Hartmut Rosa
"Die eingesparte Zeit ist im Eimer"
Herr Rosa, Sie haben vor sieben Jahren eine Theorie der Beschleunigung vorgelegt, die von Ihnen immer wieder aktualisiert worden ist. Spricht die Dauerhaftigkeit des Themas, die Wertbeständigkeit seines Erfolgs nun für oder gegen Ihre Beobachtung, dass alles immer schneller alt wird?
Hartmut Rosa: Ich glaube eher dafür. Zumal ich immer betont habe, dass aller Beschleunigung auch ihr Gegenteil innewohnt. Denn einerseits vollzieht sich in unserer Gesellschaft der technische, soziale und kulturelle Wandel immer schneller. Andererseits bleiben die Prozessstrukturen dahinter stabil, etwa das eherne Gesetz des Wachstums. Hier sehe ich sogar Anzeichen der Erstarrung, der Kristallisation. Mittlerweile können wir uns ja eher das Ende der Geschichte vorstellen als eine Alternative zur Steigerungslogik des Kapitalismus. Mit anderen Worten: Die Tatsache, dass Beschleunigung vor sieben Jahren ein Thema war, widerlegt nicht meine These, sondern sie ist die These.
Sind Erstarrung und Beschleunigung zwei Seiten einer Krise moderner Gesellschaften?
Ich bin kein Entschleunigungs-Guru. Langsamere Internetverbindungen oder langsamere Züge sind keine Lösungen. Allerdings glaube ich, dass eine Gesellschaft, die für immer mehr Wachstum und Innovationen sorgen muss, um sich strukturell zu erhalten, geradezu logisch auf eine Krise zuläuft. Wann reicht’s? Wann sind wir schnell genug? Nie.
Dass das soziale und ökonomische System einer Logik der dynamischen Stabilisierung folgt - es muss wachsen, damit es bleiben kann, wie es ist -, kann man gegenwärtig gut in Griechenland beobachten: Wenn die Wirtschaft schrumpft, verlieren wir Arbeitsplätze, machen Firmen zu, sinken die Staatseinnahmen, steigen die Ausgaben, kommt es zu einer Staatsschuldenkrise, verliert das politische System an Legitimation, bricht das soziale System zusammen.
Müssen wir wirklich immer schneller werden? Oder sollten wir nicht umgekehrt fragen: Welches Tempo ist gut für uns?
Doch, unbedingt. Es gibt nämlich Umgebungssysteme, die nicht Schritt halten können mit unserem Lebenstempo. Das Ökosystem zum Beispiel. Nicht dass wir Bäume schlagen und Fische fangen, ist das Problem, das haben wir schon immer gemacht. Aber wenn wir das in immer schnellerem Maße tun, kann sich das Ökosystem nicht mehr regenerieren.
Das Gleiche gilt für unsere Psycho-Systeme, die dem Lebenstempo nicht gewachsen sind – die Folgen sind BurnoutBurnout und Depressionen. Oder denken Sie an das politische System: Je komplexer und pluralistischer die Gesellschaft, desto zeitaufwendiger sind die Verfahren der Entscheidungsfindung. Die Demokratie hinkt dann unvermeidlich hinter der Dynamik der ökonomisch-technischen Entwicklung her. Alle drei Phänomene können als krisenhafter Ausdruck einer sich verschärfenden Desynchronisation beschrieben werden. Alles zu Burnout auf CIO.de
Ihre Deutung der Moderne wäre demnach nicht nur eine Zeitdiagnose, sondern auch eine Zeit-Diagnose: Die Zeit selbst, sagen sie, sei aus den Fugen. Was meinen Sie damit?
Es gibt viele Beschreibungen der Moderne. Traditionell wird sie auf den Begriff von "Rationalisierung" und "Individualisierung" gebracht. In jüngerer Zeit wurde sie als Arbeits-, Freizeit-, Erlebnisgesellschaft, auch als Risiko-, Informations- oder Multioptionsgesellschaft gedeutet. Ich finde, dass diese Theorien in ihren Beschreibungen zu punktuell sind. Dass ihnen der Aspekt der Dynamik fehlt.
Darauf ist Joseph Schumpeter auch schon gekommen. Für ihn war der Kapitalismus eine gewaltige Maschine, die fortwährend Umwälzung, Fortschritt, Dynamik produziert.
Die soziologischen Klassiker hatten ein feines Gespür für die Wahnsinnsdynamisierung der Gesellschaft. Ich würde sogar sagen: Beschleunigung ist das verbindende Element ihrer Theorien. Nehmen Sie Karl Marx: Das Kommunistische Manifest ist nicht in erster Linie eine Klassenkampfschrift, sondern eine Beschleunigungsschrift: "Alles Ständische und Stehende verdampft", die Bourgeoisie jagt unwiderstehlich über den Globus… Oder Max Weber. Der zeigt mit seiner "Protestantischen Ethik", dass im Kapitalismus nicht Geldverlust, sondern Zeitverschwendung zur tödlichsten aller Sünden wird. Georg Simmel wiederum beschreibt die Großstadt als Tempophänomen, das uns kollektive Nervosität beschert. Und Émile Durkheim spricht von Anomie: Wenn die Normen der Lebensführung nicht Schritt halten mit dem sozialen Wandel, droht der Einzelne den Halt zu verlieren und es kommt zu Solidaritätsverlusten.
