Karrieretipps einer Headhunterin
Mut zur Lücke und zum Netzwerken
Wie sieht der Arbeitsmarkt für IT-Fach- und Führungskräfte gerade aus?
Ralica Yancheva: Ich erzähle nichts Neues, wenn ich sage, dass derzeit in fast allen Bereichen der Bedarf riesig ist. Worauf Unternehmen jedoch bei IT-Leadern zunehmend mehr achten, ist die Business-Orientierung. Die IT ist mittlerweile einer der größten Treiber, und umso wichtiger ist es, die Mehrwerte, die Kandidatinnen und Kandidaten für das Business durch innovative und clevere IT-Lösungen erreicht haben, klar darzulegen.
Diversity ist gerade in aller Munde. Kaum ein Unternehmen kann es sich leisten, das Thema nicht zu berücksichtigen. Was beobachtest du?
Ralica Yancheva: Das Umdenken findet langsam statt. Dennoch erheben immer mehr Unternehmen Daten bezüglich ihrer aktuellen Diversity-Situation und ergreifen konkrete Maßnahmen. Bezüglich weiblicher Talente ist die Sensibilität deutlich gestiegen. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Derzeit besetzen wir eine Führungsrolle in der IT mit einer jungen Mutter, die weiterhin in Teilzeit tätig sein wird. Daher werden sich nun die internen IT-Meetings nach ihren Arbeitszeiten richten. Das ist ein absolutes Novum für das traditionsreiche Haus!
Teilzeit, Lebenslauf, Gehalt
Sind Unternehmen auch in anderer Hinsicht offener geworden?
Ralica Yancheva: Das ist definitiv der Fall - flexibler sind die Unternehmen mittlerweile bezüglich Remote Working, aber auch in Bezug auf Sprachfähigkeiten, Teilzeitmodelle oder Sabbaticals. Gehaltsmodelle werden ebenso auf den Prüfstand gestellt und der jeweiligen Lebensphase angepasst. Aufgrund des aktuellen War for Talents bemühen sich die Firmen, ihre AttraktivitätAttraktivität zu steigern, und gleichzeitig werden die Anforderungen an Kandidaten dem heutigen Zeitgeist angepasst. Alles zu Recruiting auf CIO.de
Und was zählt im Lebenslauf?
Ralica Yancheva: Nicht mehr nur der geradlinige CV ist gefragt, sondern echte Menschen mit Ecken und Kanten, die sich getraut haben, Neues auszuprobieren und Erfahrungen damit gesammelt haben, haben heutzutage häufig bessere Chancen. Diversity bezieht sich nicht nur auf Frauen, sondern betrifft auch andere Aspekte wie Ethnie, Herkunft, sexuelle Orientierung oder Alter.
- Tipps für Interviewer und Bewerber
Gespräche mit Job-Kandidatinnen und -Kandidaten in einer Videokonferenz zu führen, bürgert sich aufgrund der Corona-Pandemie sowie zunehmend remoter Arbeitsplätze und Home-Office immer mehr ein. Damit das Bewerbungsgespräch kein Flop wird, sollten sowohl Interviewer als auch Bewerber folgende Tipps beachten. - Tipps für Interviewer
Stellen Sie eine stabile Internet-Verbindung sicher. - Tipps für Interviewer
Achten Sie auf ein qualitativ gutes Mikrofon. - Tipps für Interviewer
Sorgen Sie für ein ruhiges Umfeld, informieren Sie gegebenenfalls andere im Raum über das anstehende Gespräch. - Tipps für Interviewer
Wählen Sie einen einen "ruhigen" Hintergrund oder entsprechende Einstellungen in Zoom, Teams oder anderen Programmen. - Tipps für Interviewer
Richten Sie den Blick in die Kamera und achten Sie auf die Körpersprache (aufrechter Sitz, Arme nicht verschränken). - Tipps für Interviewer
Schenken Sie dem Gesprächspartner die volle Aufmerksamkeit (kein Multi-Tasking, wenn es nicht für das Gespräch benötigt wird! Schließen Sie alle Anwendungen auf dem Gerät, wenn sie nicht für das Gespräch gebraucht werden.) - Tipps für Interviewer
Bitte Ausreden lassen! Wenn man selbst nicht spricht, stumm schalten. - Tipps für Interviewer
Eventualitäten berücksichtigen und Vorbereitungen treffen, zum Beispiel bei zunehmender Dämmerung Licht anschalten, bei Sonneneinstrahlung Gardinen zuziehen, bei längeren Gesprächen Getränke bereitstellen. - Tipps für Bewerber
Stellen Sie den Zugang zum virtuellen Gesprächsraum sicher, indem sie die Software vorher einmal mit Freunden testen; installieren Sie MS Teams oder Zoom vorab und richten Sie einen Zugang ein; starten Sie rechtzeitig in das Gespräch.) - Tipps für Bewerber
Geben Sie einen seriösen Nutzernamen an (Vor- und Nachname) und verwenden Sie keine Phantasienamen: - Tipps für Bewerber
Es empfiehlt sich ein Kleidungsstil, den man auch für einen Präsenztermin wählen würde.
