Work-Life-Balance

Ausweitung der Arbeitszone

04.06.2007
Von Klaus Werle

Längst ist der "gestresste Manager" mit Schlafproblem und Herzrhythmusstörung zum Klischee geronnen. Doch Vielarbeiter wie Meinecke demonstrieren etwas anderes - und werden von der Stressforschung bestätigt: "Anders als etwa Cholesterin wirken Stressoren nicht auf alle gleich", sagt Stressexperte Ludger Ciré vom Vorsorgespezialisten Prevent in Karlsruhe, "den einen nervt ständiges Handyklingeln, für den anderen ist es Lebenselixier." Die Grenze zum Workaholic, süchtig nach Stress, ist aber fließend; jeder muss selbst beobachten, auf welcher Seite der Linie er steht.

Prevent hat 40.000 Check-ups von Führungskräften gemacht. Ergebnis: Manager sind fitter als der Bevölkerungsschnitt. "Natürlich hat der Zwang zu Mobilität und Flexibilität den Druck auf Führungskräfte erhöht", sagt Ciré, "gleichzeitig sind sie gesundheitsbewusster geworden und können besser mit Stress umgehen." Der vom Burgunder rotgesichtige Bankvorstand ist vom Aussterben bedroht.

Ulrich Holdenried (56) hat schon zweieinhalb Stunden auf der Autobahn mit vielen Telefonaten hinter sich, nachher warten Geschäftsleitertreffen, und jetzt muss er noch die Erklärung für die Jahrespressekonferenz checken. Doch der Deutschland-Chef von Hewlett-Packard (HP) wirkt nach 31 Jahren im Geschäft so sehr unter Druck wie Ronaldinho beim Benefizspiel gegen ein paar Straßenjungs. "Den Uli", sagen sie bei HP, "den bringt nix aus der Ruh'." Und "der Uli" sagt in gemütlichem Schwäbisch, dass ihn Krisen eher gelassener machen: "Inzwischen weiß ich: Es kann net ewig regne'."

Das Auf und Ab schreckt Holdenried schon lange nicht mehr. Er hat ein Ritual ("Morgens brauch' ich mein Frühstück und die Zeitung"), aber davon abgesehen "finde ich nichts anstrengender als Monotonie". Nur einen Tag pro Woche weilt Holdenried am HP-Sitz in Böblingen; den Rest der Zeit besucht er Kunden, managt per Mail und Telefon.

Wie in den meisten modernen Firmen herrscht bei HP maximale Flexibilität: Arbeit ist ergebnisorientiert und standortunabhängig; viele Vertriebler haben gar keinen eigenen Schreibtisch mehr, sondern stöpseln den Laptop dort ein, wo sie gerade sind. Die internationalen Teams legen ihre Telefonkonferenzen so, dass mal die Asiaten früh aufstehen müssen und mal die Europäer.

"Ubiquitäre Verfügbarkeit der Informationen" nennt Wilhelm Bauer, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), dies und meint damit, dass das Büro des 21. Jahrhunderts im Internet steht. Es ist die wichtigste Ursache dafür, dass Vielarbeiter mittlerweile keine Rarität mehr sind: "Kommunikationsmittel wie Mail und Blackberry machen hoch Qualifizierte noch produktiver", sagt Bauer, "und mit der räumlichen wächst auch die zeitliche Ausdehnung der Arbeit."

War eine Transatlantik-Geschäftsreise vor hundert Jahren noch ein wochenlanges, gemütliches Unterfangen mit Clubsesseln und Zigarrenrauchschwaden, wird heute im Flieger die nächste Präsentation fertig gemacht.

Arbeit als soziales Zentrum

Aus sequenzieller Arbeit ist so paralleles Multi-Tasking geworden, wir müssen viele Kommunikationskanäle gleichzeitig bedienen. Auch wer eigentlich nicht gestört werden will, reagiert auf das Eingangs-"Ping" der Mails wie ein Neandertaler, der ein Rascheln im Busch hört und nicht weiß, ob sich dort eine hübsche Gefährtin verbirgt oder ein hungriger Säbelzahntiger: Er sieht nach. "Die Erwartungshaltung ist dadurch rasant gewachsen, alles muss schneller gehen", sagt Zeit-Coach Seiwert.

Die härtere Konkurrenz zwischen Firmen und unter den Mitarbeitern tut ein Übriges: Statt nach zwei Wochen muss ein Vertragsentwurf heute nach zwei Tagen raus. Und weil alle in Eile sind, ist im Fahrstuhl der "Türen zu"-Knopf immer am stärksten abgenutzt.

In der Gesellschaft setzt sich ein neues Denken durch: Arbeit ist nicht nur Broterwerb, sondern immer stärker auch soziales Zentrum. "Viel arbeiten ist hip, es hat Erlebnischarakter, ähnlich wie Extremsport", sagt Soziologe Voß. Die neue Leistungselite trennt nicht mehr zwischen Privatleben und Arbeit, weil das wenig Sinn machen würde in einer Zeit, wo Sneakers im Büro und Anzüge auf Partys getragen werden.

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