- Platz 10: Bürokratie
Es könnte alles so schön sein: Die Tür ist zu, das Telefon klingelt nicht und das Projekt läuft. Aber immer wieder hindert die Verwaltung den Mitarbeiter daran, effizient zu sein. Acht Prozent der Befragten gaben an, jeden Tag ein bis zwei Stunden mit Bürokratie und Verwaltungsangelegenheiten zu kämpfen. Hier ein Formular, dort ein Antrag - da geht schnell viel Zeit drauf. Nur ein Viertel der Befragten gab an, sich überhaupt nicht damit befassen zu müssen. - Platz 9: SMS und Nachrichten schreiben
Vrrmvrrm vibriert das Smartphone in der Tasche. Darauf will geantwortet werden, egal, ob die erhaltene Nachricht beruflich oder privat ist. Das frisst Zeit: Jeder zehnte gab an, täglich ein bis zwei Stunden mit SMS oder anderen Nachrichtendiensten zuzubringen. Und genau so viele verbringen sogar mehr als zwei Stunden täglich damit, Nachrichten zu tippen. Natürlich verzichten viele auch während der Arbeitszeit nicht auf die Kommunikation per SMS. Und das frisst jede Menge Zeit. - Platz 8: Facebook und Co.
Ohne Social Media geht es nicht mehr, da sind sich alle Entscheider einig. Aber mit Social Media geht jede Menge Zeit drauf: Elf Prozent der Befragten verbachten ein bis zwei Stunden auf Facebook, Twitter und Co. Und satte drei Viertel der Befragten waren bis zu zwei Stunden aktiv in Sozialen Netzwerken unterwegs. Natürlich ist Netzwerken auf diese Art auch wichtig für die Karriere. Aber der Umgang mit Xing und anderen sollte nicht den aktuellen Job gefährden. - Platz 7: Pendeln
Wer nicht gerade das Glück hat, zuhause arbeiten zu dürfen, der muss jeden Tag ins Büro pendeln. Auch das kostet Zeit: 13 Prozent der Befragten sagten, dass sie jeden Tag viel Zeit mit Pendeln zubrächten. Da kann es hilfreich sein, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Wer schon unterwegs seine Mails sichtet, kann sich im Büro selbst auf Wichtigeres konzentrieren. Oder man kommt einfach mal ohne Stau und entspannter an. Das macht jeden produktiver. - Platz 6: Kollegen
Es gibt Tage, da muss man sich im Büro ganz genau auf die Arbeit konzentrieren und kommt kaum mit der Arbeitszeit aus. Die gesprächige Kollegin hat aber nichts anderes zu tun, als uns fesselnd die kurze Pause zu stehlen. - Platz 5: Meetings
Spätestens, wenn das Meeting bei Tagesordnungspunkt 27 angekommen ist, weiß man, warum Meetings auf Platz 5 der größten Zeitfresser gelandet sind. Sie ziehen sich hin, sind oft überflüssig und bringen meist wenig Problemlösendes mit sich. Fast jeder Fünfte (18 Prozent) hockt über eine Stunde am Tag in einem Meeting, 70 Prozent sogar bis zu zwei Stunden. Da hilft nur: Entweder die Meetings selbst reduzieren oder die Zahl der Teilnehmer. Oft genug sitzen einfach die falschen Menschen im Raum, die mit der Sache nur am Rand zu tun haben. - Platz 4: Vor-sich-Herschieben
Auf Platz 4 landet die Prokrastination, auch das Vor-sich-Herschieben genannt. Fast jeder Vierte (19 Prozent) packt die Dinge nicht sofort an und verbringt jeden Tag ein bis zwei Stunden damit, eben nicht in die Excel-Tabelle zu schauen. Laut Studie gingen zehn Prozent der Befragten Probleme und Herausforderungen sofort an. Dass die Prokrastination nur begrenzt hilfreich ist, wissen alle Beteiligten selbst am Besten. Wie man den inneren Schweinehund besiegt und Zeit spart, verrät die Studie leider nicht. - Platz 3: Fernseh gucken
Platz 3 frisst nun nicht gerade Zeit im Job, zugegeben. Es gibt wohl nur wenige Berufe, in denen es erlaubt ist, fernzusehen. Aber ausgiebiger Fernsehkonsum wirkt sich trotzdem aus. 26 Prozent sagten, dass sie jeden Tag ein bis zwei Stunden vor dem Fernseher verbrachten und immerhin 16 Prozent sogar mehr als zwei Stunden. Das frisst Zeit für andere, persönliche Dinge wie E-Mails schreiben, online shoppen und Netzwerken. Stattdessen fällt das dann in die Arbeitszeit. Wer auf den Plasma häufiger verzichten kann, der ist im Job garantiert auch effizienter. - Platz 2: Surfen
Wie viele Katzenvideos kann man sich an einem Tag anschauen? Hier noch eine Witz-Seite, dort noch mal schnell Nachrichten und Fußball-Ergebnisse checken: Schon surft man an einem einzigen Tag mehr als zwei Stunden im Netz. 80 Prozent gaben an, so viel Zeit mit Surfen zu verbringen, der Rest immerhin noch ein bis zwei Stunden. Wer sich hier disziplinieren kann, der arbeitet schneller und konzentrierter. Aber was ist der Zeitfresser Nummer Eins? - Platz 1: E-Mail-Flut
Im Minutentakt kommen sie hereingeflattert, reißen aus der Konzentration und stören den geregelten Ablauf: E-Mails. Ein Drittel der Befragten bearbeitet jeden Tag ein bis zwei Stunden die Post, und 22 Prozent sogar mehr als zwei Stunden. Dabei sind viele E-Mails unwichtig, bestehen aus langen Konversationen, die unüberlegt kopiert werden oder enthalten kaum Infos. Da hilft nur noch Zero-Email. Oder einfach mal das Postfach schließen.