Trend
So viel Blau war schon lange nicht mehr
Farbe der Freiheit
Was Wunder, dass die Metzinger Modemarke Hugo Boss, der offizielle Ausstatter des WM-Teams, die Spieler in blaue Anzüge steckt. Der dunkelblaue Anzug gilt als Klassiker. Für Kevin Lobo, den Kreativdirektor von Boss Menswear, ist Blau die perfekte Konsensfarbe: Blau sehe "immer elegant und hochwertig aus", Blau stehe "jedem Kunden, unabhängig von der Haarfarbe und dem Hauttyp". Die schmalen Schnitte, der Verzicht auf überflüssige Verzierungen, die Konzentration auf Blau-Grau-Braun-Töne bei Boss verweist auf das Stilideal der Geschäftswelt: Der Haribo-Bär will auffallen, Hugo Boss hingegen übt sich in der Rhetorik des Understatements.
Dass es anders, spektakulärer geht, zeigt Giorgio Armani, der in seiner Damenkollektion diesen Sommer dunkles Seidenblau mit silbrigem Chiffon und kostbaren Rottönen verbindet. Oder Calvin Klein, der in seiner Herrenkollektion die ganze Skala der Blautöne durchspielt, von dunkel leuchtendem Ultramarin über hypnotisierendes Lapislazuli bis zu lieblichem Babyblau, auf Overalls, Anzügen oder Schuhen.
Der Sportschuhhersteller Adidas wählte ein hell leuchtendes Blau als Hausfarbe, Blue Pantone 300. Denn Blau ist nicht gleich Blau, es kennt viele Register. Der Münchner Farbexperte Martin Benad, Fachplaner für Farbgestaltung und Autor mehrerer Bücher zur Farbenlehre, unterscheidet "psychologisch" vier grundlegende Varianten, denen er spezifische Stimmungen und Werte zuordnet: das helle Cyanblau, die Himmelsfarbe in Horizont-Nähe - die Farbe der Freiheit; das in die Tiefe führende, samtig-weiche Ultramarinblau - die Farbe der Konzentration; das gläsern-gespannte, grünlich schimmernde Gletscherblau - die Farbe der Distanz; und das lyrische Lavendelblau - die Farbe der Romantik. Jüngst hat er für ein viergeschossiges Bürogebäude bei Augsburg das Farbkonzept entwickelt: Die Außenhaut strahlt in unterschiedlichen Facetten von Blau und nimmt die Anmutung der Materialien Glas und Stahl auf.
Benads Kollege Axel Venn, Professor für Farbgestaltung an der Hildesheimer Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, erklärt sich die wachsende Beliebtheit der Farbe Blau auch damit, dass sie nicht polarisiere, sondern in ihrer Symbolik offen, fast neutral sei: Jeder habe die Freiheit, Blau so zu interpretieren, wie er es für richtig hält.
So hat die Autoindustrie das gegenüber Grün ideologisch weniger stark festgelegte Blau zur Kennfarbe der Elektromobilität erhoben. "Blue Motion" oder "Blue Efficiency" heißen die Schlagworte, sie stehen für ökologische Nachhaltigkeit. Die Nieren des Kühlergrills beim i3 und i8 von BMW sind, statt mit Chrom, bayrisch-blau markiert. Die Elektroversion des Supersportwagens SLS AMG von Mercedes glänzt in grellem Bonbonblau. Und die Elektro-Smarts von Car2Go, dem Carsharing-Anbieter von Daimler, tragen die ökologisch besetzten Signalfarben Blau und Weiß.