Healthcare IT


Online-Anbindung ermöglicht chronisch Kranken mehr Mobilität

Selbst ist der Patient – und die Technik hilft

06.11.2006
Moderne Defibrillator-Schrittmacher-Systeme mit integriertem Warnsystem vor einer drohenden Überwässerung sind nur ein Beispiel dafür, wie der Einsatz von moderner Technik Patienten den Umgang mit ihrer Erkrankung erleichtert. Die Geräte erlauben es, Patienten direkt in die Überwachung der Erkrankung einzubinden.

Wenn der herzschwache Patient Herr K. bei einem nervenaufreibenden Fußballspiel einmal einen über den Durst trinkt, dann kann es passieren, dass es bei ihm plötzlich piept. Das ist ganz wörtlich gemeint. Sein implantierbares Defibrillator-Schrittmacher-System, das ihn eigentlich mit Hilfe von gezielten elektrischen Impulsen vor lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen schützt, kann nämlich auch erkennen, wenn sich in seiner Lunge Wasser ansammelt. Zwischen der Sonde und dem unter dem Schlüsselbein implantierten Gehäuse wird die elektrische Impedanz gemessen. Fällt die ab, deutet das darauf hin, dass sich in der Lunge Wasser einlagert. Das Resultat ist ein Piep.

„Dem Patienten wird erklärt, dass er seinen Arzt kontaktieren soll, sobald es piept. Einfacher geht es nicht“, sagt Medtronic-Sprecher Andreas Bohne. Medtronic zum Beispiel bietet derartige Systeme unter dem Namen Concerto an und wird zur MEDICA seine Neuentwicklungen präsentieren.

Es gibt vielfältige Einsatzmöglichkeiten derartiger Techniken in der Medizin. Einer der Hauptvorteile ist dabei, dass die Patienten dazu angehalten werden, sich mit ihrer Krankheit intensiver zu beschäftigen – ihre Mitarbeit wird wichtiger für den Therapieerfolg. Das verbessert auch oft die ComplianceCompliance. Zur MEDICA 2006 liegt die Einbindung der Patienten in die Therapie mit Hilfe von moderner Informations- und Sensortechnik voll im Trend. In Halle 15 präsentieren Aussteller Neuentwicklungen in der IT für den medizinischen Einsatz, in der benachbarten Halle 16 werden im Rahmen des Telemedizinforums MEDICA MEDIA Neuheiten aus diesem Bereich diskutiert. Alles zu Compliance auf CIO.de

Sensor an Pumpe: „Mehr Hormone bitte!“

Nicht nur Herzpatienten, auch insulinabhängige Diabetiker nehmen ihr Schicksal zunehmend mit technischer Hilfe in die Hand. Fertigspritzen und Blutzucker-Messstreifen sind längst nicht mehr die einzige Option. Insulinpumpen beispielsweise sind zwar keine Neuigkeit mehr. Sie werden aber immer komfortabler. So erlaubt das System „Paradigm REAL-Time“ die kontinuierliche Aufzeichnung der Blutzuckerwerte durch einen im Unterhautfettgewebe implantierten Glukosesensor. Das System stammt ebenfalls von Medtronic. Der Glukosesensor muss dabei nicht mehr vom Patienten abgelesen werden, sondern funkt seine Messwerte automatisch an die Insulinpumpe. Die Pumpe reagiert darauf, indem sie nach individuell festgelegten Algorithmen Insulin freisetzt, unter anderem abhängig von der Tageszeit.

Das allein schafft schon Freiräume, weil die Betroffenen nicht mehr ständig den Blutzucker messen und dann die Pumpe einstellen müssen. Für einen zusätzlichen Freiheitsgrad können Diabetiker-Tagebücher im Internet sorgen, die den direkten Kontakt zum betreuenden Arzt per Datenleitung ermöglichen. Einen Internetanschluss vorausgesetzt, können die Patienten damit ihren Diabetesexperten einfach mitnehmen – zum Beispiel in den Urlaub.

