IT soll Innovation treiben

So innovativ sind europäische IT-Bereiche

Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Die Entscheidungsträger westeuropäischer Mittelständler bereiten sich auf den Umbruch der Märkte vor. Viele haben eine digitale Strategie, einige auch Innovationsprogramme eingeführt. Aber die IT-Bereiche setzen selten neue Prioritäten. So besteht die Gefahr, dass sie ihrer Aufgabe nicht gerecht werden.

Wie innovativ sind die europäischen IT-Bereiche? Das wollte der Managed-Service-Provider Claranet für die vierte Augabe seines "Research Report" wissen. Er fragte 900 (IT-)Entscheidungsträger in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Portugal und den Benelux-Ländern nach ihrem Rollenverständnis und der Bedeutung von Innovationen im Unternehmen.

Wie sich dabei einmal mehr herausstellte, haben IT-Verantwortliche - in Westeuropa wie überall auf der Welt - zwei einander widersprechende Aufgaben zu erfüllen: Zum einem müssen sie den Laden am Laufen halten, zum anderen sollen sie proaktiv tätig werden und Innovationen vorantreiben, die das Unternehmen von der Konkurrenz absetzen und neues Geschäft ermöglichen. Stellt sich die Frage, wie ein IT-Leiter seine begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen optimal auf diese beiden Aufgaben verteilen kann.

Laut Claranet fungieren die meisten IT-Bereiche nach wie vor "als Verwaltungsinstanzen, die der Innovation nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenken können". Damit liefen sie Gefahr, in den "Teufelskreis einer stetig abnehmenden Effizienz und Wirtschaftlichkeit zu geraten". Damit ein Unternehmen nicht nur sein Tagesgeschäft meistern, sondern "dauerhaft überleben" könne, sei es wichtig,

  • die IT tiefer in die Geschäftsstrategie einzubinden,

  • eine IT-Vertretung im Vorstand zu verankern sowie

  • mehr und richtig zu investieren und

  • gemeinsame Innovationsprogramme und digitale StrategienStrategien zu erarbeiten. Alles zu Strategien auf CIO.de

Allgemeine IT-Situation in Deutschland

Deutsche IT-Chefs verbringen zwölf Prozent ihrer Arbeitszeit damit, über Innovationen nachzudenken und an ihnen zu arbeiten. Das zumindest sagen sie selbst. Das ist der höchste Wert, den Claranet in Europa ermittelt hat. 96 Prozent der deutschen Unternehmen haben eine "digitale Strategie". Und 41 Prozent verfolgen ein Innovationsprogramm. Damit liegen sie allerdings nur im europäischen Mittelfeld.

Den Angaben der hiesigen Entscheider zufolge sind ihre IT-Abteilungen in einem guten Zustand. Die Budgets zeigten "gesunde" Zuwachsraten von durchschnittlich vier Prozent, und die Arbeit der ITler werde "vom Unternehmensumfeld unterstützt". Das gute gegenseitige Verständnis deute auf tragfähige Alignment-Konzepte hin, so Claranet.

Aktuelle und künftige Herausforderungen

So viel zum Status quo. Aber die Märkte verändern sich. Der Studie zufolge sehen 84 Prozent der Unternehmen in Westeuropa einem radikalen Wandel ihrer Geschäftstätigkeit entgegen. Umso erstaunlicher ist, dass die IT-Entscheider hinsichtlich ihrer Herausforderungen, ihres Rollenverständnisses und ihrer Kompetenzen keine großen Änderungen erwarten.

Als das größte Problem heute wie auch in fünf Jahren sehen die Befragten Sicherheit und Compliance; fast die Hälfte nannte diesen Themenkomplex als vordringlich. Die Innovationsfrage berührt dagegen nur 29 Prozent wirklich. "Sicherstellen, dass die IT ein sich rapide änderndes Geschäft unterstützen kann" ist heute für 35 Prozent, künftig sogar nur noch für 33 Prozent wichtig.

Die weitgehend gleich bleibende Einschätzung der aktuellen und künftigen Herausforderungen wirft für den Betreiber der Studie die Frage auf: Sind interne IT-Bereiche überhaupt willens und fähig, die Änderungen im Business zu unterstützen? Das zumindest in Deutschland angeblich so gute Verständnis zwischen Geschäftsbereichen und IT ist in diesem Licht mit einer gewissen Skepsis zu betrachten.

