Stress statt Anerkennung

So leiden IT-Mitarbeiter

19.07.2016
Von Nicolas Zeitler

Mitarbeiter sind verantwortlich, aber ohnmächtig

Sie sprechen von den "Paradoxien neuer Management-Konzepte" als einer Ursache für Unzufriedenheit. Worin bestehen die Paradoxien? Und liegt es wirklich an den Konzepten an sich oder an ihrer Umsetzung?

Tobias Kämpf: Mitarbeiter werden heute für Ziele verantwortlich gemacht beziehungsweise haben das Gefühl, verantwortlich zu sein, verfügen aber gleichzeitig nicht über die Ressourcen, um diese Ziele tatsächlich erreichen zu können. Sie fühlen sich dann in einer permanenten "Mission Impossible" gefangen. Teil der neuen Konzepte ist nämlich ein "System permanenter Bewährung", wie es jüngst meine Kollegen Andreas Boes und Anja Bultemeier bezeichnet haben. Teil des Unternehmens zu sein, ist dann keine Selbstverständlichkeit mehr. Stattdessen sollen die Beschäftigten jeden Tag durch einen überdurchschnittlichen Beitrag zum Firmenerfolg beweisen, dass sie es verdient haben, "dazu zu gehören". Dadurch entsteht sehr starker Leistungsdruck.

Sehr stark macht den Menschen auch die Geschwindigkeit in der Arbeit zu schaffen. Gleichzeitig haben sie hohe Ansprüche an Nachhaltigkeit und Qualität. Das motiviert einerseits. Aber unter den Bedingungen von permanentem Zeitdruck entsteht andererseits zunehmend das Gefühl, den eigenen Ansprüchen gar nicht mehr gerecht werden zu können. Das ist für viele sehr frustrierend.

Angestellte fühlen sich nur als Zahlen wahrgenommen

Sie beschreiben das mit dem Schlagwort "Leistungsverdichtung" - mehr und komplexere Arbeit in kürzerer Zeit, gleichzeitig wird Personal abgebaut, viele Prozesse sind ineffizient. Ist das wirklich ein typisches Problem der IT-Branche oder trifft es nicht auch auf andere zu?

Tobias Kämpf: Spezifisch für die IT-Branche ist die Zeitenwende, die ich beschrieben habe. Ihr ging ein langer Aufschwung voraus, gepaart mit einem starken Winner-Mythos. Aber grundsätzlich ist der Mechanismus aufgrund der Management-Konzepte ein Element, das wir auch in anderen Forschungsprojekten über qualifizierte Arbeit finden.

Sie schreiben, Angestellte hätten in Interviews von einem Verlust von Anerkennung gesprochen. Wie erleben sie den?

Tobias Kämpf: Eine zentrale Vokabel in den Interviews war der Verlust von Wertschätzung. Ein Teilnehmer hat gesagt: 'Man ist hier nur noch eine Nummer, die man am besten wegekelt'. Fast immer fielen Formulierungen wie 'Wir werden nur noch als Zahlen behandelt, aber nicht mehr als ganzer Mensch'. "Zahlen statt Menschen" ist die zentrale Chiffre dafür, wie die Beschäftigten den Kulturwandel in den Unternehmen erleben. Sie fühlen sich lediglich als Kostenfaktor wahrgenommen, nicht mehr als ganze Person anerkannt. Das kommt auch zum Ausdruck bei den häufig geäußerten Klagen über das Prinzip "Management per Mail".

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