Internetabhängigkeit
Die Verlierer der digitalen Revolution
Auch Facebook und Co können süchtig machen
"Zur Professionalität gehören auch Erholungszeiten", rät der Arzt. Eine scheinbar triviale Aussage - doch ist es nicht in der Regel so, dass gerade die ständige Erreichbarkeit als professionell gilt? Souverän sei in seinem Job nur der, der nicht ständig auf Nachrichten antwortet, sagt te Wildt.
Zudem haben viele erfolgreiche Geschäftsleute das Handeln mit Aktien, Gold und anderen Anlageprodukten über das Internet für sich entdeckt. Hier treten dieselben süchtig machenden Prinzipien auf wie beim Glücksspiel. Wer die Interviews mit Uli Hoeneß genau gelesen hat, kann auch hier zu dem Schluss kommen, dass eine Form der Internetabhängigkeit vorliegt.
- Zukünftige Behandlungsmöglichkeiten
Können Internetabhängige nicht gleich im Internet behandelt werden? Mediziner und Therapeuten meinen, das geht. Viel wichtiger ist es jedoch, zu erkennen, dass alle Inhalte im Internet süchtig machen. An der Uni Bochum planen Psychologen nun eine „Streetworking“-Maßnahme, bei der sie Internetsüchtige direkt vor den Rechnern aufsuchen wollen. - Selbsthilfe von Betroffenen und Angehörigen
In den Kliniken für Mediensüchtige melden sich mindestens genauso viele Süchtige wie Angehörige. Zur Zeit entwickelt sich eine lebendige Selbsthilfebewegung unter den Angehörigen. Selbsthilfegruppen von Betroffenen selbst sind hingegen sehr selten. - Beratung und Betreuung von Familie und Partnern
Unter einer Sucht leiden nicht nur die Betroffenen allein. Auch die Familien und Partner der Computer- und Internetsüchtigen leiden. Für sie bieten viele Kliniken eine systemische Beratung und Betreuung an. So sollen sie lernen, den Betroffenen zu unterstützen und Rückfälle schnell erkennen zu können. Außerdem bieten Familientherapien die Möglichkeit, Probleme offen anzusprechen. - Integriertes Behandlungskonzept
Ein integriertes Behandlungskonzept gegen Mediensucht umfasst eine stationäre, tagesklinische und eine ambulante Psychotherapie. Für eine nachhaltige seelische Gesundung bei Menschen mit Internetabhängigkeit gibt es verschiedenste Therapiekonzepte. Viele Konzepte befinden sich allerdings noch in der Entwicklungs- und Erprobungsphase. - Stationäre Behandlung für Erwachsene
In den ersten Tagen einer stationären Behandlung von Internetsucht kommt es zu einer sogenannten „Digital Detoxification“, einem kalten Entzug. Später soll dann die Reintegration in die Mediennutzung für ein gesundes Verhältnis zu Medien aller Art sorgen. Die Klinik Münchwies im Saarland hat eine eigens für erwachsende Internetsüchtigen entwickelte Therapie entwickelte. - Stationäre Behandlung für Kinder und Jugendliche
Tiefenpsychologische Methoden sind insbesondere bei der Behandlung von Heranwachsenden beliebt. Bei Suchtproblemen von Kindern und Jugendlichen sollten erst einmal die innerfamiliären Probleme gelöst werden. Denn Internetsucht ist immer auch ein Zeichen für zwischenmenschliche Probleme des Einzelnen. Im Krankenhaus Hannover-Bult gibt es zum Beispiel eine stationäre Behandlung von internetsüchtigen Kindern und Jugendlichen. - Ambulante Einzelpsychoterapie
Einzeltermine helfen in der Therapie von Internetabhängigen dabei, dem Erkrankten individuelle Hilfestellungen zu bieten. Dabei sind bei Therapeuten besonders tiefenpsychologische Ansätze beliebt. Durch ihre Ergebnis- und Zieloffenheit helfen sie dem Betroffenen, ohne Druck auszuüben. - Ambulante Gruppenpsychotherapie
Diese Form der Therapie wird anhand eines eigens für Internetabhängige konzipierten Plans durchgeführt: 15 hundertminütige Gruppensitzungen sorgen für eine Konfrontation mit der Krankheit und bieten Auswege aus der Sucht. In dieser Phase kann es zu einer erhöhten Frustration des einzelnen Erkrankten kommen, die durch die Gruppe aufgefangen werden soll. - Fachambulanzen
Oft bedarf es zweier ausführlicher Beratungsgespräche, um eine Internetabhängigkeit diagnostizieren zu können. Dies sollte möglichst in einer Medienambulanz geschehen. Medienfachambulanzen gibt es oft an Universitätskliniken, zum Beispiel in Bochum. - Suchtberatungsstellen
Sie gelten als erste Anlaufstelle und lindern die erste Not: In Ballungszentren gibt es eigens Suchtberatungsstellen für Internetabhängige. Wo es diese nicht gibt, helfen allgemeine Suchtberatungsstellen Internetabhängigen ebenfalls. Offene Sprechstunden sind hier besonders wichtig.
Zwar ist die Abhängigkeit von sozialen Netzwerken nicht die häufigste Form der Internetsucht-Varianten, aber Fachleute unterschätzen nicht, dass sich immer mehr Menschen einer Sucht nach Facebook und Co hingeben, um direkte Begegnungen mit Menschen möglichst zu vermeiden. Zum zweiten verschwimmen die Grenzen zwischen Spielen und Netzwerken. Elemente des einen tauchen beim anderen immer häufiger auf: Facebook bindet Nutzer über Spieler länger an seine Plattform und Game-Entwickler bilden Netzwerke, um die Zocker an sich zu binden.
Die Folgen der Internetabhängigkeit zu bekämpfen ist langwierig und kompliziert. Prävention ist wie immer das beste Mittel. Und hier geht es um mehr, als "nur" den Internetkonsum der lieben Kleinen zu überwachen: Ausgangspunkt für die meisten Abhängigen sind negative Erfahrungen in der realen Welt. Rückschläge, Kränkungen, Verletzungen, mit denen sie nicht fertig wurden. Auch weil ihnen niemand im realen Leben geholfen hat. Da ist der Weg ins virtuelle leichter.
1789 schrieb der Pädagoge Joachim Heinrich Campe: "Das unmäßige und zwecklose Lesen macht zuvörderst fremd und gleichgültig gegen alles, was keine Beziehung auf Literatur und Bücherideen hat." Campe meinte offensichtlich nicht das Internet, sondern auf die zu der Zeit enorm erfolgreichen Groschenromane. Die sind als stete Ablenkung immerhin kein nennenswertes Problem mehr. Die Ablenkungen des Internets werden dagegen bleiben. (Handelsblatt)