Am Tiefpunkt
Wer führt Air Berlin aus dem Tal?
Selbst das rote Schokoherz kann Air-Berlin-Passagiere derzeit nicht mehr besänftigen. Sie stehen wartend am leeren Gepäckband am Drehkreuz Berlin-Tegel und tippen ihren Frust in die Handys. "Unfähig", "marode", "chaotisch" - so was verbreiteten Kunden in den vergangenen Wochen in den sozialen Netzwerken. Flugbegleiter sehen die Airline am "absoluten Tiefpunkt".
Wütende Passagiere, wütendes Personal: Deshalb drückt der neue Vorstandschef Thomas Winkelmann beim Unternehmensumbau aufs Tempo. "Da muss noch ein Brikett draufgelegt werden", sagt der Mann aus dem Ruhrgebiet. Doch dafür braucht er die Hilfe eines Partners.
Wie schlecht geht es Air Berlin?
Seit 2008 schreibt die zweitgrößte deutsche Airline Verluste - mit einer Ausnahme 2012, als das Vielfliegerprogramm verkauft wurde. So schlecht wie im vergangenen Jahr war es aber nie: Rund 782 Millionen Euro Verlust, ein Schuldenberg von knapp 1,2 Milliarden Euro, und das neue Jahr begann nicht besser. Man schreite durch ein Tal, heißt es in der Zentrale nahe dem Flughafen Tegel.
Was tut man dagegen?
Air Berlin baut radikal um und schrumpft. Bis zu 1200 Arbeitsplätze gehen verloren. 38 Flugzeuge samt Besatzung sind an die Lufthansa vermietet, die Ferienflieger gehen an die Tochter Niki, die in einem Bündnis mit Tuifly und dem Air-Berlin-Großaktionär Etihad aufgehen soll. Übrig bleiben von 137 Flugzeugen noch im Herbst nun 75 Maschinen für Langstrecken - und auch die sind nur geleast. Das Schokoherz dagegen steht nicht auf der Streichliste.
"Air Berlin sollte eine eierlegende Wollmilchsau der Lüfte sein", sagt Winkelmann im Rückblick. Nun konzentriert sie sich stärker auf Langstrecken und seine Drehkreuze Berlin und Düsseldorf. Doppelstrukturen fallen weg, Mitarbeiter müssen umziehen - oder kehren Air Berlin den Rücken. Ausgerechnet zu Ostern begannen in Tegel große Probleme bei der Abfertigung, nachdem ein neuer Dienstleister angeheuert wurde. Das Kabinenpersonal spricht von "Transformationschaos".
"Frustration und Ängste bestimmen das Tagesgeschäft", heißt es in einem Schreiben an Winkelmann. Der aber will das Umbautempo erhöhen. "Nichts ist in Stein gemeißelt, es gibt keine Tabus", sagt er.
Kann eine so kleine Airline überleben?
Experten bezweifeln das schon lange. Nun kündigt Winkelmann tatsächlich an, Partner und Kooperationen zu suchen. So hatte sich Air Berlin schon einmal gerettet: 2011 brachte Hartmut Mehdorn die arabische Staatsairline Etihad dazu, ihren Anteil auf 29 Prozent zu erhöhen. Etihad stützt Air Berlin und Air Berlin füllt Etihad mit seinen Umsteigern aus Europa die Flieger. Die starke Position Air Berlins im deutschsprachigen Markt abseits der Lufthansa-Drehkreuze München und Frankfurt dürfte weitere Partner locken, so Winkelmanns Kalkül.
Wer könnte Air Berlin helfen?
In Frage kämen nach Einschätzung von Airline-Beratern etwa britische Gesellschaften auf der Suche nach Standbeinen im Nach-Brexit-Europa, Easyjet zum Beispiel. Denkbar seien auch asiatische Carrier, die auf einen Einstieg in den komplizierten europäischen Markt hoffen. Im Gespräch ist immer wieder auch der Lufthansa-Konzern, von dem der frühere Germanwings-Chef Winkelmann zu Air Berlin kam. Etihad und der deutsche Marktführer hatten ihre Kooperation zuletzt ausgebaut. Die Berliner und die Frankfurter betonen, wie gut sich die gemieteten Air-Berlin-Maschinen und Crews bei Lufthansa einfügen.
Könnte Lufthansa zuschlagen?
Der Konzern sagt jedenfalls nicht nein - anders als im Fall der vor der Insolvenz stehenden Etihad-Beteiligung Alitalia. Lufthansa verweist aber auf hohe Hürden: mögliche Probleme mit dem Kartellamt, die hohen Schulden der Berliner und ungünstige Kostenstrukturen bei der Nummer zwei. Andererseits: Sichert sich Lufthansa die Reste von Air Berlin, ließe sich möglicherweise Konkurrenz fernhalten. Lufthansa-Chef Carsten Spohr gehört zum Tross von Bundeskanzlerin Angela Merkel, wenn sie am Montag zu Gesprächen nach Abu Dhabi reist, dem Etihad-Eigentümer. Es ist aber offen, ob Air Berlin dort Thema ist.
Wie lange währt die Geduld von Etihad?
Bisher konnten die Berliner fest auf den großen Partner setzen. Auch am Freitag sicherte Vorstandschef James Hogan Unterstützung zu. Air Berlin habe die richtige Strategie und den richtigen Chef. Doch Hogan muss in der zweiten Jahreshälfte gehen, ein Strategiewechsel am Golf scheint möglich. Hogans aggressive Expansionsstrategie steht auf dem Prüfstand. Ob man angesichts schwindender Einnahmen im Öl-Geschäft bei Air Berlin weiter Millionen verpulvern will, ist ungewiss. Bei allem Lob für Etihad zeigte Winkelmann am Freitag schon ein wenig seine Ellenbogen: "Das Management von Air Berlin ist in Berlin", sagte er. "Etihad trifft keine Entscheidungen bei Air Berlin." (Theresa Münch und Burkhard Fraune, dpa/ ib)