DHL-Personalchefin im GenAI-Interview
"Wir hatten keine Ahnung, dass so etwas möglich ist"
"Die Personalabteilung war Technologie-Nachzügler"
Mit welchen Herausforderungen haben Sie zu kämpfen, wenn es um Recruiting geht - insbesondere mit Blick auf einige der neuen Technologien, die DHL einführt?
Wellard: Uns geht es da - glaube ich - ähnlich wie vielen anderen Unternehmen. Derzeit besteht weltweit eine enorme Nachfrage nach Fachkräften im technischen Bereich. Dabei ändern sich die meistgesuchten Skillsets gefühlt auch alle sechs Monate. Zuerst wollten alle Blockchain-Experten, dann begann der Run auf Projektmanager, Cloud-Architekten und Cybersecurity-Profis. Und in jüngster Zeit steht natürlich das Thema generative künstliche Intelligenz auf der Skill-Prioritätenliste ganz weit oben.
Auch wir brauchen technische Fachkräfte - allerdings mussten wir feststellen, dass unsere Reputation als IT-Arbeitgeber quasi nicht existent war. Unsere Zielsetzung bestand also darin, möglichst zu vermitteln, warum DHL für Technologieexperten eine gute Option ist. Diesbezüglich können wir vor allem damit punkten, dass unsere technischen Mitarbeiter die Früchte ihrer Arbeit meist relativ schnell zu Gesicht bekommen - egal ob sie an AR- oder IoT-Projekten arbeiten. Und ich glaube, viele Tech-Fachkräfte wollen genau das: sehen, wie sich ihre Programmierarbeit, ihr Design oder ihr Projektmanagement auf den Kunden oder das Unternehmen auswirkt.
Haben Sie neben der Partnerschaft mit Phenom auch ein internes Team aufgebaut um Generative AI auszurollen? Und falls ja: Wie setzt sich das zusammen?
Wellard: Von unserem Partner Phenom konnten wir tatsächlich eine Menge lernen in Sachen Generative AI. Wir haben jedoch auch ein tolles, kohärentes Team, das in einer Art 'agilem Modus' arbeitet. Auch die Arbeit in einer Scrum-basierten Umgebung war für uns etwa völlig Neues. Unser internes Team besteht aus einer Reihe von HR-Profis, die sich mit der Personalbeschaffung auskennen, aber auch in der Lage sind, die HR-Bedürfnisse sozusagen in technische Fachsprache zu übersetzen. Diese haben wir mit IT-Profis zusammengebracht, die dabei unterstützen, die HR in die Technologiewelt zu hieven. Zuvor war die Personalabteilung ein Nachzügler, wenn es darum ging, neue Technologien einzuführen.
Haben Sie auch Experten aus anderen Bereichen hinzugezogen - Recht, Finanzen oder Compliance beispielsweise?
Wellard: Wir sprechen von Product Ownern. Diese kommen sowohl aus dem Personalbereich als auch aus dem Business und definieren, was benötigt wird. Sie sind es auch, die mit der IT-Abteilung über technische Lösungen respektive deren Machbarkeit und Umsetzung sprechen. Natürlich sprechen die Product Owner im Anschluss auch mit unseren Compliance-Spezialisten, ob eine zur Debatte stehende Lösung auch aus deren Sicht funktioniert.
Dann gibt es auch noch unsere Procurement-Partner, die genau über unsere Vertragsverflechtungen Bescheid wissen und ebenfalls einbezogen werden, um das Maximum aus bestehenden Beziehungen herausholen zu können. Die Finanzabteilung und das Management spielen selbstverständlich ebenfalls eine Rolle - generell geben alle Beteiligten ihre Perspektive zum Thema ab. Bei einem solchen Unterfangen kommt also tatsächlich der ganze Konzern zusammen.
Wie weit sind Sie dabei auf Management-Ebene gegangen, um Anregungen und Input zu erhalten?
Wellard: Bis hin zu unseren direkten Vorgesetzten, die das Produkt getestet und uns Feedback dazu gegeben haben, wie es aussieht und sich anfühlt. Wir haben dabei wirklich alle relevanten Entscheider miteinbezogen.
