Nachhaltiges Wirtschaften
Viele Startups entwickeln Produkte, die kein Mensch braucht
Seit Jahren beschäftigt sich Stephan Grabmeier mit diesen Themen, unter anderem in den vergangenen Jahren als Chief InnovationInnovation Officer bei Haufe Umantis oder in gleicher Rolle bei Kienbaum. Ihm ist es wichtig, dass er das, was er sagt, auch mit Beispielen belegt, am besten sogar selbst ausprobiert und umgesetzt hat. Alles zu Innovation auf CIO.de
So will er etwa mit seiner privat initiierten Stiftung Next Entrepreneurs Zeichen setzen in der Entwicklung des Bildungssystems. SchülerInnen erfahren dabei, mit unternehmerischen Startup-Methoden Probleme anders zu lösen als sie es in der Schule lernen. Jedes Jahr, so versichert Grabmeier, besuchen etwa 800 bis 1.000 Schüler seine Workshops in ganz Deutschland. Dabei dreht sich alles darum, bei jungen Menschen die Problemlösungskompetenz und Kreativität durch unternehmerisches Denken zu wecken.
Grabmeier geht es um ein neues Denken in der Wirtschaft vor allem um die "Sustainable Transformation", also um besseres, nachhaltiges, enkelfähiges Wirtschaften. Mit einer Gruppe von 80 Schülern hat er in einer Baumakademie gemeinsam mit "plant for the planet" und einigen Förstern im Bonner Siebengebirge Bäume gepflanzt, nachdem die Jugendlichen zunächst einiges über das Leben im Wald sowie zum Klimawandel und den CO2-Ausstoß der globalen Industrien und Gesellschaft gelernt hatten.
Die sozial-ökologische und ökonomische Balance
Die Förster erklärten, dass man einen Wald und jeden einzelnen Baum nicht für sich, nicht für seine Kinder, sondern für seine Enkelkinder pflanzt. Im nachhaltigen Wirtschaften geht es um eine sozial-ökologische und ökonomische Balance. Der Zukunftsforscher gibt zu bedenken, dass derzeit alle relevanten Studien darauf hinweisen, dass die Menschheit nur noch acht bis zehn Jahre Zeit habe, um ihr Wirtschafts- und Produktionssystem in nachhaltige und erneuerbare Strukturen zu überführen, ansonsten seien die entstehenden Schäden irreparabel.
Der Zukunftsforscher hat in seinem aktuellen Buch "Future Business Kompass" vier Thesen formuliert, wie ein besseres Wirtschaften funktionieren kann.
"Produkte, die kein Mensch braucht"
Zum einen fordert er ein neues ökonomisches Betriebssystem - wie er es nennt. Er plädiert dafür, durch alternative Wirtschaftsformen wie die Gemeinwohlökonomie, Benefit Corporation (B Corp), Genossenschaften, Social Business, das Stiftungswesen oder den Mittelstand eine neue Balance von Wirtschafts-Diversität aufzubauen, denn: Zu stark schielte man auf die am Kapitalmarkt gelisteten Unternehmen, zu stark stehe der homo oeconomicus mit seinem Motto "The business of business is business" im Vordergrund und zu wenig beachte man den homo cooperativus. Die komplexen Probleme von heute ließen sich nicht von einzelnen Unternehmen, nicht von einzelnen Staaten lösen. Das funktioniere nur durch Zusammenarbeit, Sektor- und Industrie-übergreifend.
In Zusammenarbeit mit dem Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus, dem Begründer des Mikrofinanz-Gedankens, haben sich beide in der europäischen Keimzelle des Social Business, im "grameen creative lab", oft Gedanken über den Sinn von Unternehmertum gemacht. Yunus' auf den ersten Blick einfache Lösung lautet: Siehst du ein Problem, gründe ein Unternehmen, das eben dafür eine Lösung findet. Im Westen sei es oft so, sagt Grabmeier, dass die Startups ein Produkt entwickeln, das in vielen Fällen nicht gebraucht wird. Sein hartes Fazit: "60 bis 70 Prozent der Startups entwickeln Produkte, die kein Mensch braucht."
