Philosophin Barbara Strohschein
"Entwertung macht Menschen krank"
CIO.de: Woran orientieren sich diese Themen?
Barbara Strohschein: Unter anderem an der Tatsache, dass jeder Mensch Sinnerfahrungen braucht, um gern zu leben und zu arbeiten. Das sind nicht nur Ergebnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern zudem Erfahrungswerte. Ich bringe in meinem Buch Fallbeispiele, wie auch gestresste Führungskräfte sich fragen: Warum tue ich das alles?
Chefs sind keine Therapeuten
CIO.de: Gerade Menschen in Führungspositionen beklagen oft, heute würden zu hohe Anforderungen an sie gestellt: man soll einerseits klare Vorgaben machen, also durchaus Autorität zeigen, dann aber soll man wieder Coach und Mentor sein, außerdem Verständnis aufbringen für die Sorgen der Mitarbeiter…
Barbara Strohschein: Man darf nicht die Ebenen verwechseln: Ein Chef ist kein Therapeut! Er muss sich doch nicht die Aufgabe zuschreiben, seine Mitarbeiter zu coachen. Wenn ein Vorgesetzter über Menschenkenntnis verfügt, empathisch ist, auf authentische Weise Autorität ausübt, wird er gut führen können und von seinen Mitarbeitern geschätzt werden. Das kann man durchaus lernen, wenn man bereit ist, die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
CIO.de: Glauben Sie, dass Frauen anders führen?
Barbara Strohschein: Frauen wird vielleicht mehr Kompromissbereitschaft zugetraut. Aber trifft das wirklich durchweg zu? Sicher nicht. Ich finde, wir können uns langsam von den tradierten Männer- und Frauenbildern verabschieden, weil sie den Blick auf die Qualitäten jedes einzelnen Menschen verstellen. Wir können außerdem nicht davon ausgehen, dass in jeder Frau ein mütterlicher Beschützerinstinkt steckt und die Bereitschaft, immer nachzugeben. Warum auch? Frauen haben im System genauso zu funktionieren wie Männer.
- Begeisterungsfähigkeit nutzen
Viele Unternehmen lassen sich bei der Personalauswahl noch zu häufig allein von der Fachexpertise, dem Leistungswillen und der Eloquenz der Kandidaten leiten. Wenn jemand mit Leidenschaft seinem Beruf nachgeht oder gar ein besonders kreativer Querdenker ist, wird ihm das eher negativ ausgelegt. Mehr Mut zu weniger Uniformität und Stromlinienförmigkeit kann sich vor allem in Forschung und Entwicklung, in Marketing und Vertrieb bezahlt machen. - Begeisterungsfähigkeit nutzen ...
Das Management gerade deutscher Unternehmen ist jedoch häufig zu eindimensional auf Effizienz getrimmt. "Beim Optimieren von Prozessen ist das goldrichtig, bei kreativen Prozessen nur bedingt", warnt Jens-Uwe Meyer, Autor des Buches "Das Edison-Prinzip" - Guter Kommunikator sein
Wer Mitarbeiter für die Sache begeistern und damit ihre Motivation erhöhen möchte, muss auch ein guter Kommunikator sein, mit guten Argumenten, aber auch der nötigen Empathie für die menschlichen Belange. Gut kommunizieren zu können, ist auch in der notwendigen Darstellung nach außen enorm wichtig. Dies erst zu lernen, wenn man bereits auf der Zielgeraden für eine Top Position ist, ist eindeutig zu spät. Übrigens gehört dazu auch ein verhandlungssicheres Englisch. - Freien Informationsfluss fördern
Wer Ideenfindung zur Chefsache erklärt, zeigt seinen Mitarbeitern vielleicht, wer in der Hierarchie ganz oben steht. Er läuft aber auch Gefahr, wichtige Details oder Erkenntnisse zu übersehen und damit Fehlentscheidungen zu treffen. Weil Technologiesprünge, Veränderungen von Geschäftsmodellen und Kundenbedürfnisse sich immer schneller drehen, kann ein einzelner - egal wie gut er ist - niemals alle für Geschäftsentscheidungen relevanten Informationen überblicken. - Freien Informationsfluss fördern ...
