Komplexes IT-Projekt
Inside Airbus: Vor dem Erstflug des A350
Zu den Tragflächen (PLM)
"In zehn Jahren werden sich die Ausgaben für Produkt Lifecycle Management verdreifachen", wettete Clemens Keil, der damalige CIO von Knorr-Bremse, im CIO-Jahrbuch 2012. Wer sich bei der Buchpräsentation am wenigsten von dieser Zahl beeindruckt zeigte, war Guus Dekkers. Drei Gründe führt er an, warum er nicht gegen Keil wetten würde.
Der erste davon ist branchenspezifisch: "Beim Auto kann man die Migrationszyklen zu neuen PLM-Umgebungen relativ einfach mit dem Lifecycle der Fahrzeugmodelle in Einklang bringen - das Nachfolgemodell wird schlicht in einem neuen System abgebildet, während das alte mit dem Vorgängerprodukt ausstirbt." Bei Flugzeugen sei das anders, der Lebenszyklus liege auf jeden Fall bei mehr als 50 Jahren.
Als Beispiel führt Dekkers den A320 an, das meistgebaute Flugzeug von Airbus, das vor 25 Jahren zum ersten Mal in die Luft ging. Mittlerweile kreisen mehr als 9400 Flugzeuge dieser Baureihe am Himmel. Ab 2015 will Airbus den neuen A320neo bauen - für mindestens zehn weitere Jahre. "Und wenn wir den A320 irgendwann nicht mehr herstellen, müssen wir die Produktdokumentation noch mindestens 40 Jahre weiter pflegen", erklärt Dekkers die gesetzlichen Anforderungen. Die PLM-Umgebung des A320 könnte also irgendwann ihren 80. Geburtstag feiern. "Wenn Sie bedenken, dass Softwarefirmen so alle zwei Jahre ein neues Release rausschicken und die alten Versionen dann gerne aufkündigen, kommt da noch einiges auf uns zu."
Grund zwei für die Kostensteigerung erläutert Anders Romare, der in Dekkers Team die IT-Unterstützung der Entwicklungsprozesse verantwortet: "3-D-Daten können Sie nicht ausdrucken und in den Safe legen." Allein für den Entwicklungsprozess des A350 greifen jeden Tag rund 6000 User aus der ganzen Welt aktiv auf die Windchill-Produktkonfigurationsdatenbank von PTC zu. Weitere 3000 nutzen täglich die virtuelle Entwicklungsumgebung Enovia/VPM von Dassault Systèmes. Rund 8000 Digital Mockups errechnen die Ingenieure jeden Tag. Die PLM-Datenmenge bei Airbus verdoppelt sich alle sechs Monate, andere Branchen brauchen für einen solchen Datenzuwachs dreimal so lange.
Grund drei: 70 Prozent aller Teile sind "proudly designed elsewhere", erklärt Dekkers, also "stolz woanders entwickelt". Airbus ist hervorgegangen aus unzähligen Firmen, die erst langsam zusammenwachsen. Der A380 wurde noch in fünf PLM-Umgebungen entwickelt, je eine für die vier "Natcos" plus ein übergreifendes System. Der Militärtransporter A400M kommt immerhin schon mit vier Instanzen eines einzelnen PLMs aus. Und der A350 ist der erste Flieger mit nur einem voll integrierten PLM. Damit lässt sich der Gesamtflieger vollständig und realtime abbilden, worauf Romare und Dekkers äußerst stolz sind.