Problem weiter ungelöst
737-Max-Krise treibt Boeing in die roten Zahlen
Vom Vorzeigekonzern zum Krisenfall: Der Airbus-Rivale Boeing ist nach zwei verheerenden Flugzeugabstürzen angeschlagen wie selten zuvor. Nachdem Konzernchef Dennis Muilenburg kurz vor Weihnachten gefeuert wurde, legte sein Nachfolger Dave Calhoun an diesem Mittwoch erstmals den Geschäftsbericht vor. Wie erwartet, präsentierte der Top-Manager nach dem Katastrophenjahr 2019 eine regelrechte Horrorbilanz mit immensen Belastungen und Sonderkosten aufgrund der Startverbote für den Unglücksjet 737 Max.
Calhoun räumte bei der Zahlenvorlage unumwunden ein, dass noch "viel Arbeit" vor ihm und seinem Führungsteam liege. "Glücklicherweise bietet die Stärke von Boeings Business-Portfolio ausreichend finanzielle Liquidität für einen gründlichen und disziplinierten Genesungsprozess." Dass der neue Chef die Kapitalausstattung so hervorhebt zeigt, wie tief der Konzern in der Krise steckt. Angesichts der immensen Probleme mit der 737 Max rechnet Boeing inzwischen mit Sonderkosten von mehr als 18 Milliarden Dollar.
Boing häuft für 2019 636 Millionen Dollar Verlust an
Im Jahr 2019 trieb das Debakel um den Unglücksjet das Unternehmen erstmals seit 1997 in die roten Zahlen. Im vergangenen Geschäftsjahr fiel ein Verlust von 636 Millionen Dollar (578 Mio Euro) an. Im Vorjahr hatte der Airbus-Rivale noch 10,5 Milliarden Dollar verdient. Der Umsatz brach um 24 Prozent auf 76,6 Milliarden Dollar ein. Zum Jahresende nahmen die Probleme weiter zu - alleine im vierten Quartal verlor Boeing unterm Strich gut eine Milliarde Dollar. Damit wurden sogar die bereits deutlich gesenkten Markterwartungen verfehlt.
Boeing geht davon aus, dass das 737-Max-Flugverbot noch Monate andauern wird. Der Konzern rechnete zuletzt mit einer Wiederzulassung "Mitte 2020". Damit bleibt Boeings bestverkauftes Modell deutlich länger am Boden als zunächst erhofft. Der Zeitplan liegt ganz in den Händen der Flugaufsichtsbehörden. Der Ausfall ist eine enorme Belastung. US-Medien berichteten jüngst über Finanzierungskredite in Höhe von rund zwölf Milliarden Dollar (10,9 Mrd Euro), die Boeing angesichts der prekären Lage mit Banken vereinbart habe.
Boeings größtes Problem
Da die 737 Max nach den zwei Abstürzen mit insgesamt 346 Toten seit Mitte März 2019 weltweit nicht mehr abheben darf, kann der Bestseller seitdem auch nicht mehr an Kunden ausgeliefert werden. Das belastet den Hersteller massiv, zumal Boeing die 737 Max zunächst noch weiter auf Halde produziert hatte, obwohl den hohen Kosten keine Einnahmen gegenüberstanden. Erst in diesem Monat wurde die Notbremse gezogen und die Fertigung gestoppt. Das wiederum ist eine Hiobsbotschaft für die große Zuliefererkette und die US-Wirtschaft insgesamt, für die Boeing große Bedeutung hat.
Experten hoffen indes, dass sich die Situation nach dem Rauswurf von Muilenburg bessert, der wegen seines Krisenmanagements schon lange in der Kritik stand. "Unter Calhoun wird Boeing nun zunehmend realistischer hinsichtlich des Zeitplans und packt auch gegenüber den Aufsichtsbehörden endlich alle skandalösen Fakten auf den Tisch", meint Wolfgang Donie von der Landesbank NordLB.
"Gigantische Kosten"
"Sicher ist aber: auf Boeing kommen weiter gigantische Kosten zu." Bei einer Freigabe der 737 Max Mitte 2020 sei mit Belastungen von mindestens 30 Milliarden Dollar zu rechnen. Fehlende Auslieferungen, der Produktionsstopp, die Rezertifizierung und Opferentschädigungen sowie die Kompensation von Kunden und Zulieferern dürften Boeing teuer zu stehen kommen.
Wie kritisch die Lage ist, ließ sich jüngst schon am Orderbuch des US-Konzerns ablesen. Unterm Strich büßte Boeing im vergangenen Jahr 87 Bestellungen in der Verkehrsflugzeugsparte ein, weil es mehr Stornierungen als neue Aufträge gab. Das Unternehmen konnte nicht auf Anhieb Auskunft geben, ob und wann es zuvor schon mal eine negative Jahresbilanz gab. "Dies ist in den vergangenen 30 Jahren definitiv nicht vorgekommen", sagte ein Sprecher dem US-Sender CNBC. Erzrivale Airbus profitiert indes von Boeings Schwäche. Mit 768 neuen Aufträgen und 863 ausgelieferten Verkehrsfliegern übernahmen die Europäer 2019 die Weltmarktführerschaft vom US-Konkurrenten.
Airbus profitiert von Boings Schwäche
Neben den geschäftlichen Einbußen haben die Abstürze auch erhebliche Image-Schäden und rechtliche Konsequenzen nach sich gezogen. Als entscheidende Ursache der Unglücke gilt eine fehlerhafte Steuerungsautomatik der Boeing-Flugzeuge. Der Konzern steht im Verdacht, die Flieger im scharfen Wettbewerb mit Airbus und aus Profitgier überstürzt auf den Markt gebracht und dabei die Sicherheit vernachlässigt zu haben. Boeing weist diese Vorwürfe zwar zurück, hat aber eine Reihe von Fehlern und Pannen eingeräumt. Zudem gerät das Unternehmen immer wieder durch brisante Interna in die Bredouille.
So brüsteten sich Angestellte in gegenüber dem US-Kongress offengelegten Chats damit, die US-Flugaufsicht FAA bei der ursprünglichen 737-Max-Zulassung an der Nase herumgeführt zu haben. Die Nachrichten sind extrem unangenehm für Boeing. Im April 2017 hieß es darin über die 737 Max: "Dieses Flugzeug ist von Clowns entworfen, die wiederum von Affen beaufsichtigt werden". Angesichts des Debakels ist es erstaunlich, dass Boeings Aktien 2019 noch mit einem leichten Plus überstanden. Zuletzt verloren aber auch Anleger zunehmend die Geduld - in den letzten drei Monaten fiel der Kurs um zehn Prozent. (dpa/rs)