Grabmeier kritisiert Produkte oder Services, die eine Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft noch weiter forcieren und einem Unicorn-Mythos des schnellen und hochprofitablen Exits hinterherlaufen, anstatt sich Gedanken über echte Wirkung für Gesellschaft und Umwelt zu machen. Er sieht aber auch Zeichen des Umdenkebs: "Die Startup-Szene verändert sich, das sind positive Zeichen, mehr und mehr Impact Startups wachsen und verantwortungsvolle Investoren stützen diese Bewegung", so Grabmeier.In seiner zweiten These fordert Grabmeier, sich am Modell der Kreislaufwirtschaft ein Beispiel zu nehmen, denn diese lebe vom Recyclen, Reparieren, Wiederverwenden - also Ressourcen wieder in einen Kreislauf zu integrieren. Dafür gebe es mittlerweile viele positive Beispiele. Mud Jeans, ein Jeanshersteller in Holland, hat es geschafft, in diesem fast am giftigsten Teil textiler Produktionsverfahren von Jeans den Chemikalienverbrauch drastisch zu reduzieren. Zudem ist das Geschäftsmodell von Mud Jeans ein Leasing-Modell - man kauft keine Jeans, sondern der Kunde gibt die alte Hose ab und bekommt dann eine neue. Die alte Hose geht wieder zurück in den Produktionskreislauf. Oder, anderes Beispiel: Der Reinigungshersteller Werner & Mertz mit seinen Marken Emsal, Rorax und Frosch sei eines der führenden nachhaltigen Unternehmen, die die Kreislaufwirtschaft vollständig umsetzten.
Unternehmen müssten sich vom kurzfristigen Quartalsdenken verabschieden, ständig immer mehr, immer neue Produkte herzustellen. Wachstum brauche eine neue Definition. Das Ziel muss sein, "ein Unternehmen solange wie möglich im Spiel zu halten", ist der Zukunftsforscher überzeugt, die Entscheidungen sollten auf langlebige adaptive Zyklen ausgerichtet sein. Unsere wirtschaftliche Zukunft hänge nicht mehr vom Wachstum eines Unternehmens, sondern von dessen künftigem Geschäftsmodell ab.Auch der Finanzmarkt brauche neue, nachhaltige Instrumente, um enkelfähiges Wirtschaften zu unterstützen, lautet Grabmeiers dritte These. Der Finanzmarkt habe sich in den letzten Jahren gut - sogar mit Lenkungswirkung - in nachhaltige Finanzsteuerungssysteme entwickelt. "So sollten die Finanzierungen von schädlichen Produkten, fossilen Brennstoffen, zu hohem CO2-Ausstoß - schlicht mit zerstörerischer Kraft gegen die Umwelt möglichst vermieden werden, der Blick sei auf nachhaltige Produkte zu richten", fordert der Zukunftsdenker. Die ESG-fokussierten Finanzprodukte seien die richtige Antwort, Unternehmen danach zu bewerten und zu entscheiden, welche Firmen mit welchem Anspruch an Nachhaltigkeit an den Kapitalmärkten noch Geld bekommen oder nicht.
So habe die Deutsche Börse erst kürzlich für 1,5 Milliarden Euro die Firma ISS erworben, die sich um die Kontrolle nachhaltiger Investments kümmert. Ein anderes Beispiel ist die Value Balancing Alliance, die unter anderem von BASF initiiert wurde und der sich bisher sieben weitere Konzerne angeschlossen haben. Diese Konzerne erweitern die klassischen volkswirtschaftlichen Meßinstrumente und Bewertungskriterien auch um Standards für nachhaltiges Wirtschaften und Fragen nach dem Gemeinwohl.
Es gilt dabei zum Beispiel zu messen: Welche Beiträge leisten Unternehmen für die Gesellschaft - in ökologischer, menschlicher, sozialer und finanzieller Hinsicht? Und wie sind diese Beiträge messbar und vergleichbar? Welche Aspekte für das Gemeinwohl sind erkennbar? Als Vision will diese Allianz sogar einen eigenen Aktienindex dafür aufbauen. An dem Beispiel zeigt sich, so Grabmeier, dass besseres Wirtschaften neue betriebs- und volkswirtschaftliche Methoden benötigt. "Die Logik reiner Wachstumsorientierung und das Messen von Wohlstand im BIP werde zukünftig nicht mehr reichen, wenn wir uns als Gesellschaft überlebensfähig entwickeln wollen", so sein Fazit.In der vierten und letzten These heißt es, dass die Gesellschaft über Bildung und Lernen zu einem besseren Wirtschaften kommen muss. Grabmeier zitiert dazu eine in diesem Herbst erschienene Studie des World Economic Forum (WEF), in der es unter anderem um die wichtigsten zehn Skills der Zukunft geht. Allein fünf davon beschäftigen sich mit eher nichtfachlichen Kompetenzen wie Problemlösungsfähigkeit, Innovationsfähigkeit, Kreativität, Originalität oder das verständnis von komplexen Systemen.
Nur zwei Skills, Programmierung und technisches Design, kommen aus dem Technologiebereich. Das überrascht Grabmeier nicht, denn Technologie allein sei nicht die Zukunft. Sondern "die Art und Weise wie wir Zukunft denken und welche Werkzeuge wir für deren Gestaltung einsetzen", meint der Forscher. Diese Zukunftskompetenzen gelte es auf- und auszubauen.