Remote vs. Präsenz
Das Ringen um die ideale Nach-Corona-Lösung
Die Corona-Krise hat das Verständnis vom Arbeitsplatz komplett verändert und viele Mitarbeiter haben die für den Infektionsschutz erlassene Home-Office-Pflicht zu schätzen gelernt. Mehr Zeit, mehr Flexibilität, mehr Freiheit. Nun wird viel darüber diskutiert, wie der Arbeitsplatz der Zukunft aussieht und ob es die klassische Fünf-Tage-Woche im Büro überhaupt wieder geben wird. Vor der Corona-Krise haben zum Beispiel nur rund vier Prozent der Beschäftigten im Home-Office gearbeitet, im Januar 2021 waren es 24 Prozent, so eine Zahl vom Statistik-Lieferanten Statista.
Die Hälfte der Zeit im Büro
Gerade in der IT- und Tech-Branche stellt sich zu Recht die Frage, ob es den klassischen Arbeitsplatz überhaupt noch braucht. "Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass viele Angestellte auch im Home-OfficeHome-Office äußerst produktiv und erfolgreich arbeiten - ein Learning, das wir nicht aus den Augen verlieren sollten, wenn wir über die Zukunft der Arbeit nachdenken", sagt Cassandra Hoermann, People Experience Lead beim HR-Software-Unternehmen Personio. Der Anbieter von HR-Software gehört mit einer Bewertung von 1,7 Milliarden Euro zu den wertvollsten HR-Tech-Unternehmen Europas. Alles zu Home Office auf CIO.de
Das Unternehmen setzt auf das Arbeitsmodell 'PersonioFlex' und möchte damit das beste aus beiden Welten kombinieren: Die 800 Mitarbeiter an den fünf Standorten in München, Madrid, Dublin, London und Amsterdam waren das digitale Arbeiten schon vor der Corona-Krise gewöhnt. Sie können ab sofort flexibel wählen, wo sie am besten arbeiten - ob im Büro, von Zuhause oder im Ausland. Letztlich bleibt es aber Ziel, dass die Mitarbeiter etwa 50 Prozent ihrer Zeit im Büro verbringen.
20 Prozent Präsenz
Für 20 Prozent Präsenzzeit bei 80-prozentiger Flexibilität spricht sich Refurbed mit Hauptsitz in Wien und über 100 Mitarbeitern in 13 Ländern aus. Die Plattform fungiert als Marktplatz für wiederaufbereitete elektronische Produkte wie Smartphones, Laptops und Tablets, aber auch Haushaltsgeräte oder E-Bikes. "Ein komplettes Remote-Office kommt für uns nicht in Frage", sagt Aurélie Mädje, Head of People and Operations bei Refurbed. "Wir vermissen es, zusammen zu sein und uns gegenseitig zu unterstützen. Eine völlige Remote-Kultur gestaltet sich schwierig und die Bindung der Mitarbeiter ist weitaus komplexer, als wir bisher darauf vorbereitet sind." Zudem gelte es noch, Fragen rund um Recht, Versicherung, Gesundheit, Kultur und Kommunikation zu klären.
Mit der 20-Prozent-Vorgabe kann sich auch das Softwareunternehmen Envision Digital aus München anfreunden. "Auch wenn wir in unserem Kerngeschäft rund um die Elektromobilität der Meinung sind, dass hybrid bei Fahrzeugen nicht die beste Lösung ist, so glauben wir in puncto Arbeitswelt voll und ganz an das Hybrid-Modell", sagt Envision-Geschäftsführer Drazen NikolicDrazen Nikolic Profil von Drazen Nikolic im CIO-Netzwerk
Sein Unternehmen versteht sich als Anbieter von Komplett-Ladelösungen für Elektro-Pkw für Flotten und Privatleute. Die Pandemie habe gezeigt, dass es zwar möglich sei, nur noch von zu Hause zu arbeiten, dass dabei allerdings "der menschlichen Aspekt an seine Grenzen stößt", wie Nicolic betont : "Es fehlt das Gefühl für die Mimik und Gestik des Gegenübers in einem Meeting. Es fehlt der Flurfunk, in dem man manche Dinge nebenbei mitbekommt, einfach weil man am selben Ort ist."