Ein Beispiel dafür ist das „Diabetes-Tagebuch“ der DiabLink Medical Services GmbH. Knapp neunhundert Diabetiker nutzen mittlerweile diesen Service, bei dem der betreuende Arzt per Internet Zugriff auf die Blutzuckermesswerte hat. Er kann damit auch dann auf Probleme bei der Blutzuckereinstellung reagieren, wenn der Patient unterwegs ist. „Um ihre Tagebücher mit den nötigen Messwerten zu füttern, nutzen die Diabetiker das Internet oder die SMS-Funktion ihres Handys“, erläutert DiabLink-Geschäftsführer Wolfgang Hentschel.

Auch das Walldorfer Unternehmen Intercomponentware hat für seine Online-Akte „Lifesensor“ einen Diabetes-Assistenten entwickelt. Der Online-Diabetes-Pass des Tübinger Internetakten-Anbieters Careon.de leistet Ähnliches. Bei einigen Blutzucker-Messgeräten ist es mittlerweile möglich, die Messwerte direkt in die Online-Akten zu spielen. Die digitale Verbindung zwischen Glukosesensor und Internet wird durchgängig.

Online-Service entlastet das Wartezimmer

Wie ein Arzt mit den Online-Tagebüchern eines Diabetikers im Alltag arbeitet, erläutert Dr. Richard Daikeler, der in Sinsheim eine Diabetesschwerpunktpraxis leitet. „Die gemeinsame Nutzung des Online-Tagebuchs zusammen mit meinen Patienten ist für meine Praxis eine zusätzliche Serviceleistung“, unterstreicht er. Rund einhundert seiner Diabetespatienten setzen eine Online-Akte ein. Wen er für geeignet hält, den spricht Daikeler direkt auf diese Möglichkeit an.

Alle drei bis sechs Monate schauen sich Arzt und Patient gemeinsam die Messwerte an. Wenn in der Zwischenzeit ein Problem auftritt, kontaktiert der Patient seinen Arzt per Mail. Der loggt sich in das Tagebuch ein und studiert nicht nur die Messwerte, sondern auch die dort abgelegten, für die Blutzuckerkontrolle relevanten Informationen über eine vergangene Grippeinfektion oder, bei einer Frau, über die letzte Regelblutung. Wenn nötig, wird der Therapie-Algorithmus geändert.

Etwa vier Mal in der Woche kommt es in Daikelers Praxis zu solchen Online-Konsultationen. Zusatzarbeit? „Die Patienten wissen es zu schätzen, wenn ihr Arzt immer erreichbar ist“, sagt Daikeler. Aber es ist nicht nur der Service-Gedanke. Gerade in einer gut laufenden Praxis mit vollen Wartezimmern und straffem Zeitplan profitiert das Team auch im Alltag. Denn vier Online-Konsultationen pro Woche sind vier außerplanmäßige Sprechstundenbesuche weniger.

Körpernahe Messtechnik wird perfektioniert

Ebenfalls auf der MEDICA 2006 stellt das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) die Weiterentwicklung seines „senSAVE“-Systems vor. Ziel ist es, die Bestimmung krankheitsrelevanter Kreislaufparameter so komfortabel zu machen, dass der Betroffene kaum mehr etwas davon merkt. So wird der unter anderem bei Herz- oder Lungenkranken relevante Sauerstoffpartialdruck nicht mehr mit einem im Alltag störenden Sensor auf der Fingerkuppe ermittelt, sondern am Handgelenk mit Hilfe eines weit weniger lästigen Armbands. Die Elektroden eines Elektrokardiogramms sind in Textilien integriert. Und der Blutdruck wird gar nicht mehr gemessen, sondern aus der am Handgelenk ermittelten Laufzeit der Pulswelle in Kombination mit dem gemessenen Sauerstoffpartialdruck errechnet. Die Übertragung der Messwerte erfolgt über per Funk über die so genannte Bluetooth-Technik an einen Taschencomputer. Von dort könnten sie zum Beispiel in eine Online-Akte gefunkt werden. Die Möglichkeiten der neuen Technik sind noch nicht ausgereizt.

Reinhold Hölbling, MBmedien GmbH

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