Parallel haben wir jede Menge Zeit und Arbeit in unsere Arbeitgebermarke gesteckt, um sie konsistent zu gestalten. Dazu haben wir Gespräche, Interviews, Umfragen und Workshops mit 3.000 oder 4.000 Mitarbeitern - vielleicht sogar noch mehr - abgehalten, um herauszufinden, welche Erfahrungen sie während ihrer Tätigkeit für uns gemacht haben - sowohl positiv als auch negativ. Daraus haben wir eine Story entwickelt, die erzählt wo wir als Unternehmen stehen und was unser Team so stark macht. Wenn man hier erst einmal an Bord ist, fließt nicht mehr nur rotes, sondern auch gelbes Blut durch die Adern - das ist ein Fakt.
Können Sie uns erklären, wie Ihre neue, konsolidierte Job-Website Bewerber zu den richtigen Vakanzen führt?
Wellard: Das Schöne an dieser Technologie ist ja, dass sie sich nicht komplex anfühlt. Auf HR-Seite macht die KI die ganze Sache ebenfalls super einfach und wird auf unserer Seite Teil der Search Experience: Wenn Sie bei der Suche nach Jobs als Ort Vietnam eingeben, erkennt die KI sofort, wo Sie sich befinden und zeigt Ihnen eine Reihe von Stellenangeboten in Ihrer Sprache an. Das ist ein sehr einfacher Algorithmus, der sich jedoch sehr persönlich und relevant anfühlt.
Doch das ist noch nicht alles: Wir haben außerdem einen Phenom-gebrandeten Chatbot in die Seite integriert, der Job-Empfehlungen personalisieren kann. Er stellt potenziellen Bewerbern auch erste Fragen, die mit der Compliance in Zusammenhang stehen - etwa ob er Daten erfassen darf. Durch diese einfachen Ja-oder-Nein-Fragen lernt der Bot, für welche Art von Job der Bewerber oder Interessent geeignet sein könnte - auch, wenn er sich nicht auf diese Art der Stelle beworben hat.
Je tiefer die Bewerber in die Plattform einsteigen, desto intensiver wird das Ganze - allerdings mehr für die HR-Entscheider, die sofort sehen kann, dass bestimmte Personen von der KI für spezifische Stellen empfohlen werden. Diese Art der Matching-KI unterstützt uns ganz wesentlich dabei, die richtigen Menschen für die richtigen Jobs zu finden. Zuvor bedeutete das vor allem, viel Zeit damit zu verbringen, sich durch Lebensläufe und Bewerberlisten zu arbeiten. Listen gibt es zwar immer noch, aber die besten Kandidaten stehen jetzt ganz oben. Aus meiner Sicht ist das ein wirklich starker Anwendungsfall für die Machine-Learning-Technologie, zu der wir zuvor keinen Zugang hatten.
Unsere Karriereplattform kann jedoch noch viel mehr - etwa die Personaler mit KI-gestützter Bewerberkommunikation unterstützen. Das erleichtert den Arbeitsalltag wirklich erheblich. Zudem sind alle Bewerber für sämtliche Personaler einsehbar, was die Chance weiter erhöht, konzernweit die besten Talente für offene Stellen zu finden.
"Es ist kein Monster - nur ein Tool"
Hat Ihr GenAI-HR-Projekt auch unerwartete Benefits erschlossen?
Wellard: In den vergangenen Wochen haben wir festgestellt, dass wir die sichtbarste Karriereplattform in Deutschland sind. Wenn Sie hier nach einem entsprechendem Job suchen, finden Sie als erstes die DHL-Seite - und auch in vielen anderen Ländern sind wir kurz davor, die Nummer eins zu werden. Ich denke, das liegt daran, dass wir nicht nur eine gute Karriereplattform vorweisen, sondern auch wissen, wie wir sie nutzen müssen. Und wir haben großartige Angestellte, die unsere Seite mit Inhalten befüllen und aktualisieren.
