Internetabhängigkeit

Die Verlierer der digitalen Revolution

08.06.2015
Von Thorsten Giersch

Auch Facebook und Co können süchtig machen

"Zur Professionalität gehören auch Erholungszeiten", rät der Arzt. Eine scheinbar triviale Aussage - doch ist es nicht in der Regel so, dass gerade die ständige Erreichbarkeit als professionell gilt? Souverän sei in seinem Job nur der, der nicht ständig auf Nachrichten antwortet, sagt te Wildt.

Zudem haben viele erfolgreiche Geschäftsleute das Handeln mit Aktien, Gold und anderen Anlageprodukten über das Internet für sich entdeckt. Hier treten dieselben süchtig machenden Prinzipien auf wie beim Glücksspiel. Wer die Interviews mit Uli Hoeneß genau gelesen hat, kann auch hier zu dem Schluss kommen, dass eine Form der Internetabhängigkeit vorliegt.

Zwar ist die Abhängigkeit von sozialen Netzwerken nicht die häufigste Form der Internetsucht-Varianten, aber Fachleute unterschätzen nicht, dass sich immer mehr Menschen einer Sucht nach Facebook und Co hingeben, um direkte Begegnungen mit Menschen möglichst zu vermeiden. Zum zweiten verschwimmen die Grenzen zwischen Spielen und Netzwerken. Elemente des einen tauchen beim anderen immer häufiger auf: Facebook bindet Nutzer über Spieler länger an seine Plattform und Game-Entwickler bilden Netzwerke, um die Zocker an sich zu binden.

Die Folgen der Internetabhängigkeit zu bekämpfen ist langwierig und kompliziert. Prävention ist wie immer das beste Mittel. Und hier geht es um mehr, als "nur" den Internetkonsum der lieben Kleinen zu überwachen: Ausgangspunkt für die meisten Abhängigen sind negative Erfahrungen in der realen Welt. Rückschläge, Kränkungen, Verletzungen, mit denen sie nicht fertig wurden. Auch weil ihnen niemand im realen Leben geholfen hat. Da ist der Weg ins virtuelle leichter.

1789 schrieb der Pädagoge Joachim Heinrich Campe: "Das unmäßige und zwecklose Lesen macht zuvörderst fremd und gleichgültig gegen alles, was keine Beziehung auf Literatur und Bücherideen hat." Campe meinte offensichtlich nicht das Internet, sondern auf die zu der Zeit enorm erfolgreichen Groschenromane. Die sind als stete Ablenkung immerhin kein nennenswertes Problem mehr. Die Ablenkungen des Internets werden dagegen bleiben. (Handelsblatt)

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