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Versicherungskammer

Tobias Müller bricht IT-Silos auf

Jens Dose ist Editor in Chief von CIO. Seine Kernthemen drehen sich rund um CIOs, ihre IT-Strategien und Digitalisierungsprojekte.
Die Konzern Versicherungskammer soll agiler werden. Dazu hat IT-Manager Müller ein dreistufiges Change-Programm gestartet.
"In der Transformation ist es wichtig, zu signalisieren, dass sich etwas verändert und jeder mit anpacken muss", sagt Tobias Müller, kaufmännischer Geschäftsführer der IT-Unternehmen des Konzerns Versicherungskammer.
"In der Transformation ist es wichtig, zu signalisieren, dass sich etwas verändert und jeder mit anpacken muss", sagt Tobias Müller, kaufmännischer Geschäftsführer der IT-Unternehmen des Konzerns Versicherungskammer.
Foto: Konzern Versicherungskammer

"Die Transformation unserer IT ist eine große Aufgabe und umfasst hat alle Bereiche", sagt Tobias Müller, kaufmännischer Geschäftsführer der IT-Unternehmen des Konzerns VersicherungskammerVersicherungskammer. Der Wandel begann bereits 2017. Müller, damals Vertriebsdirektor des Versicherers, lotete mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus, was IT in Zukunft leisten müsse, um das Geschäft des Unternehmens voranzutreiben. Top-500-Firmenprofil für Versicherungskammer Bayern (VKB)

Laut dem IT-Manager haben sich in den letzten Jahren die Erwartungen an digitale Angebote stark verändert. "Damit musste sich auch das Verständnis innerhalb der Versicherungskammer verändern, was die IT eines VersicherungskonzernsVersicherungskonzerns den Kundinnen und Kunden anbieten sollte", so Müller. Nach dem Personalwesen sei IT zu einem der wichtigsten Produktionsfaktoren für Finanzdienstleister geworden. Also müsse sich die IT neu positionieren, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Top-Firmen der Branche Versicherungen

Beta-Organisation als Ziel

"In der Transformation ist es wichtig, zu signalisieren, dass sich etwas verändert und jeder mit anpacken muss", sagt Müller. Um eine kritische Masse für diese Veränderung zu erreichen, braucht es Change-Management.

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Als Zielmodell hat sich das Management des Konzerns für eine Struktur entschieden, die sich größtenteils an einer Beta-Organisation orientiert. Ziel ist, das Unternehmen dezentral aufzustellen. Es soll künftig schneller auf Marktbedürfnisse und Kundenwünsche reagieren können, als es in zentral gemanagten Strukturen möglich ist.

Eine Beta-Organisation fußt auf zwölf sich ergänzenden Prinzipien.

  • Autonome Teams statt Abhängigkeit;

  • Föderalisierte Zellstruktur statt abgeschotteter Silos;

  • Wo sinnvoll, selbstorganisierte FührungFührung statt zentrales Management; Alles zu Führung auf CIO.de

  • Passgenaue Rentabilität statt Wachstum um jeden Preis;

  • Alle nötigen Informationen sind für alle Zellen verfügbar;

  • Ziele orientieren sich an Markt und Wettbewerb statt an Vorgaben von oben;

  • Teilhabe am Unternehmenserfolg statt individuelle Leistungsbewertung und Bonus-Systeme;

  • Vorbereitung, Dialogbereitschaft und Verständnis für systemische Zusammenhänge statt fixe Pläne;

  • Den Takt der Arbeit (Sprints, Perioden etc.) bestimmen Teams anhand der Marktanforderungen selbst;

  • Entscheidungen werden dort getroffen, wo sie benötigt werden und wo die Experten sitzen;

  • Finanzielle Ressourcen liegen dort, wo sie entstehen - in den Zellen und Teams;

  • Der Markt bestimmt die Steuerung, Koordinierung und Wertschöpfungsdynamik.

"Die Belegschaft soll selbst Verantwortung für Themen übernehmen", so Müller. Motivation solle hauptsächlich durch Sinn gegeben werden. Leistung will das Managementteam an Resultaten statt an der Menge der geleisteten Arbeit festmachen.

Damit muss sich auch der Führungsstil ändern. Müller: "Technokratisches Prozessmanagement funktioniert nicht mehr, es geht um persönliche Leadership mit Vorbildfunktion." Die Managementebene müsse zeigen, dass sie es ernst meint und viel erklären. "Kommunikation ist hier der Schlüssel", sagt der Geschäftsführer

Aus diesen Zielsetzungen erarbeitete das Team um Müller ein Programm für die Transformation. Es gliedert sich in drei "Horizonte".

