Neue Runde, alte Forderung
Start der Tarifgespräche im Einzelhandel
Berufe im Einzelhandel gehören nicht gerade zu den gut bezahlten Jobs. Um die 2000 Euro im Durchschnitt verdienen Verkäuferinnen und Verkäufer laut der Hans-Böckler-Stiftung bei einer vertraglichen Arbeitszeit von 38 Stunden pro Woche. Dabei eingerechnet sind auch die Beschäftigten, deren Firma sich überhaupt nicht an einen Tarifvertrag hält. Das werden laut Gewerkschaft Verdi immer mehr - ein zentrales Thema in der Tarifrunde für die Beschäftigen im Einzelhandel, die am Mittwoch in Baden-Württemberg und am Donnerstag in Nordrhein-Westfalen beginnt.
Worum geht es in der Tarifrunde?
Eigentlich drehen sich die Verhandlungen nur ums Geld. Im Raum steht eine alte Forderung: 6,5 Prozent mehr Geld, mindestens aber einen Euro mehr pro Stunde sollen die Beschäftigten nach dem Wunsch der Arbeitnehmervertreter in vielen Bundesländern erhalten. Das klingt wenig, entspricht aber in der niedrigsten Lohngruppe einer Steigerung von mehr als neun Prozent. Weil das hochgerechnet auf eine Vollzeitstelle immer noch recht wenig ist, fordert Verdi in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern ein tarifliches Mindesteinkommen von 2100 Euro - gut 400 Euro mehr als bislang.
Verdienen alle Beschäftigten im Einzelhandel so wenig?
Nein. Laut Bernhard Franke, Verdi-Verhandlungsführer in Baden-Württemberg, bewegen sich mehr als zwei Drittel der Beschäftigten in der zweiten Tarifstufe und leben damit - sofern sie Vollzeit arbeiten - von einem Gehalt von bis zu 2579 Euro pro Monat. Doch genau hier liegt die Krux: Laut Verdi arbeiten nur etwa 37 Prozent der bundesweit 3,1 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel in Vollzeit. Eben so viele haben Teilzeitjobs und rund ein Viertel sind geringfügig beschäftigt oder haben nur einen Nebenjob.
Geht es denn der Branche so schlecht?
Bundesweit rechnet der Handelsverband (HDE) in diesem Jahr mit zwei Prozent Umsatzwachstum. Für das Plus verantwortlich sei vor allem der Online-Handel, von dem auch mehr und mehr Ladengeschäfte profitieren, die ihre Waren im Internet anbieten. Mitte April hat sich nach dem Konsumbarometer des HDE auch die Verbraucherstimmung wieder aufgehellt. Die Aussichten sind also nicht unbedingt düster. Die Händler klagen aber dennoch über hohe Kosten für digitale Angebote und steigende Mieten und Stromkosten.
Worum geht es außerdem in den Tarifverhandlungen?
Eine zentrale Forderung der Gewerkschaft in allen Bezirken ist es, Allgemeinverbindlichkeit wiederherzustellen. Übersetzt heißt das, dass die Tarifverträge verpflichtend für alle Arbeitgeber einer Branche gelten. Anfang der 2000er Jahre war die Allgemeinverbindlichkeit im Einzelhandel von Arbeitgeberseite aufgekündigt worden. Seitdem halten sich laut Verdi immer weniger Händler freiwillig an den Tarifvertrag. Die Gewerkschaft schätzt, dass im Handel nur etwa ein Drittel der Beschäftigten und etwa 18 Prozent der Unternehmen noch im Tarifvertrag sind. Beim Handelsverband rechnet man mit höheren Zahlen, denn der Verband lässt auch Mitgliedschaften ohne Tarifbindung zu. Die Firmen orientieren sich lediglich am Tarifvertrag, ohne sich zu verpflichten.
Warum sind immer weniger Firmen im Tarifvertrag?
Nach Einschätzung von Sabine Hagmann, Geschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg, geht es nicht um die Höhe der Entgelte, sondern um den Manteltarifvertrag. Darin festgelegt ist unter anderem die Entgeltstruktur, also was für welchen Job gezahlt wird und welche Jobs es überhaupt gibt. Die Verhandlungen darüber laufen seit Jahren, liegen aber in der Regel während der Verhandlungen um Löhne und Gehälter auf Eis. "Ich könnte mir vorstellen, dass der ein oder andere wieder in den Tarifvertrag einsteigt, wenn die Fragen um die Entgeltstruktur geklärt sind", sagt Hagmann.
Muss man in den Tarifverhandlungen mit Streiks rechnen?
Warnstreiks gibt es immer wieder. Dass allerdings ganze Geschäfte geschlossen bleiben, dürfte kaum vorkommen. Schafft es die Gewerkschaft tatsächlich in einem Betrieb, in dem sie viele Mitglieder hat, mehrere Tage Arbeitsniederlegungen durchzusetzen, könnte das ein oder andere Lieblingsprodukt vorübergehend nicht im Regal stehen. Sonst dürften sich die Auswirkungen in Grenzen halten. (dpa/ad)