Indische "Entwicklungshilfe"
Wie Mercedes von Bangalore profitiert
Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Lokaltermin bei Mercedes Benz Research and Development Center India (MBRDI): Lärm, Smog und allgemeines Verkehrschaos auf den Straßen täuschen leicht darüber hinweg, dass in dem schicken Gebäude in Bangalores Technologieviertel Whitefield mit großem Eifer an der Zukunft der AutomobilitätAutomobilität gearbeitet wird. Top-Firmen der Branche Automobil
Und auch innerhalb des Firmengeländes sind die Hinweise nur dürftig, dass es sich hier um das Entwicklungszentrum eines der weltgrößten Autobauers handelt: Kein Mercedes-Fahrzeug weit und breit, statt Testanlagen und Labors sind die Stockwerke des Hauptgebäudes mit Großraumbüros durchsetzt, in denen die Angestellten in kleinen Cubicals am PC arbeiten.
"Wir versuchen, die digitale Entwicklungsgrenze weiter zu schieben und das Produkt solange wie möglich im Computer zu halten", erklärt Parthiv Shah, General Manager Computational Engineering, MBRDI, die Mission seiner Abteilung. Konkret bedeute dies, dass Testszenarien im Rechner simuliert werden und nicht erst am physischen Modell oder Prototypen. Dies ist nämlich nicht nur kostspieliger, sondern verlangsamt auch die Entwicklung deutlich.
Enteisungssimulation made in India
Als Beispiel verweist Shah auf die hochkomplexe Simulation der Enteisungsfunktion für Windschutzscheiben von PKWs und LKWs, die in seiner Abteilung entwickelt wurde. Nachdem im Rahmen eines Testszenarios in Sindelfingen bewiesen wurde, dass eine optimale Anordnung der Warmluftdüsen bereits in der digitalen Phase möglich ist, wird die Methode inzwischen als Standard für alle PKWs und LKWs angewandt.
Ein anderes Beispiel dafür, dass die Dependance in Bangalore für DaimlerDaimler längst viel mehr als nur eine verlängerte Werkbank darstellt, ist die Simulation eines Crashtests des IIHS, bei dem ein 1,5 Tonnen schweres Fahrzeug mit 50 Km/h seitlich aufprallt. Hier kann Shahs Team bereits am Rechner feststellen, ob ein Fahrzeug den Test passiert oder durchfällt. Doch damit nicht genug: Zeigt sich, dass beispielsweise die B-Säule versteift werden muss, ist es in der Lage, die Info an den benachbarten Bereich Herstellungs- und Fertigungssimulation weiterzuleiten. Top-500-Firmenprofil für Daimler
Als Resultat bekommt der Mutterkonzern in Deutschland dann mit dem Testergebnis gleich einen Hinweis auf die Optimierungsmöglichkeit. "Wir haben früh angefangen, Themen als Loop zu schließen und so von digitalem Know-how zu Domain-Know-how zu wechseln", erklärt Shah: "In diesem Gebäude sind Problem und Lösung nur einen Schritt voneinander entfernt."
Solange wie möglich im Computer entwickeln
Auch im Bereich Electrical & Electronics (E&E) von MBRDI ist es oberstes Ziel, die Schwelle der fahrzeugunabhängigen Entwicklung so weit nach vorne zu treiben. Im Fokus stehen hier Themen, wo das Unternehmen das Knowhow intern halten möchte, damit es nicht an Zulieferer und somit indirekt an die Konkurrenz abfließt. Bei aller Geheimniskrämerei sieht Manu Saale, Managing Director & CEO von MBRDI, allerdings auch Vorteile in dem engen Kontakt mit den Zulieferern: "Von unserem Lieferantennetzwerk sind alle hier in Bangalore präsent und wir können als Daimler in Kontakt treten."
Das E&E-Portfolio reicht dabei von Software für ECUs und Elektromotoren über Kabelbäume bis hin zu verschiedenen Apps für Connected Cars. Aus Bangalore stammen bereits zehn Apps, darunter Anwendungen für das Rear Seat Entertainment (RSE), Smart Cross Connect (eine Art Android Auto für den Smart) und die auf der IFA vorgestellte App pacTris zum effektiven Bepacken eines Smart.
Mercedes arbeitet in Südindien auch am Thema Autonomes Fahren, allerdings nur in einem Versuchsaufbau am Rechner. So ist in Bangalore kein Mercedes mit Driving Assistance verfügbar, da die verwendeten Lidars in Indien nicht zugelassen ist. Darüber hinaus kann man sich Testfahrten angesichts der katastrophalen Verkehrssituation nur schwer vorstellen.
Auch die Tätigkeiten der IT-Abteilung in Bangalore gehen weit über das hinaus, was man als klassische Offshoring-Dienste bezeichnen würde. So kümmert sich das mehr als 1400 Köpfe starke Team nicht nur um die globale IT-Infrastruktur von Daimler und die eigene IT, sondern neu auch um das zunehmend wichtige Thema Engineering IT & Advanced Analytics. Auch regionale Rollouts wie die derzeit stattfindende Migration auf Windows 10 werden mit MBRDI vorbereitet.