SAP-CEO Christian Klein im Interview

SAP hätte mehr auf das Customizing achten sollen

Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

SAP-Basisbetrieb schafft keinen Wettbewerbsvorteil

Zu guter Letzt schaffen sich die Anwenderunternehmen mit einem solchen Vorgehen auf der IT-Seite auch mehr Raum für Investitionen in Innovation rund um das ERPERP - zum Beispiel in KI oder eine bessere Kunden-Erfahrung. Damit können sich Unternehmen im Markt gegenüber dem Wettbewerb differenzieren, mit dem reinen SAP-Basisbetrieb eher nicht. Alles zu ERP auf CIO.de

Der Weg dorthin scheint allerdings nicht ganz einfach. Viele Unternehmen haben an dieser Stelle lange und schwierige Migrationsprojekte vor der Brust.

Klein: Der Weg von einem stark angepassten System zu einem modularen Cloud-ERP kann dauern. Aber wir haben an dieser Stelle schon einiges vereinfacht. Mit Hilfe von Signavio-Lösungen für die Prozessmodellierung und LeanIX-Lösungen für die Enterprise-Architektur ist es einfacher vom Status Quo in die neue Welt zu kommen. Bei SAP wollen wir für diese Reise mehr Verantwortung übernehmen, weil es in unserem Interesse liegt, dass die Kunden aus diesem Schritt den maximalen Nutzen ziehen.

Deswegen setzen wir auch auf eine neue modulare Architektur. Auf der Business Technology Platform (BTP) finden sich das Datenmodell, Identity- und Security-Services für alle unsere Applikationen. Mit dieser neuen Herangehensweise bieten wir Kunden und Partnern auch einen Enterprise-Architekten, der berät und sagt, welche Schritte ein Kunde als nächstes unternehmen sollte - nach dem Motto: Wir nehmen euch an die Hand.

Aber eines bleibt ganz klar: Am Ende entscheiden die Kunden selbst, wie sie diesen Weg gehen wollen.

Mit einem modularen Ansatz der Komplexität Grenzen setzen

Ist SAP auch ein Stück weit Opfer des eigenen Erfolgs? Viele Kunden sind nach wie vor mit der Business Suite zufrieden. Die SAP-Anwendungen der Vergangenheit scheinen offenbar schlichtweg zu gut zu sein, als dass die Kunden etwas Neues bräuchten?

Klein: Danke für dieses Lob. Aber: Mit Blick auf die On-Premise-Welt und die monolithischen Architekturen hätte SAP dem Thema Customizing wohl mehr Aufmerksamkeit widmen sollen. Wann setzen sie als Softwareanbieter dieser wachsenden Komplexität Grenzen? Nehmen wir zum Beispiel die zahlreichen Industrieanwendungen, die stetig kleinteilig weiterentwickelt wurden. Das hat logischerweise zu höherer Komplexität geführt. Mit einem modularen Ansatz wäre dies sicher weniger passiert.

Es gab ja schon vor vielen Jahren die Idee mit der Enterprise Services Architecture. So richtig gezogen hat das aber schon damals nicht.

Klein: Letztlich waren die Software-Monolithen ein sehr lukratives Modell und für die Kunden natürlich sehr erfolgreich. Übrigens auch für die Partner - hier hat sich im Laufe der Jahre ein großes Ökosystem gebildet.

In der Cloud ist es jetzt für die Kunden doch um einiges besser, die gewachsene Komplexität wieder ein Stück weit zurückzufahren - sich jedoch immer noch über die Plattform differenzieren zu können. Dieser Wandel betrifft auch die Partner, die in der Vergangenheit bestimmte Funktionen für ein bestimmtes Kundenprojekt erstellt haben. Heute bauen sie diese Features auf der BTP und können sie so in entsprechenden Branchen wiederverwerten.

Auch SAP-Partner müssen in der neuen Welt ankommen

Die Partner haben aber auch gut verdient mit der Komplexität, mit den Anpassungen und dem Customizing der SAP-Systeme.