Vom Silo zum Service

Der erste Horizont wurde Anfang Oktober 2019 in die Tat umgesetzt. Er zielt darauf ab, das Denken in IT-Silos, die nur für ihre Geschäftsbereiche arbeiten, in eine Servicebereich-Haltung umzuwandeln. "Wir haben für unsere internen Kunden im Konzern Key-Account-Ansprechpartner eingesetzt, die nachgelagert die Leistungserbringung koordinieren", so Müller. Der Kunde kaufe nur noch fertige Services und müsse sich nicht mehr mit IT-Produkten oder Ähnlichem beschäftigen.

Schwierig dabei war, die Leistungsverrechnungen innerhalb der IT darzustellen, um angefragte IT-Services mit einem korrekten Preis zu versehen. Müller: "Unsere Kunden müssen auf dieser Basis die unternehmerische Entscheidung treffen können: Lohnt sich das oder lohnt es sich nicht?"

Mittlerweile kann die IT ihre Leistungen zu 100 Prozent je Servicebereich quantifizieren und verrechnen. Es ist klar ersichtlich, was IT wo leistet und wieviel das kostet.

"So können wir mit den Kunden im Detail diskutieren, wo IT zu teuer oder zu günstig ist, wo investiert und wo erneuert werden muss", erklärt Müller. Man komme weg von Diskussionen wie "die IT müsste mal…". Stattdessen kann der Manager gemeinsam mit seinen Kollegen alle IT-Kosten je Geschäftsfeld, Service und Produkt transparent einsehen und diskutieren, wo Investitions- und Sparpotenziale liegen.

Entwickler-Pools mit dualer Führung

Im zweiten Horizont hat das Team um Müller innerhalb von sechs Monaten die klassische Aufteilung in Bereiche, Abteilungen und Ressorts aufgelöst. Seit Juli 2020 sind die IT-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in Entwickler-Pools organisiert. "Diese Pools haben eine disziplinarische und eine fachliche Führungskraft", erklärt der Manager.

Line-Manager übernehmen die disziplinarische Führung. Sie befassen sich hauptsächlich mit den Kolleginnen und Kollegen selbst, deren Weiterentwicklung, Bedürfnissen und dem Zielemanagement.

Auf der anderen Seite gibt es Produkt- und Serviceverantwortliche, die fachlich zuständig sind. Sie bekommen laut Müller Kapazitäten aus den einzelnen Entwickler-Pools. Anschließend können die Kosten produktgenau weiterverrechnet werden.

"Die Fokussierung auf fachliche und disziplinarische Führung war im Grunde der Kern der Transformation. Dieser Schritt hat der gesamten Organisation signalisiert, dass wir etwas völlig Neues machen, auf das sich alle einlassen müssen", so Müller.

Viel Zeit nahm sich das Führungsteam, um Widerstände gegen die neue Organisation abzubauen. "Wir mussten viel erklären, darstellen, transparent machen und Perspektiven aufzeigen", berichtet der IT-Geschäftsführer Zudem standen zahlreiche Gespräche mit Mitarbeitervertretern an. Müller: "Das war ein hochgradig mitbestimmungspflichtiger Prozess, weil wir das komplette Führungsmodell geändert und in Rollendefinitionen eingegriffen haben."

Der Aufwand habe sich gelohnt. Laut dem Manager wurde für alle Mitarbeitenden eine für sie passende Funktion gefunden. Den fachlichen und disziplinarischen Führungskräften stand es offen, welchen Weg sie einschlagen wollen. "Das war ein zentrales Versprechen, das wir am Anfang gegeben haben: Wir werden in dem neuen Modell für jede und jeden einen Landeplatz finden."

Hilfreich dabei war, dass die zweigeteilte Führung neue Entwicklungschancen eröffnet. Müller: "Neben dem bisherigen, rein disziplinarischen Karrierepfad hat das Managementteam nun auch einen fachlichen geschaffen, der ähnliche Verantwortungsstufen und Gehaltslevel bietet." So könnten die Kollegen den Weg wählen, der ihren Neigungen am ehesten entspricht.

Des Weiteren wirkt sich die duale Führung laut Müller auch auf die Streitkultur aus. Die Mitarbeiter seien weniger abhängig von ihrer Führungskraft. "Liegt die Führungsaufgabe ganz bei einer Person, kann sie fachliche Diskussionen durch ein disziplinarisches Machtwort beenden. Das ist in unserer neuen Struktur deutlich schwieriger", resümiert er.

Mehr Agilität wagen

Der dritte Horizont dreht sich um neue Arbeitsformen. "Wir kommen aus einer Wasserfall-Welt und diese Arbeitsweise ist auch heute noch valide für eher repetitive Aufgaben ohne große Scope-Veränderungen", sagt Müller. Neue IT-Lösungen dürften jedoch nicht mehr 18 Monate brauchen, bis sie live gehen.