Chancen für Best-Ager
Welche Chancen haben denn beispielsweise ältere Kandidatinnen und Kandidaten heute?
Ralica Yancheva: Ich bin fest davon überzeugt, dass Alter nur eine Zahl ist. Dennoch runzeln viele Unternehmen bei älteren Kandidaten nach wie vor die Stirn. In der heutigen allumfassenden IT-Ressourcen Knappheit gehe ich gern neue, kreative Wege und freue mich, wenn es mir gelingt, meine Kunden dafür zu begeistern. Bei einer meiner letzten Besetzungen ist die Wahl tatsächlich auf eine 60jährige Person gefallen, was eine Win-win-win-Situation bedeutete.
Inwiefern?
Ralica Yancheva: Erstens: Das Unternehmen hat eine sehr erfahrene und souveräne Person gewonnen, die sich für die nächsten fünf Jahre committet hat, ein großes internationales und sehr kostspieliges ITProgramm zu steuern und gleichzeitig die eigene Nachfolge aus dem Team aufzubauen. Zweitens: Das junge Nachfolgetalent hat eine Mentorin und eine klare Entwicklungsperspektive bekommen. Drittens: Die Führungskraft wiederum hat eine anspruchsvolle, jedoch zeitlich begrenzte Rolle, die perfekt zu ihrer privaten Lebensplanung passt. Allen wurde damit geholfen.
Du begleitest nicht nur Unternehmen bei der Talentsuche, sondern auch die Kandidatinnen und Kandidaten. Wie sieht die Zusammenarbeit da aus?
Ralica Yancheva: Es gehören immer zwei dazu, damit es am Ende matcht. Für mich ist es genauso wichtig, die Kandidaten gut zu kennen - ihre Werte, ihre Erwartung, ihre Bedürfnisse und ihre beruflichen, aber auch ihre privaten Lebenspläne. Nur dann kann ich sicherstellen, dass Menschen und Unternehmen langfristig zusammenpassen.
Das hört sich nach einer langen Beziehungsarbeit an …
Ralica Yancheva: Ja, genau. Vor wenigen Wochen sind eine Kandidatin und ich nach über fünf Jahren Kontakt endlich erfolgreich zusammengekommen. Sie steigt bald in eine IT-Führungsposition bei einem meiner Kunden ein. Aus diesem Grund ist es immer sinnvoll, frühzeitig miteinander zu sprechen, denn manchmal passen Zeitpunkt, Opportunity und Umfeld erst ein paar Jahre später. Als große Netzwerkerin freue ich mich über weitere Kontakte - am besten über LinkedIn.
- Frage 1
Erzählen Sie mir von einem Vorgang, den Sie für andere dokumentiert haben. - Teamwork
Die Antwort zeigt, wie wichtig dem Bewerber Teamwork ist und ob er sein Wissen anderen zugänglich macht. - Frage 2
Erzählen Sie mir von einem ihrer bisherigen Projekte. - Nicht nur Erfolge feiern
Hier können Bewerber punkten, wenn sie auch auf Herausforderungen, komplexe Aufgaben und Einschränkungen eingehen. - Frage 3
Was könnten Sie mir über Details zur Programmierung von … sagen? - Dahinter könnte sich eine Falle verstecken.