Auch das Münchner Smart-Grid-Unternehmen GridX mit Standorten in München und Aachen setzt auf eine Kombination aus Home-Office und Büro: Zwölf Tage Home-Office sind hier die Leitlinie. "Die Regelung soll maximale Flexibilität für die Mitarbeiter ermöglichen und sich an deren Bedürfnissen orientieren - nicht andersherum. Trotzdem möchten wir ein starkes Miteinander fördern und dafür ist auch Anwesenheit im Büro nötig, um sich persönlich auszutauschen", sagt David Balensiefen, Mitgründer und CEO von GridX.
Komplett remote
Im Gegensatz dazu bevorzugen Firmen wie Shopify und Wayra einen hundertprozentigen digitalen Ansatz. "Wir haben keine Präsenzpflicht und ermöglichen es unseren Mitarbeitern, 100 Prozent remote zu arbeiten", sagt Florian Bogenschütz, CEO von Wayra, dem Open Innovation Hub des Telekommunikationskonzerns Telefónica. Und Linda Hoffmann, Senior Business Development Manager bei Shopify ergänzt: "Seit über einem Jahr sind wir eine komplett digital arbeitende Firma - und das wird auch so bleiben." Die E-Commerce-Plattform für den Multichannel-Vertrieb beschäftigt weltweit mehr als 7.000 MitarbeiterMitarbeiter. Ziel sei es, dass die Beschäftigten überall auf der Welt arbeiten können und ihr Leben so gestalten, wie es für sie am besten ist. Alles zu Personalführung auf CIO.de
Mit dem Shopify Destination-90-Programm gibt das Unternehmen Mitarbeitern die Möglichkeit, für drei Monate aus einem Land ihrer Wahl arbeiten zu können. Die Vorteile liegen für Hoffmann auf der Hand: "Wir haben zum Beispiel gemerkt, dass wir in der Lage sind, Projekte viel schneller umzusetzen." Das liege in erster Linie daran, dass alle Mitarbeiter Zugriff auf die gleichen Informationen haben. Außerdem stellte ihr Unternehmen die Einstellpraxis um: Da beim Remote-First-Ansatz der Wohnort keine Rolle mehr spiele, könne Shopify diverse Teams mit Mitgliedern verschiedener Hintergründe einstellen und fördern. Im vergangenen Jahr habe man so fast 100.000 Bewerbungen erhalten und dieses Jahr planen man, 2.021 technische Stellen zu besetzen.
Mentale Gesundheit im Fokus
Dass die Mitarbeiter von zu Hause aus häufig sogar produktiver arbeiten als im Büro, hat auch das Software-Unternehmen Coyo mit Hauptsitz in Hamburg festgestellt. Der Anbieter für Employee Communications Software beschäftigt rund 180 Mitarbeiter. In diesem Digitalunternehmen bildet die mentale Gesundheit einen wichtigen Aspekt im Remote-Work-Modell. "Wir wollen unseren Mitarbeitern die Möglichkeit geben, sowohl privat als auch beruflich mehr Lebensqualität zu erfahren, ihre Resilienz zu stärken, sowie eine bessere Work-Life-Balance zu erreichen", sagt Stephanie Joslyn, Vice President People & Culture bei Coyo.
Remote Yoga Sessions, die Möglichkeit sich über die Nilo-Health-Plattform Sitzungen mit professionellen Therapeuten zu buchen, die kostenlose Nutzung der Meditationsapp Headspace sowie einen zusätzlichen Urlaubstag als Self-Care-Day gehören zum Angebot. Nach dem Remote-First-Modell testet das Unternehmen seit Juli das Arbeitsmodell "New Normal": Die einzelnen Teams und Abteilungen können selbst entscheiden, wie oft und an welchen Tagen sie gemeinsam ins Büro kommen und wann sie lieber remote arbeiten möchten.
Trotz allem bleibt die Herausforderung bestehen, eine wirklich hybride Kultur im Unternehmen zu schaffen. Heinrich Zetlmayer, CEO von Skaylink, einem Dienstleister für rund um Cloud und Digital Transformation, meint: "Zukünftig wird es eine Arbeits- und Unternehmenskultur geben müssen, die allen gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht, vor allem in Meetings, unabhängig ob physisch präsent oder via Videostream."