Wie sich IT und Business verstehen

Im Detail betrachtet, liegt hier tatsächlich einiges im Argen. Die Frage, ob die IT die Bedürfnisse der anderen Unternehmensbereiche voll und ganz verstehe, beantworteten die Entscheider - außer in Deutschland und Spanien - eher negativ. Über alle Märkte und Unternehmensteile liegt die Zustimmung im Durchschnitt bei 28 Prozent der Befragten.

Am besten ist das Verständnis noch im operativen Betrieb und im Finanzwesen ausgeprägt. Hier gaben 33 beziehungsweise 31 Prozent der Studienteilnehmer an, dass die IT wisse, worum es geschäftlich geht (in Deutschland 58 beziehungsweise 44 Prozent). Hinsichtlich Produktentwicklung, Vertrieb, Marketing, Rechtsabteilung und Personalwesen liegen die Zustimmungsraten bei 24 bis 29 Prozent (in Deutschland um die 40 Prozent.)

Deutsche CIOs kommen recht gut weg

Die umgekehrte Frage, ob andere Unternehmensbereiche die Rolle der IT-Abteilung voll und ganz begreifen, wird eher skeptisch beantwortet (siehe Grafik auf Seite 34). In Europa glauben - je nach Abteilung - nur zwischen 22 und 28 Prozent der Befragten, dass die im Business Beschäftigten den ITlern folgen können. In Deutschland ist das Vertrauen immerhin deutlich größer: Hier sind es neben dem Finanzwesen (42 Prozent) der Vertrieb (43 Prozent) und der Operations-Bereich (41 Prozent), denen die Befragten ein gutes Verständnis für IT-Belange attestieren.

Kosten reduzieren versus Geschäft ankurbeln

Die Verständnisprobleme wirken sich aber nicht negativ auf die Budgetentwicklung aus: Im Durchschnitt sind die IT-Budgets gegenüber dem vergangenen Jahr leicht gestiegen - um durchschnittliche drei Prozent. Und der Aufwärtstrend hält an: 2016 werden die IT-Bereiche im Durchschnitt vier Prozent mehr Mittel zur Verfügung haben. Ausreißer sind hier nur die Benelux-Staaten mit einem Wachstum von einem Prozent sowie Portugal, wo die Budgets für Informationstechnik weiter sinken.

Im Allgemeinen wird die IT immer noch als Effizienzinstrument gesehen; 34 Prozent der Befragten sehen ihre Kernfunktion darin, die Unternehmenskosten zu verringern. Dass die IT neues Geschäft ankurbeln soll, finden nur halb so viele wichtig. An dieser Rollenbeschreibung werde sich in den kommenden fünf Jahren wenig ändern, so die Umfrageergebnisse.

Allerdings mit signifikanten Ausnahmen: Ein rundes Drittel der Befragten gab an, dass 2020 die Analyse großer Datenmengen eine Kernfunktion der IT sein werde; das ist heute nur bei gut einem Drittel der Fall. Neue Geschäftsmodelle auszuführen und in neue geografische Märkte zu expandieren, halten derzeit sechs beziehungsweise acht Prozent der europäischen IT-Entscheider für eine Kernfunktion der IT. Für 2020 sehen hier immerhin zwölf beziehungsweise 13 Prozent eine wichtige Aufgabe. Die deutschen Entscheider betrachten die IT häufig als Katalysator für die Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen. Für 27 Prozent ist das eine IT-Kernkompetenz.

Analytische Fähigkeiten im Trend

Die gefragtesten Kompetenzen in der IT sind offenbar immer noch die technischen. Derzeit liegen technischer Sachverstand (84 Prozent der Nennungen), User-Support (81 Prozent) sowie Sicherheit und Compliance (81 Prozent) relativ weit vorn. Gleichauf (mit 83 Prozent) rangiert allerdings das Projekt-Management, das nicht zu den technischen Disziplinen gehört, aber doch zu den administrativen. Fähigkeiten wie Lieferanten-Management (69 Prozent) oder Business-Analyse (63 Prozent) fallen dagegen deutlich ab. Auch die Datenanalyse kommt nur auf 62 Prozent der Nennungen.

In den kommenden fünf Jahren könnten sich die Unterschiede aber nivellieren: Während die traditionellen IT-Skills weniger wichtig werden, steigt die Bedeutung von Daten und Business-Analyse beträchtlich an, sagt der Bericht. Zwei Drittel der IT-Verantwortlichen gaben an, dass 2020 auf jeden Fall Datenanalyse-Kompetenz und die Fähigkeit zur Geschäftsanalyse in ihrem Bereich benötigt werden.

