SMS Group
Mit Gaming und VR zum Digital Twin
Beispiel: Bei der Herstellung von Stahlband müssen die Walzen von Zeit zu Zeit gewechselt werden. Wie fährt ein Kran mit einer Walze durch das Werk, ohne Drehtürme und andere Anlagen bei der Arbeit zu stören? Die Aufgabe kommt der ziemlich nahe, einen Hobbit an Schwerter-schwingenden Orks vorbeizusteuern. Ob der Ork dabei auch in echt funktionieren würde, spielt keine Rolle. Er soll im Spiel nur so im Weg stehen, wie im Werk ein Drehturm im Weg stehen würde. "Eine Game-Engine lädt dabei nur die Daten in den Arbeitsspeicher, die für die Bewegung und Simulation wichtig sind. Die meisten Parameter sind dabei schon hinterlegt", erklärt Steenken, "ein CAD-System würde alles berechnen."
Virtual Reality mit Oculus Rift
Das alles schaut super aus auf einer Virtual-Reality-Brille wie der Oculus Rift. SMS-Mitarbeiter nutzen den Bestseller aus dem Facebook-Imperium beim Testen und bei der Schulung von Kunden, lange bevor sie eine Anlage bauen. Für Projektierung und Abwicklung kommen aber auch andere VR-Brillen wie die HTC Vive Pro oder die HP Reverb G2 zum Einsatz. Auf den realen Anlagen - also dort, wo die Brillen Augmented Reality zeigen - sieht das etwas anders aus. Das Sichtfeld darf zur Sicherheit der Mitarbeiter nicht dauerhaft von einer AR-Brille beeinflusst werden. "Deswegen haben wir einen kleinen Monitor, der am Helm seitlich befestigt ist und weggeklappt werden kann", sagt Steenken. Gemeint ist das Head Mounted Tablet "HMT-1" von RealWear.
Die Simulationstechnik hat SMS gut durch die Krise gebracht. Kaputte Maschinen lassen sich mit Virtual Reality leichter reparieren, wenn der Experte nicht vor Ort sein kann. Amerikaner, Inder und Deutsche stehen jetzt gemeinsam im digitalen Zwilling anstatt in langen Schlangen an der Immigration und vor Corona-Testcentern. Lieblings-Vorzeigekunde ist den SMSlern dabei "Big River Steel". "Das ist eines der profitabelsten, wenn nicht das profitabelste Stahlwerk der Welt", sagt Steenken. Die United States Steel Corporation (an der New York Stock Exchange mit "X" gelistet) hat das Werk deswegen Anfang 2021 für 774 Millionen Dollar gekauft.
Big River Steel stellt sich auf seiner Website zunächst so vor: "Im Kern sind wir ein Technology-Unternehmen. Zufällig machen wir Stahl." Danach dreschen die Stahlkocher aus Arkansas im Promo-Video alle Klischees, die ihre Branche - und der Mittlere Westen - zu bieten haben: Ein kräftiger Mann in schwarzer Jeans, mit schwarzer Lederjacke und Wehrmachtshelm rollt auf das neue Werk zu. Seine Harley wirbelt so viel Staub wie möglich auf, während sie über die Schotterpiste lärmt. Dazu das Motto: "Wir haben Rebellen gesucht. Rebellen, die groß werden wollten."
Drinnen im Werk dann ganz andere Bilder: Männer - fast nur Männer - sitzen auf Bürostühlen vor Bildschirmen oder hinter AR-Brillen. Im Hintergrund laufen saubere Anlagen mit BRS- und SMS-Logo. 300 neue Jobs hat Big River Steel gerade im Mississippi County geschaffen. Auf dem Gruppenbild der Mitarbeiter sind keine Rebellen mehr zu erkennen. Alle sehen eher so aus wie Steenken: Wenn überhaupt, tragen sie blaue Schutzhelme statt schwarzer Wehrmachtshelme. Kurzum: Keine Kollegen, die nur Eisen flach walzen. Denn das fragt bei Big River Steel und somit bei SMS kaum noch jemand nach.
Blech kann jeder
Blech kann jeder. Also suchen Stahlkocher weltweit nach Nischen, in denen sie mit speziellen Produkten ihr Geld verdienen können. "Advanced High Strength Steel" heißt zum Beispiel ein Stahl, den Big River Steel der Autoindustrie anbietet. Wie Gourmetköche preisen die Jungs aus dem Mittleren Westen ihr heiß gewalztes Eisen an: "Hot rolled, pickled and oiled!" Klar, dass solche Küchenchefs nicht einfach Stahl platt klopfen wie andere Schnitzel. Und dass sie die passenden Werkzeuge dafür brauchen.