Immer mehr Freiberufler
Raus aus dem Hamsterkäfig
Der Kölner Unternehmensberater Marc Peters sitzt am Wohnzimmertisch und blickt konzentriert auf den Bildschirm seines Laptops. Plötzlich dreht er sich um und lächelt. Ein kleiner Junge mit blonden, langen Locken läuft auf ihn zu, springt in Peters’ Arm, quiekt vergnügt und setzt sich auf seinen Schoß. Beide gucken zusammen auf den Laptop. "Zu Hause arbeiten mal 23 Projekt-Anfragen", rechnet eine sonore Stimme aus dem Hintergrund vor, "ist gleich Tim aufwachsen sehen." So beginnt ein TV-Spot, mit dem das soziale Netzwerk Xing seit einigen Wochen zur besten Sendezeit bei RTL, Sat.1 und ProSieben wirbt. Wohlgemerkt: Marc Peters ist eine fiktive Figur, die sich die Hamburger Agentur Pushh für den Spot ausgedacht hat. Es gibt in Köln kein Unternehmen namens Ludwig&Friends GmbH, das auf dem Xing-Profil von Peters auftaucht.
Den gesellschaftlichen Nerv getroffen
Doch wahr ist eben auch: Es gibt sehr wohl immer mehr Menschen wie Marc Peters und immer mehr Unternehmen wie Ludwig&Friends.
Deutschlands größtes Karrierenetzwerk hat inzwischen mehr als sieben Millionen Mitglieder im deutschsprachigen Raum. Mit dem Spot wirbt Xing also nicht nur platt in eigener Sache, sondern trifft mit seinem Zehnsekünder auch einen gesellschaftlichen Nerv. Im Vordergrund der Spots stehe "nicht die rein ökonomische Optimierung der KarriereKarriere", sagt Xing-Marketingmanagerin Claudia Peters, sondern "der Mensch und seine jeweilige Lebenswirklichkeit". Alles zu Karriere auf CIO.de
Zugegeben, der Spot mag den Alltag eines Freiberuflers übertrieben idealisieren. Kaum ein Selbstständiger sitzt immer entspannt im Wohnzimmer und wartet auf Aufträge - jederzeit bereit, die Arbeit zu unterbrechen, um mit seinen Kindern zu knuddeln. Der Schritt in die Unabhängigkeit ist auch finanziell herausfordernd.
Aber welcher Angestellte hat sich nicht schon mal dabei ertappt, wie er die Annehmlichkeiten der Freiberuflichkeit gedanklich durchspielte - und sich dieselben Fragen stellte.
Immer mehr Freiberufler
Wäre es nicht schön, morgens ohne Eile den ersten Kaffee zu genießen, statt mit Blick auf die Uhr zum Bus zu hetzen? Schon konzentriert am Schreibtisch zu sitzen, statt im Stau zu stehen oder den immer gleichen Privatgesprächen miesgelaunter Mitpendler in überheizten, schlecht gelüfteten und überfüllten Zügen ausgesetzt zu sein? Nicht mehr unter den Launen des Chefs zu leiden, nicht mehr mit anstrengenden Kollegen herumzustreiten? Keine Zeit mehr in langatmigen Besprechungen zu verdaddeln? Und sich stattdessen in Ruhe dem selbst gewählten Projekt zu widmen? Sprich: frei zu sein? Mit allen Risiken, aber auch allen Chancen?
Die Zahl der Menschen, die aus solchen hypothetischen Fragen tatsächliche Konsequenzen ziehen, ist größer denn je: Noch nie gab es so viele FreiberuflerFreiberufler in Deutschland, bestätigte im August ein Bericht der Bundesregierung. Im Jahr 2003 waren 783 000 Menschen selbstständig, 2013 waren es bereits 1,23 Millionen. Alles zu Freiberufler auf CIO.de
Mehr als 90 Prozent der Kunden seien aus Überzeugung selbstständig, nicht aus der Not heraus, sagt Michael Moser, Geschäftsführer des Personalportals Gulp. Das Münchner Unternehmen vermittelt Ingenieure und IT-Experten an Konzerne. 2012 wickelte es Aufträge im Volumen von 186 Millionen Euro ab. Und es deutet viel darauf hin, dass die Zahl dieser Überzeugungstäter in den kommenden Jahren weiter steigen wird.
Die viel zitierte Generation YGeneration Y hat keine Lust mehr, Nächte im Büro zu verbringen. Universitäten und Fachhochschulen spülen weiter Absolventen auf den Arbeitsmarkt. Da erscheint die Selbstständigkeit als reizvolle Alternative. Nicht nur Manager denken deshalb aktuell darüber nach, es als Einzelkämpfer zu versuchen. Auch viele Absolventen stehen vor der Wahl: Arbeitslosengeld oder Gründungszuschuss? Aufgeben oder Loslegen? Kein Plan oder Businessplan? Alles zu Generation Y auf CIO.de
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