Lieber reagieren als vorantreiben

Was nach Ansicht der Marktbeobachter noch fehlt, ist die Verbindung von technischen Innovationen und neuen Geschäftsmodellen. "Da die IT jeden einzelnen Teil des Geschäfts betrifft, ist es von entscheidender Bedeutung", so die Studie, "dass sich die IT-Abteilung Zeit nimmt, um neue Konzepte auszuarbeiten und einzuführen, mit denen die Handlungsfähigkeit des Unternehmens verbessert wird."

Ein Indiz dafür, wie wichtig das Thema Innovation genommen wird, ist die Zeit, die man ihm widmet. Eine europäische IT-Abteilung verwendet laut Claranet-Report im Durchschnitt neun Prozent der Arbeitszeit darauf. In Deutschland, Frankreich und Spanien sind es zwölf Prozent. Aber auch dort verbringt der prototypische IT-Bereich erheblich mehr Zeit damit, auf Geschäftsprobleme zu reagieren, als damit, das Geschäft voranzutreiben. Die Hälfte der Zeit gehe für Anwenderprobleme, Changes und ungeplante Arbeiten drauf, so der Report.

Innovationsprogramme im Aufbau

Damit Innovation zu einem echten Bestandteil der Unternehmensaktivitäten werden kann, muss sie in strategischen Programmen festgeschrieben werden, so die Autoren des Berichts. Aber derzeit gibt es nur in 36 Prozent der untersuchten europäischen Unternehmen ein formales Innovationsprogramm, in weiteren 37 Prozent soll eines eingeführt werden. Spanien liegt mit 60 Prozent eingeführten und 33 Prozent geplanten Programmen unangefochten an der Spitze. In Frankreich haben 43 Prozent der Unternehmen bereits ein Innovationsprogramm, 46 Prozent wollen eines einführen. Deutschland befindet sich mit 41 praktizierten und 33 Prozent geplanten Programmen im guten Mittelfeld.

Laut Studie besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Größe des Unternehmens und der Wahrscheinlichkeit, dass dort ein Innovationsprogramm eingeführt ist oder wird. Von den Betrieben, die mehr als 1000 Menschen beschäftigen, nutzen 53 Prozent ein solches Programm, und 33 Prozent arbeiten daran.

Die IT als Innovationstreiber

Bei den Unternehmen, die ein Innovationsprogramm haben, ist die IT maßgeblich daran beteiligt. 45 Prozent der Umfrageteilnehmer nannten den IT-Bereich als den Haupttreiber der Innovationen. Der operative Betrieb (14 Prozent) und das Marketing (zwölf Prozent) folgen abgeschlagen. Diese Angaben sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, weil die Befragten häufig selbst in der IT tätig sind.

In Deutschland und im Vereinigten Königreich ist auch das Produkt-Management ein anerkannter Innovationstreiber. Nach den drei Unternehmensbereichen gefragt, die am meisten für die Innovation tun, nannten hierzulande 87 Prozent die IT, 48 Prozent das Produkt-Management und 47 Prozent Operations.

Deutsche Betriebe haben eine Digitalstrategie

Dem Innovationsprogramm zugrunde liegt - hoffentlich - eine digitale Strategie, welche die unterschiedlichen Unternehmensteile zusammenbringt. In Deutschland, Frankreich und Spanien haben mindestens 96 Prozent der Unternehmen eine solche Strategie. Der europäische Durchschnitt liegt bei 89 Prozent.

Auf die Frage, wer für die digitale Strategie verantwortlich sei, zeigten 31 Prozent der Befragten auf sich selbst. Besonders stark ausgeprägt ist dieses Bewusstsein in Deutschland, wo 53 Prozent den IT-Verantwortlichen als den digitalen Chefstrategen betrachten. In Frankreich und Spanien gibt es häufiger einen Unternehmenslenker, der sich für das Digitale verantwortlich fühlt (in 24 beziehungsweise 23 Prozent der Unternehmen). Den haben in Deutschland offenbar nur 17 Prozent. Einen dedizierten Chief Digital Officer gibt es europaweit nur in sechs von hundert Unternehmen.

Der Claranet Research Report erscheint 2015 bereits im vierten Jahr. Die Studie untersucht die IT-Trends in sechs europäischen Märkten: Benelux, Frankreich, Deutschland, Portugal, Spanien und Großbritannien. Befragt wurden 900 "Entscheidungsträger" (meist IT-Chefs) von mittelständischen Unternehmen mit bis zu 2000 Mitarbeitern. Je 200 Unternehmen kommen aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien, je 100 aus Benelux, Portugal und Spanien.

Zur Startseite