Die soll zeigen, ob ein Kandidat zu einer Wissenslücke steht oder blufft. - Frage 4
Wie würden Sie dieses Thema einem Kollegen erläutern, der kein IT-Experte ist? - Businessnähe zeigen
Hier kann man zeigen, wieviel einem an einem guten Verhältnis von Business und IT liegt. - Frage 5
Sie können ein Projekt entweder rechtzeitig und unvollständig oder vollständig, jedoch nach der Deadline, abschließen. Wofür entscheiden Sie sich? - Nachdenken erlaubt
Eine gute Antwort wäre zum Beispiel, gemeinsam mit Projektleiter und Team nach der besten Lösung zu suchen.
Tiefschläge sind keine Schwäche
Welchen Rat hast du für Menschen, die sich neu orientieren wollen?
Ralica Yancheva: Ich nenne einmal die drei wichtigsten: 1. Netzwerkt immer und auch außerhalb eurer Organisation. 2. Seid euch eurer Werte bewusst und sucht euch ein Umfeld, in dem ihr nach diesen Werten leben könnt. 3. Tiefschläge einzustecken ist keine Schwäche - herausfordernde Situationen haben euch stärker gemacht. Reflektiert diese und geht offen damit um.
Welche Tipps hast du speziell für Frauen - die ja gerade in ITFührungspositionen immer noch rar sind?
Ralica Yancheva: Frauen, die bereits in der IT und hervorragend in ihrem Job sind, machen häufig nicht den nächsten Karriereschritt. Was immer hilft - auch wenn frau derzeit glücklich ist, in Teilzeit arbeitet und nicht an einen Jobwechsel denkt -, ist die Fühler auszustrecken und dank des Headhunters ihres Vertrauens zumindest zu wissen, welche Jobs derzeit am Markt angeboten werden und zu welchen Konditionen.
Was rätst du Menschen mit Migrationshintergrund - etwa in Sachen Deutschkenntnisse?
Ralica Yancheva: Was die Sprachen angeht, so ist Englisch mittlerweile Standard, daher reicht die Bereitschaft, Deutsch zu lernen, meist aus. Kandidaten mit Migrationshintergrund wie ich selbst sind gut beraten, die Vorteile ihrer Internationalität und Flexibilität zum Ausdruck zu bringen, da in der IT fast ausschließlich international gemischte Teams zusammenarbeiten. In der Vergangenheit haben wir erfolgreich hervorragend qualifizierte Führungskräfte zum Beispiel aus Ungarn, Polen und neulich aus Singapur nach Deutschland gebracht. Das war eine Bereicherung für alle Beteiligten. Und ein Akzent - so hat mir mal jemand gesagt - ist ein Symbol für Mut.
Über Ralica Yancheva
Ralica Yancheva ist Partner bei Norecu Executive Search in München. Die gebürtige Bulgarin ist ein zukunftsorientierter Mensch (liebt beispielsweise Science Fiction) und hat ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht: Als Headhunterin besetzt sie seit 15 Jahren IT- und DigitalFührungspositionen. Dabei unterstützt die Personalberaterin zum einen Menschen dabei, das nächste Kapitel in ihrer Karriere zu schreiben, zum anderen hilft sie Unternehmen, mit den richtigen Gestaltern an Bord ihr Geschäftsmodell zukunftssicher zu machen. Vor über neun Jahren hat sich die studierte Soziologin selbstständig gemacht und mit guten Freunden die Norecu Executive Search GmbH gegründet. Heute sind sie ein 20-köpfiges Team an vier Standorten.
Dieser Artikel erschien auch in unserem Sonderheft "Karriere 22/23: Die digitale Welt braucht Diversity!" Das gesamte Heft zum kostenlosen Download gibt es hier.