Die Plattform ermöglicht uns dabei, das möglichst schnell und effizient zu tun. Dazu haben wir einen echt guten Prozess etabliert und Mitarbeiter in den Niederlanden, Costa Rica und Malaysia, die sich rund um die Uhr damit beschäftigen, die Inhalte zu verwalten. Sollte also beispielsweise in irgendeinem Land auf der Welt ein bestimmtes Unternehmen schließen, dessen Mitarbeiter für uns interessant sind, können wir darauf sofort mit einem unserer Teams inhaltstechnisch reagieren. Als wir das Produkt an den Start gebracht haben, hatten wir keine Ahnung, dass so etwas überhaupt möglich ist.
Zu den erwarteten Resultaten zählt übrigens, dass sich unsere Arbeitgeberreputation verbessert, insbesondere mit Blick auf technische Fachkräfte und junge Talente. Unsere Fähigkeit, Content dynamisch und wirklich zielgerichtet anzupassen, um bestimmte Bewerber-Zielgruppen anzusprechen, hat sich als sehr lohnend erwiesen.
Laufen bei DHL neben der Karriereplattform noch andere GenAI-Projekte?
Wellard: Wir führen aktuell gerade unseren 'Career Marketplace' ein. Dabei handelt es sich um einen internen Marktplatz, bei dem Menschen nicht nur für Jobs, sondern auch für Lernnetzwerke, Mentoring und andere Experiences empfohlen werden, die in diese Richtung gehen. Dieses Projekt wird auch einige tolle KI-Funktionalitäten beinhalten. Zudem verwenden wir für einige unserer internen Marketing-Materialien einen GenAI-Chatbot - zum Beispiel, um Schulungs- oder Kurzvideos zu erstellen. Dieser Chatbot heißt übrigens GAIA - ein Akronym für 'Generative AI and Intelligent Automation'.
DHL ist bei der Einführung interner Generative-AI-Tools insgesamt sehr klug und schnell, gleichzeitig aber auch behutsam vorgegangen. Das Ziel war dabei, ein Tool zur Verfügung zu stellen, das sicher, compliant und für jeden zugänglich ist. Das realisiert zwei wesentliche Vorteile: Erstens verschafft es den Mitarbeitern Klarheit darüber, was Generative AI ist. Und zweitens trägt das wiederum dazu bei, mögliche Ängste oder Bedenken in Bezug auf KI aufzulösen. Es ist kein Monster - nur ein Tool.
Wie hat DHL seine Festangestellten im Umgang mit künstlicher Intelligenz geschult?
Wellard: Es gibt eine Gruppe innerhalb unseres Unternehmens, die eine aktivere Rolle dabei eingenommen hat, die Belegschaft zu informieren und weiterzubilden. Sie haben zum Beispiel Workshops und Webinare auf die Beine gestellt und zu Infosessions eingeladen, die etwas formaler gestaltet waren als unser vorheriger 'Soft Rollout'. Zudem setzen wir auch auf Lernpartner, um diejenigen, die KI einsetzen, Algorithmen erstellen oder Daten analysieren, eine angemessene KI-Weiterbildung zu ermöglichen.
Welche Lernpartner wären das?
Wellard: Wir nutzen beispielweise Coursera recht häufig und auch Skillsoft Percipio. Wir haben auch Partnerschaften mit Universitäten und anderen Institutionen, die ein gehobenes Weiterbildungsniveau bieten können.
Haben Sie zum Abschluss noch einen Tipp für andere Unternehmen, die einen KI-Rollout in Erwägung ziehen? Was gilt es diesbezüglich zu vermeiden?
Wellard: Hysterie gilt es zu vermeiden. Ich glaube DHL einen sehr guten Job gemacht, was das angeht. Zumindest hatte ich nie Angst vor künstlicher Intelligenz. Uns wurde erklärt, dass die Technologie kommen - und uns helfen - wird. Sicher haben Sie schon von dem Spruch gehört, dass KI niemandem den Arbeitsplatz wegnehmen wird. Vielmehr die Menschen, die besser mit der Technologie umgehen können.
Im Kern geht es darum, zu vermitteln, sich mit dem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen und zu lernen, wie KI dafür sorgen kann, dass man selbst einen besseren Job macht. (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.