Wer hingegen in den offenen Ideenaustausch mit seinen Mitarbeitern investiert, braucht zwar mehr Zeit, erntet dafür aber am Ende auch die kreativeren Ideen und durchdachteren Konzepte. Gleichzeitig schafft die direkte Einbindung eine höhere Identifikation mit dem Ergebnis, das Mitarbeiter dann viel motivierter umsetzen, denn es ist ja auch ihr Konzept. - Teamwork statt Hierarchien
Am kreativsten sind Mitarbeiter in Teams mit flachen Hierarchien. Um die Expertise aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen, Fachgebieten und Ländern an einen Tisch zu bringen, hat z.B. der Essener Konzern Evonik sogenannte Forscher-WGs eingerichtet, in denen Experten aus verschiedenen Unternehmensbereichen und Ländern über drei Jahre lang gemeinsam Innovationen ausbrüten. - Teamwork statt Hierarchien ...
Der IT-Dienstleister IBM veranstaltet sogenannte "Innovation Jams", bei denen sich über Hunderttausend IBM-Mitarbeiter, deren Familien, Wissenschaftler und Kunden aus der ganzen Welt drei Tage lang via Computerbildschirm über neue Ideen, Innovationen und die Lösung kniffliger Probleme austauschen. - Rollen vergeben
Führungskräfte umgeben sich häufig am liebsten mit Personen, die ähnliche Stärken aufweisen wie sie selbst. Wer gerne kommuniziert, arbeitet gerne mit kommunikativen Menschen. Wer detailverliebt ist, schätzt Mitarbeiter mit ähnlichen Präferenzen. Wer seine Stärken und Schwächen kennt und sich vornimmt, das volle Potenzial seines Teams zu heben, kann sich als Führungskraft darauf konzentrieren, die verschiedenen Talente so einzusetzen, dass sie sich ergänzen - zum Erfolg aller. - Rollen vergeben ...
Teams sind dann besonders stark, wenn jeder eine eigene Rolle seinen Fähigkeiten entsprechend übernehmen kann. Der Job des Teamleiters ist es, jedem die passende Rolle zuzuteilen.
Der Einfluss der Generation Y
CIO.de: Zurzeit ist in Deutschland viel von Wertewandel die Rede. Insbesondere die jungen Menschen der so genannten Generation Y suchen im Arbeitsleben mehr nach Sinn und Wertschätzung, weniger nach konventioneller Karriere und Status, so die These. Das Y steht ja auch für "Why". Was denken Sie darüber?
Barbara Strohschein: Dieser Trend zeigt an, dass künftig andere Werte gefragt sind, und das sehe ich positiv. Ich beobachte bei jungen Leuten, gerade auch bei digitalen Entscheidern, Interesse für neue Formen des Miteinanderumgehens und auch viele offene Sinnfragen. Generation YGeneration Y kann jedoch die Arbeitsstrukturen nicht nachhaltig verändern. Nach wie vor gelten Leistungserbringung und Profitmaximierung als oberste Ziele. Deshalb wir müssen uns als Gesamtgesellschaft die Sinnfrage stellen. Diese Sinnfragen lassen sich nicht allein durch gleitende Arbeitszeiten, durch scheinbar familiär eingerichtete Büroräume und Wellnessmöglichkeiten am Arbeitsplatz beantworten. Alles zu Generation Y auf CIO.de
CIO.de: Warum ist eigentlich das Thema Kränkung so stark tabuisiert? Was wünschen Sie unserer Gesellschaft für den künftigen Umgang damit?
Barbara Strohschein: Kränkung ist immer a-kommunikativ. Wer offen zugeben würde, gekränkt zu sein, läuft Gefahr, als "schwach" abgewertet zu werden. Kränkungen schluckt man eben einfach herunter und lässt sich nichts anmerken. Doch dabei bleibt es eben nicht: Wer gekränkt wird, kontert im Gegenzug damit, den anderen zu entwerten, um sich dann etwas "mächtiger"zu fühlen. Das setzt eine negative Spirale in Gang. Eine der schlimmsten Effekte von Entwertung ist Mobbing.
CIO.de: Was ja nicht nur psychische Schäden verursacht …
Barbara Strohschein: Wenn ein Unternehmen Mobbing als eine der schlimmsten Formen der Entwertung nicht ernst nimmt, wird es einen hohen Preis - auch ökonomisch - in Kauf nehmen müssen. Entwertung macht Menschen krank. Entwertung verursacht hohe Kosten, Anerkennung kostet nichts. Anerkennung kann man allerdings nicht abfordern. Aber man kann sich nach und nach bewusst machen, wie furchtbar Entwertungen wirken und wie förderlich Akzeptanz und Respekt sind. Also wünsche ich mir vor allem einen Bewusstwerdungsprozess.