Trend
So viel Blau war schon lange nicht mehr
Was verbindet Justin Timberlake mit der deutschen Fußballnationalmannschaft und dem Süßwarenhersteller Haribo? Die Wiederentdeckung der Farbe Blau. Während der amerikanische Popstar im azurblau changierenden Smoking über die Bühne fegt und Jogi Löws WM-Team bei offiziellen Anlässen im dunkelblauen Dreiteiler mit Denimhemd auftritt, hat Haribo ein blaues Bärenwunder angekündigt: So sollen erstmals in der Geschichte des Bonner Unternehmens in einer "limited Edition" auch blaue Bären in der Tüte stecken. Mit "lieblich-süßem Heidelbeeraroma" und einem Farbstoff, der, passend zur Farbe Blau, aus Meeresalgen gewonnen wird.
Kein Zweifel, eine veritable, blaue Revolution im Hause Haribo. So viel Blau war schon lange nicht mehr - auf den Showbühnen und Laufstegen, auf den Möbelmessen und in den Supermarktregalen. Blau - die Farbe der Stunde? "Ja, absolut", meint Peter Wippermann, Trendforscher und Gründer des Trendbüros, der die KarriereKarriere der Farbe Blau seit Jahren beobachtet. Zwar hat noch niemand schlüssig erklären können, wer oder was die Farbzyklen von Mode und Lifestyle bestimmt. Doch für Wippermann fällt die Blau-Konjunktur deshalb keineswegs vom Himmel. In einer Zeit "merkwürdiger Zukunftsunfähigkeit", in der niemand wisse, wo und wann die nächste Erschütterung zu erwarten ist, verbinde Blau, anders als die Leidenschaftsfarbe Rot, emotionale mit rationalen Komponenten: die Suggestion von Hoffnung und Zuversicht mit dem Versprechen auf Autonomie. Als "Farbe der Ferne" spanne Blau eine Zukunftsperspektive auf, die an den Gestaltungswillen des Publikums appelliert: "Nehmt die Dinge selber in die Hand." Alles zu Karriere auf CIO.de
Fantasien eines Trendgurus? Spekulationen ins Blaue hinein? Immerhin, der Titel von Al Gores neuem Buch "Die Zukunft" prangt sicher nicht zufällig in heiteren, himmelblauen Lettern auf dem Cover. Die Farbe Blau birgt die Geheimnisse der Zukunft. Sie ist nicht nur der Megatrend der Lifestyle-Industrie, sondern die Leitfarbe der Moderne. Der französische Historiker Michel Pastoureau hat in seiner jüngst erschienenen Studie "Blau. Die Geschichte einer Farbe" ihren Siegeszug eindrucksvoll nachgezeichnet: Er führt vom Hochmittelalter, wo Blau als Marien- und Königsfarbe gilt, über die Reformation, die Blau als "moralische Farbe" entdeckt, geradewegs in die Moderne: Spätestens im 19. Jahrhundert wird Blau, nicht zuletzt durch das Aufkommen des synthetischen Indigo, "endgültig zur Farbe des Fortschritts, der freiheitlichen Gedanken" - und macht der Farbe Schwarz zunehmend Konkurrenz.
Vor allem in der Kleidermode: Erst beim Militär, das Anfang des 20. Jahrhunderts auf breiter Front zu marineblauen Uniformen übergeht, dann bei den Zivilisten, die ihre schwarzen Anzüge gegen dunkelblaue Kleidung eintauschen. Eine "Revolution", wie Pastoureau sagt, eines "der großen Ereignisse in der Mode des 20. Jahrhunderts". Denn mit dem modernen, dunkelblauen Anzug hat der Mann seine Berufsuniform gefunden: Er tritt ins Glied zurück, ordnet sich dem Kollektiv unter, wird zum Repräsentanten der Mannschaft.