Klein: Klar. Und die Kunden waren auch ein Stück weit abhängig davon. Inzwischen lautet in vielen ERP-Projekten die wichtigste Kundenfrage: Wie stellen wir sicher, dass wir im Standard bleiben? Hierbei spielen Prozessmodellierung und die BTP mit ihrer Architektur eine wichtige Rolle. Am Ende sind es auch die Partner, die in der neuen Welt ankommen müssen, die Erweiterungskonzepte für In-App-, aber auch Side-by-Side-Lösungen, anbieten müssen.

Für die Partner eröffnen sich damit auch neue Chancen: Statt wie früher eine Erweiterung für ein Chemie-Unternehmen zu erstellen, lässt sich heute parallel eine Industrielösung, eng angebunden an die BTP und S/4HANA, entwickeln. Damit lassen sich viel mehr Kunden erreichen, sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern.

Das braucht dann aber auch klare Roadmaps, wer was entwickelt. Gerade jüngst gab es einige Diskussionen im Healthcare-Bereich, wo Lösungen abgekündigt wurden.

Klein: Natürlich erfordert dies Klarheit und Sicherheit für die Partner. Sie sprechen den Healthcare-Bereich an: Ja, da gab es Veränderungen. Wir konnten nicht mehr auf Cerner setzen (der IT-Healthcare-Spezialist wurde Ende 2021 vom SAP-Konkurrenten Oracle gekauft, Anm. d. Red.). Wir haben an dieser Stelle nun eine sehr gute Partnerlösung, die hinsichtlich Integration noch zertifiziert wird.

Wir bieten Lösungen für 25 Branchen an und werden das auch künftig tun. Auch die Partner haben in der Vergangenheit viele Lösungen gebaut. In der neuen Welt funktioniert es modularer, aber im Grunde passiert nichts anderes als in der On-Premise-Welt. Wir bei SAP müssen Roadmaps dahingehend anpassen, damit letztlich klar wird: Auch eine nicht von SAP entwickelte Partnerlösung basiert aber auf der gleichen Applikationslogik.

Die Software-Monolithen der Vergangenheit waren ein sehr lukratives Modell, räumt SAPs CEO Christian Klein ein. Auch die Kunden seien damit erfolgreich gewesen.
Die Software-Monolithen der Vergangenheit waren ein sehr lukratives Modell, räumt SAPs CEO Christian Klein ein. Auch die Kunden seien damit erfolgreich gewesen.
Foto: SAP SE

Gerade hinsichtlich Partnerlösungen können wir für mehr Transparenz bei den Kunden sorgen und damit Vertrauen aufbauen. Letztlich darf es keinen Unterschied machen, ob ein Entwickler von SAP oder ein Partner an der Lösung gearbeitet hat - solange die Integration der Nutzer-Erfahrung (UX), des Identity- und des Security-Themas genauso abgedeckt ist. In den Roadmaps sollten wir deutlicher machen, wie diese Aspekte technisch zusammenpassen.

Sie sprachen gerade einen Wettbewerber an, der gerne alles aus einer Hand verkauft. Wie offen ist denn SAP an dieser Stelle? Denn im Grunde besteht doch die Gefahr, dass SAP austauschbar wird, zum Beispiel in Sachen KI, wenn die Anwender in der Cloud entsprechende Funktionen der Provider bevorzugen und anbinden.

Klein: Natürlich ist es technisch möglich, allerdings sehe ich hier keine große Gefahr.

Ein Beispiel: Wir bauen gerade für das Integrated Business Planning (IBP) einen generativen KI-Service, der Anwendern dabei hilft, verschiedene Prozesse in der Beschaffung, in der Fertigung und in der Logistik anzupassen, wenn über den Verkauf Änderungen in der Nachfrage sichtbar werden. Dieser KI-Service ist in die Lösung integriert. Das heißt: Wenn Kunden zukünftig IBP kaufen, dann haben sie die Wahl zwischen einer Basis-Lösung oder einer Premium-Variante, die dann diese KI-Funktionalität enthält.

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