Daher wollte das Managementteam den Beschäftigten zwar nicht vorgeben, wie diese in Zukunft arbeiten. Doch es regt sie an, sich über moderne Arbeitsformen Gedanken zu machen. "Sie sollen sich, unabhängig von der Hierarchie, auf ein Framework-orientiertes Arbeitsumfeld einstellen. Es geht darum, schneller zu werden, die Fachbereiche stärker einzubinden und am Ende das Business-IT-Alignment zu verbessern", so Müller.

Wenn neue Systeme entwickelt werden, arbeitet die Versicherungskammer-IT nun mit agilen Frameworks. Müller: "Wir haben mit SAFe sowie Nexus gearbeitet und in einem geschützten Raum mit überschaubarem Risiko alternative Arbeitsformen erprobt."

Rigide Regeltreue zu den jeweiligen Frameworks ist laut dem Manager jedoch der falsche Weg und drückt sogar die Effektivität. "Wir setzen keines der beiden Frameworks in Reinform ein, arbeiten aber mit Release-Trains und Scrum-Teams."

Die Teams entscheiden selbst, wie sie am besten ans Ziel kommen und passen die Vorlagen an ihre Anforderungen an. Müller: "Wenn die Kolleginnen und Kollegen sich ihren eigenen Weg suchen, hat das meistens Vorteile."

In der cross-funktionalen Zusammenarbeit mit den Fachbereichen setzt der IT-Manager auf klares Feedback. Sein Team hat gemeinsam mit den Business Units Kennzahlen erhoben, die als Indikatoren für den Erfolg der Transformation dienten: "Wir haben Services- und Produktdialoge eingeführt und beobachtet, wie sich die Leistungswahrnehmung der Kunden verändert."

Zeitweise knirschte es auch im Getriebe. "Wir mussten viele Prozesse anpassen. Am Anfang gab es Ineffizienzen und kleinere Dinge sind uns auch mal nicht gelungen", so Müller. Das ließ die IT jedoch nicht unter den Tisch fallen, sondern brachte es mit den Fachbereichen zur Sprache. Wurden SLAs nicht eingehalten, gab es keine Ausreden, sondern die IT erkannte an, dass noch mehr zu tun ist, um das Leistungsversprechen einzuhalten. "Diese Offenheit hat das Verhältnis mit unseren Kunden sehr verbessert", resümiert Müller.

Führung im Team

"Die wichtigste Frage war, wie wir aus dem Topmanagement heraus Glaubwürdigkeit ausstrahlen und selbst Verantwortung übernehmen" sagt der IT-Manager. Daher tritt die IT-Führung der Versicherungskammer ebenfalls als Team auf.

Das Top-Management der IT hat ein Managementteam gebildet. "Wir haben uns eigene Zuständigkeitsbereiche geschaffen mit Aufgaben und Rollen, sind aber kollektiv dafür verantwortlich," so Müller. Das Auftreten als Managementteam der IT habe klar gemacht: Es gibt keine Silos mehr, sondern eine IT, die gemeinsam für alle steht.

Themen für das Führungsteam kommen etwa aus Mitarbeiterbefragungen, beispielsweise die neuen Karrierepfade. Hier erarbeitete das Management mit Kollegen aus den Fachabteilungen neue Modelle. Müller: "Die hatten dann auch nicht den Touch, dass sie 'von oben' kommen, sondern wurden aus der Belegschaft für Kolleginnen und Kollegen entwickelt."

Über Performance sprechen

Um herauszufinden, ob die neue Organisation in die richtige Richtung geht, setzt Müller auf Performance-Dialoge. Das bedeute, sich fachlich und disziplinarisch über Ziele, Erwartungen und Resultate auszutauschen. "Ein Transformationsprozess funktioniert dann nachhaltig, wenn man klar macht, was gewünschte Verhaltensweisen und Ziele sind und woran noch gearbeitet werden muss", urteilt der Manager.

"Bei allen agilen Formen muss man diesen Dialog über die Performance immer wieder führen", sagt Müller "Menschen verändern Organisationen, nicht IT-Tools oder Prozesse. Wir wollen Charaktere, die sich nicht hinter Prozessen verstecken, sondern Verantwortung übernehmen."

Das Management müsse diese Haltung vorleben, so Müller. Es müsse verstehen, dass es für die Mitarbeiter da ist. Es räume Probleme aus dem Weg, damit die Ziele erreicht werden.

Diese Haltung zahlt sich aus. Laut Müller hat das Unternehmen bereits bei Vielem den gesteckten Zielzustand erreicht. "Bei einigen Themen sind wir noch auf dem Weg der Umsetzung. Transformation ist nie ganz abgeschlossen. Es geht immer weiter" sagt er. Daher dürfe auch das Engagement des Managements nicht abnehmen.

Mindestens 50 Prozent ihrer Zeit sollten Führungskräfte laut Müller in die Transformation stecken. Sie müssten erklären, Transparenz schaffen und sich mit Führung und Leadership der Kollegen befassen: "Nur so können wir die schnellen Veränderungen in einem komplexen Umfeld in den Griff bekommen."

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