Stille Zeitzeugen
Wie das Smartphone der Telefonzelle den Garaus macht
Über den Stadtplatz von Neumarkt-Sankt Veit fegt am diesem Vormittag ein eiskalter Wind. An die weiße Pracht der vergangenen Tage erinnern in der bayerischen Kleinstadt aber nur noch ein paar Schneereste; sie häufen sich am Straßenrand und vor Einfahrten. Und neben der Telefonzelle. Denn noch gibt es in der 6.100-Einwohner-Gemeinde eine. Die wird aber wohl auch an diesem Tag keiner nutzen. So wie an vielen anderen Tagen auch.
"Nur ein bis zwei Mal in der Woche" sehe er noch jemanden in dem Häuschen, sagt Stephan Liebl. Von seinem Haushaltswarengeschäft hat er einen direkten Blick auf die Zelle. Klar, dass das für die Telekom nicht gerade ein lohnendes Geschäft ist. Sie will das Telefonhäuschen deshalb nach Angaben von Bürgermeister Erwin Baumgartner demnächst abmontieren - so wie Tausende andere in Deutschland auch.
Was für einige das Ende eines Stücks Alltagskultur ist, ist für die Telekom schlicht eine Frage der Wirtschaftlichkeit: Bei immer geringeren Nutzerzahlen sind die Telefonhäuschen für den Bonner Kommunikationsriesen vielerorts ein Zuschussgeschäft. Die Folge: Mit dem Handy-Boom verschwindet die "öffentliche Sprechstelle" aus dem Alltag vieler Menschen. Tausende davon warten derzeit auf einem Lagerplatz im brandenburgischen Michendorf auf ihre Verschrottung.
Ende 2017 war die Zahl der öffentlichen Telefone nach Angaben der Bundesnetzagentur auf 23.000 gefallen. Inzwischen gibt es nach Auskunft der Telekom gerade noch 17.000 öffentliche Telefonstationen in Deutschland. Im Jahr 1992 waren es noch 120.000. Etwa 160.000 sollen es einmal in den 1970er und 1980er Jahren gewesen sein.
Für Telekom-Sprecher Markus Jodl liegt die Zukunft der Telefonzellen in der Hand der Nutzer: "Die Kunden sind die Architekten des Telefonhäuschen-Netzes. Die Kunden entscheiden durch ihr Nutzungsverhalten, ob ein öffentliches Telefon benötigt wird. Wird nicht telefoniert, wird das Telefon abgebaut. Alles andere wäre eine Verschwendung von Ressourcen." Wer eine Telefonzelle sucht, findet sie heutzutage noch auf größeren Bahnhöfen und Flughäfen.
Basistelefone als Ersatz für Telefonzellen
Immerhin informiert die Telekom die betroffenen Gemeinden, wenn das Aus der Telefonhäuschen - oft ein Stück Ortsbild - droht. Etliche Gemeinden nehmen den drohenden Verlust ihrer Telefonzelle keineswegs widerspruchslos hin. In solchen Fällen bietet die Telekom den Gemeinden ersatzweise oft "Basistelefone" an: Einfache Telefonstelen, die mit Kreditkarte oder einer Calling-Card bedient werden. Damit werden sich künftig auch die Bürger von Neumarkt-Sankt Veit zufrieden geben müssen. Immerhin könne man mit den Basistelefonen kostenlos einen Notruf absetzen, tröstet sich Bürgermeister Baumgartner.
Einer, der sich nicht mit dem "Telefonhäuschen-Kahlschlag" der Telekom abfinden will, ist Klaus-Dieter Meyer (79). Seit 19 Jahren kämpft der frühere Vorsitzende des Seniorenbeirats der Region Hannover für den Erhalt des guten alten Telefonhäuschens - speziell in seiner Heimat Laatzen. "Ich bin der Auffassung, dass Telefonzellen weiterhin in angemessener Form vorgehalten werden müssen."
Ältere bevorzugen Telefonzellen
Vor allem ältere Menschen seien auf Telefonzellen angewiesen. Mit Handys seien viele der der jetzt 70- bis 80-Jährigen schlicht überfordert. Er stützt sich dabei auf seine Erfahrung im örtlichen Internetcafé. "Die älteren Menschen kommen mit Handys, die ihnen ihre Kinder geschenkt haben und sagen: "Ich komme damit nicht klar. Ich will es eigentlich gar nicht"", berichtet Meyer.
Die zunehmende Ausdünnung des Telefonzellen-Netzes ist auch für das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) ein "zentrales Thema", wie ihr geschäftsführender Vorsitzender Helmut Kneppe betont. Die Organisation, die sich um ein selbstbestimmtes Leben älterer Menschen einsetzt, wisse, wie wichtig das Telefon für Ältere sei. Zwar sei auch ihm klar, dass man "nicht mehr flächendeckend Telefonzellen wird vorhalten" können. "Der komplette Abbau wäre aber nicht zielführend."
Zu altersgerechten städtischen Lebensräumen gehörten nun mal Anlaufpunkte für Ältere, wo sie in Notfällen um Hilfe bitten könnten. Wo die Telefonzelle künftig aus dem Stadtraum verschwinde, müsse es andere Anlaufpunkt für Senioren geben, wo sie telefonieren könnten. "Das könnten beispielsweise Cafés, Sparkassenfilialen oder Treffpunkte mit öffentlichen Telefonen sein", schlägt er vor.
Alltag in Bundespost-Zeiten
Dass mit dem Aus der guten alten Telefonzelle auch ein Stück Alltagskultur verschwindet, dämmert inzwischen auch jüngeren Leuten. Auf manchen Facebookseiten haben Telefonhäuschen, vor allem die längst verschwundenen alten gelben Zellen aus Bundespost-Zeiten, längst so etwas wie Kultstatus erlangt. "Wie oft habe ich in ihr gestanden und mit meiner Oma telefoniert: "Komm mich holen. Hab in Mathe wieder eine Fünf"", schmachtet ein Facebook-Nutzer unter dem Bild einer Telefonzelle vor seiner früheren Schule.
Solche Verklärungen beobachtet inzwischen auch die Kulturhistorikerin Lioba Nägele vom Museum für Kommunikation in Frankfurt. Vor allem für heute 50- und 60-Jährige steckten die gelben Häuschen voller Erinnerungen - etwa die an die heimlichen Telefonate mit der Angebeteten aus Schülertagen.
Dass das Telefonhäuschen im Bewusstsein vor allem Älterer tief verankert ist, habe auch noch andere Gründe: "Die Telefonhäuschen waren so eine Art Privatsphäre im öffentlichen Raum. Man hatte mitten in der Öffentlichkeit einen abgeschlossenen Raum - mit Schutz vor Wetter und vor fremden Ohren."
Telefonzellen gibt es nach ihren Erkenntnissen in Deutschland seit 1881 - zunächst nur als hölzerne Zellen in Postfilialen, Hotels oder an der Börse. Wettergeschützte Telefonhäuschen tauchten auf Straßen und Plätzen erst in den 1910er und 1920er Jahren auf.
Nägele gibt zu bedenken, dass an den gelben Zellen auch früher nicht alles Gold war: "Gerade in Zeiten, in denen Telefonhäuschen nicht mehr benötigt werden, vergisst man leicht, wie viel über die Telefonzellen früher gemeckert wurde. Oft roch es in den unbelüfteten Zellen ausgesprochen unangenehm. Und im Telefonbuch war immer gerade die Seite herausgerissen, die man dringend brauchte." (dpa/rs)