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Machine Learning bei Fresenius

Wie Predictive Analytics Dialysepatienten rettet

Thor Olavsrud ist Senior Writer bei CIO.com und beschäftigt sich mit IT-Security, Big Data, Open-Source-Technologie sowie Microsoft-Tools und -Server-Systemen. Er lebt in New York.
Fresenius Medical Care hat ein Machine-Learning-Modell entwickelt, das die häufigste – und potenziell lebensbedrohliche – Komplikation bei Dialysepatienten vorhersagt.
Fresenius Medical Care hat ein Predictive-Analytics-Modell entwickelt, das Dialysepatienten künftig das Leben retten könnte.
Fresenius Medical Care hat ein Predictive-Analytics-Modell entwickelt, das Dialysepatienten künftig das Leben retten könnte.
Foto: P_Brauers | shutterstock.com

Für Patienten, die an Nierenversagen leiden, ist die Dialyse eine lebensrettende Behandlung. Bei dem Verfahren wird das Blut der Patienten gereinigt - also die Nierenfunktion "simuliert". Das ist allerdings nicht ohne Risiko. Um dabei eine der am häufigsten auftretenden Komplikationen bereits im Vorfeld erkennen zu können, setzt der deutsche Healthcare-Konzern (und Spezialist im Bereich der Dialysedienstleistungen) Fresenius Medical CareFresenius Medical Care auf eine Kombination aus klinischen und Echtzeit-IoT-Daten. Top-500-Firmenprofil für Fresenius Medical Care

Das Projekt mit der leicht ausufernden Bezeichnung "Real-Time Prediction of Intradialytic Hypotension Using Machine LearningMachine Learning and Cloud ComputingCloud Computing Infrastructure" hat dem Unternehmen einen "CIO 100 Award" in der Kategorie "IT Excellence" eingebracht. Alles zu Cloud Computing auf CIO.de Alles zu Machine Learning auf CIO.de

Mortalitätsrisiken vorhersagen

Fresenius betreibt ein weltweites Netz von mehr als 4.000 ambulanten Dialysezentren, in denen vor allem Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (ESRD) behandelt werden. Diese Patienten benötigen dreimal pro Woche ein Dialyseverfahren. Dabei kommt es bei etwa 10 Prozent der Behandlungen zu einer sogenannten intradialytischen Hypotonie (IDH) - einem plötzlichen Blutdruckabfall.

Hanjie Zhang, Director of Computational Statistics and Artificial IntelligenceArtificial Intelligence am Renal Research Institute (eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von Fresenius), erklärt: "Eine IDH stellt ein unmittelbares, potenziell schwerwiegendes Risiko für die Patienten während der Dialyse dar. Tritt sie auf, muss das Personal sofort reagieren. Dabei ist diese Komplikation nicht nur potenziell lebensbedrohlich - sie führt auch zu einer geringeren klinischen Effizienz und Effektivität." Alles zu Artificial Intelligence auf CIO.de

Deshalb setzte sich Fresenius im September 2021 das Ziel, mit Hilfe von Machine Learning (ML) und Cloud Computing ein Modell zu entwickeln, das eine intradialytische Hypotonie zwischen 15 und 75 Minuten im Voraus erkennt und so eine optimale, personalisierte Patientenversorgung ermöglicht. Dazu musste der Konzern mehrere Herausforderungen meistern, wie Pete Waguespack, Director of Data and AnalyticsAnalytics Architecture and Engineering bei Fresenius Medical Care North America, hervorhebt: "Aufgrund der zahlreichen patienten- und behandlungsbezogenen Faktoren, die das Risiko für eine IDH beeinflussen, ist es herausfordernd, das zielgenau vorherzusagen. Es war deshalb alternativlos, ein funktionsübergreifendes Team aus klinischen, operativen und technologischen Experten zusammenzubringen. Diese sollten in einem ersten Schritt die Anforderungen an das prädiktive Modell und die Reaktion in Echtzeit definieren." Alles zu Analytics auf CIO.de

Darüber hinaus musste die Lösung jedoch auch für alle Dialysezentren von Fresenius skalierbar sein. Es musste außerdem eine zeitkritische Lösung mit geringer Latenzzeit sein: Von der Datenerfassung durch die Dialysegeräte und medizinischen Sensoren bis zum Reporting und der Benachrichtigung des Personals sollten nicht mehr als zehn Sekunden vergehen.

Damit das Team dabei auch etwaige (technische) Probleme erkennen und schnell beheben kann, waren außerdem systematische und automatisierte Monitoring- und Warnmechanismen erforderlich. Dazu kommt Technologie von Amazon Web Services zum Einsatz: Cloud Watch für Benachrichtigungen sowie Kinesis Data Analytics und Streams für Alerts zu Datenqualitätsproblemen.

"Mithilfe eines agilen Ansatzes haben wir Funktionen priorisiert, um innerhalb von sechs Monaten zu einem Minimum Viable Prototype zu gelangen", erinnert sich Waguespack, bevor er auf die größte Challenge dieses Unterfangens zu sprechen kommt. "Die bestand darin, die Echtzeit-Datenverarbeitung, die Inferenzen und das Monitoring zu skalieren, um die Service Level Agreements auch unter Spitzenlast zu erfüllen."

Dialyse-Transformation

Das ML-Modell von Fresenius nutzt elektronische Gesundheitsdaten, die mehrere Variablen auf Behandlungs- und Patientenebene umfassen - unter anderem intradialytische Blutdruckmessungen. Das Team trainierte und validierte sein Modell mit Beobachtungsdaten von 42.656 Hämodialysesitzungen bei 693 stationären Patienten. Das Projekt bedeutete für Fresenius auch, sich auf Neuland zu wagen: Schließlich musste man sich zwingend mit dem Thema Datenschutz in der Cloud und der Rolle von künstlicher Intelligenz (KI) im klinischen Umfeld auseinandersetzen.

Das Predictive-Analytics-Modell wurde von der US-Gesundheitsbehörde FDA bislang noch nicht bewertet oder für den Einsatz freigegeben. Laut Statistik- und KI-Chefin Zhang durfte das Team seine Projektergebnisse vor kurzem jedoch bereits in einer renommierten medizinischen Fachzeitschrift veröffentlichen. "Es sind weitere klinische Studien erforderlich, um zu überprüfen, ob IDH zuverlässig erkannt wird. Die Modell-Performance in der Validierungskohorte war allerdings sehr vielversprechend."

Mit seinem Predictive-Analytics-Projekt hat Fresenius darüber hinaus einen weiteren, entscheidenden Schritt hinsichtlich seiner eigenen Transformationsbemühungen getan, wie Waguespick unterstreicht: "Dieses Projekt ist einer von mehreren Bausteinen, um unser Unternehmen für die Welt von IoT, Big Data und KI zu transformieren. Aufbauend auf dem Erfolg dieser Initiative arbeiten wir weiter an Prozessen und Technologien, um unsere Daten effektiv zu managen und damit Innovationen zu ermöglichen." (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.

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