Telekom-Geschäftsführer Geschäftskunden Hagen Rickmann im Interview
Digitalisierungsinnovationen kommen von Start-ups
Digitalisierung in der Praxis
In der Theorie klingt das einleuchtend - aber haben Sie ein paar Praxisbeispiele parat?
Hagen Rickmann: Ich kenne viele Beispiele aus dem Mittelstand, weil wir selbst Kunden unterschiedlichster Größe und aus den unterschiedlichsten Branchen als Partner bei der Digitalisierung begleiten: Die Bäckereikette Lohner zum Beispiel hat ihre 135 Filialen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hessen auf IP umgestellt. Dank höherer Bandbreite können jetzt die vernetzten Kassen von der Zentrale aus gesteuert und abgerechnet werden - bequem und viel schneller als zuvor. Sogar die Backöfen sind seit kurzem mit der Zentrale vernetzt. Gibt es eine Störung, können Techniker die Öfen aus der Ferne warten.
Oder nehmen Sie Schmitz Cargobull: Der mittelständische Trailer-Hersteller aus Altenberge in Nordrhein-Westfalen hat ein Telematik-System entwickelt, das mit Hilfe von Sensoren Informationen zu Reifendruck, Bremsenverschleiß oder Feuchtigkeit im Laderaum misst. Das System hilft, den Kraftstoffverbrauch zu senken, die Anhänger effizienter zu be- und zu entladen und die Zahl der Leerfahrten zu reduzieren. Und damit gewinnen nicht nur die Kunden mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz. Schmitz Cargobull hat sein seit fast 125 Jahren bewährtes Kerngeschäft damit zeitgemäß weiter entwickelt - vom reinen Hersteller von LKW-Anhängern zum digital basierten Dienstleister. Der Lohn: mehr Umsatz und die Marktführerschaft in Europa.
Auch Carglass ist ein gutes Beispiel. Das Unternehmen hat ganz besonders den Service digital aufgerüstet. In den "Service-Centern der Zukunft" macht ein großes Angebot an Informations- und Unterhaltungselektronik den Kunden die Wartezeit auf das Auto so angenehm wie möglich. Zum Service gehört auch, dass die Monteure die kaputte Scheibe bei den Kunden zu Hause und auf der Arbeit reparieren. Mit Phablets und selbst entwickelter App gehören Papierberichte für die Mitarbeiter dabei der Vergangenheit an. Eine digitale Lösung also, die das mobile Arbeiten optimiert. Aber auch ganz kleine Firmen profitieren von digitalen Lösungen: Etwa die Metzgerei Böbel, die von ihrem Stammsitz in der fränkischen Provinz dank eines Online-Shops ihren Umsatz in kürzester Zeit um 50 Prozent gesteigert hat und ihre Leberwurst inzwischen bis nach Neuseeland und Jamaica vertreibt.
Wie ist Ihr Eindruck: Stehen bei den Digitalisierungsprojekten im Mittelstand eher effizienzsteigernde Effekte im Vordergrund oder neue Produkte und Services für die Kunden dieser Unternehmen?
Hagen Rickmann: Natürlich unterstützt die Digitalisierung Unternehmen auch dabei, effizienter zu arbeiten, also Geld zu sparen - etwa, indem sie einen Teil ihrer Serviceleistungen virtuell anbieten und weniger Techniker vor Ort zur Maschinenwartung einsetzen müssen. Aber so wie Digitalisierungsprojekte nicht ausschließlich IT-getrieben sein sollten, sollte ihr Hauptzweck auch nicht darin bestehen, auf die Schnelle ein paar Pennys zu sparen. Die Digitalisierung sollte Unternehmen in erster Linie dabei helfen, neue, verbesserte Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln oder gar komplett neue Geschäftsfelder aufzubauen.
Denken Sie etwa an das Stichwort "predicitive maintenance" - das vorausschauende Instandhalten etwa von Produktionsanlagen oder Aufzügen mittels intelligenter Datenanalyse. Dass gerade deutsche Unternehmen das Thema Digitalisierung genau in diesem Sinne - also sehr strategisch - bearbeiten, bestätigen Analysten wie Crisp Research immer wieder. Eine gute Voraussetzung, um den zu erwartenden Veränderungen unserer Industrielandschaft mit unternehmerischem Verve und absolutem Fokus auf die Interessen der Kunden zu begegnen.
Teilen und Tauschen
Digitalisierung ist oft auch eine Shared Economy - wie klappt die Zusammenarbeit der Unternehmen in Deutschland?
Hagen Rickmann: Teilen und Tauschen liegen offenbar in der Tat im Trend - das hat jüngst eine Studie von PwC ergeben: Demnach nutzt schon heute zumindest im privaten Bereich jeder zweite Deutsche Angebote der so genannten Share Economy - Tendenz steigend. Zwei Drittel der befragten Deutschen wollen künftig Produkte oder Dienstleistungen teilen oder leihen - ein Auto mit Freunden, die Wohnung an Touristen, das Fahrrad mit Nachbarn. Diese Sharing-Modelle boomen insbesondere in Großstädten. Und lassen sich aus dem Gebiet des Privatkonsums durchaus auch auf die Geschäftswelt übertragen.
Denken Sie nur an das Modell der Cloud: Dahinter steckt nichts anderes als das Mieten von IT-Infrastruktur, die gleichzeitig von vielen anderen Kunden genutzt wird. Da die Server damit insgesamt besser ausgelastet sind, wird es für alle preiswerter. Früher deckten die Server eine Maximallast ab, wurden aber im Normalbetrieb nur zur Hälfte ausgelastet. Das ist Verschwendung von Ressourcen und kostet außerdem sehr viel Geld. Mit Cloud-Angeboten erzielen wir also eine Win-Win-Situation.
Wir sind in Deutschland gerade deshalb stark, weil wir wie kaum ein anderes Land eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur haben. Großunternehmen, eine lebendige Startup-Szene und als Besonderheit eben unseren weltweit erfolgreichen Mittelstand. Darum liegt gerade im Zusammenspiel dieser Kräfte ein Hebel dafür, dass wir uns auch im Zeitalter der Digitalisierung in der Weltwirtschaft behaupten können.