schneller zu autonomen Fahrzeugen mit Quanten-KI

Es ist möglich, dass Quantencomputer die Entwicklung von selbstfahrenden Fahrzeugen beschleunigen. Bei FordFord, GM, VolkswagenVolkswagen und anderen Autoherstellern sowie bei einer Vielzahl von Start-ups im Bereich der neuen Mobilität arbeiten Ingenieure stundenlang mit Video-, Bild- und Lidar-Daten in komplexen neuronalen Netzen. Ihr Ziel: Mit KI einem Auto beibringen, wichtige Fahrentscheidungen zu treffen - also wie man abbiegt, wo man beschleunigt, wie man anderen Fahrzeugen ausweicht etc. Top-500-Firmenprofil für Ford Top-500-Firmenprofil für Volkswagen

Das Training eines KI-Algorithmus auf diese Weise erfordert eine Reihe rechenintensiver Berechnungen, die immer schwieriger werden, je mehr Daten und komplexere Beziehungen innerhalb der Variablen hinzugefügt werden. Da Quantencomputer in der Lage sind, mehrere komplexe Berechnungen mit mehreren Variablen gleichzeitig durchzuführen, könnten sie das Training solcher KI-Systeme exponentiell beschleunigen.

Nicht alle Branchen werden gleichermaßen vom Quantencomputing profitieren.
Nicht alle Branchen werden gleichermaßen vom Quantencomputing profitieren.
Foto: McKinsey

4. Transformation der Cyber-Security

Quantencomputer stellen eine ernsthafte Bedrohung für Cyber-Sicherheitssysteme dar. Die meisten der heutigen Online-Kontopasswörter werden, ebenso wie sichere Transaktionen und Kommunikationen, durch Verschlüsselungsalgorithmen wie RSA oder SSL/TLS geschützt. Um diese Verschlüsselung in einer vertretbaren Zeit zu durchbrechen, ist eine massive Rechenleistung erforderlich, die heutige Computer praktisch nicht bieten. Da Quantencomputer mehrere Berechnungen gleichzeitig durchführen können, haben sie das Potenzial, jedes klassische Verschlüsselungssystem zu brechen.

Tatsächlich existiert bereits ein Quantenalgorithmus, der genau das tun kann - der Shor-Algorithmus. Glücklicherweise gibt es noch keinen Quantencomputer, der die Hunderttausende bis Millionen von Qubits verwalten kann, die für die Ausführung des Shor-Algorithmus erforderlich wären. Aber in zehn bis 20 Jahren könnte sich das ändern, und dann wären neue Quantenverschlüsselungstechnologien erforderlich, um Online-Dienste etc. zu schützen.

Zur Startseite