Expertenmeinungen

Im Reality-Check: Die E-Mail stirbt aus

Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.

Ausgerechnet die Berater steigen aus

Winfried Holz Deutschland-Chef von Atos und E-Mail-Aussteiger: "Wenn externe Partner noch per E-Mail kommunizieren wollen, werden wir dies auch können."
Winfried Holz Deutschland-Chef von Atos und E-Mail-Aussteiger: "Wenn externe Partner noch per E-Mail kommunizieren wollen, werden wir dies auch können."
Foto: Atos

Winfried Holz, Deutschland-Chef von Atos, hat seine Zero-E-Mail-Schulung schon absolviert, schließlich begann die Umstellung ganz oben im Executive Committee mit seinen über 30 Top-Managern. Der Schritt sei ein gewaltiger "Kulturwandel", sagt Holz, der anfängliche Skepsis einräumt und nun "begeistert" ist angesichts der Möglichkeiten, die ihm die soziale Vernetzung und eine neue Mobility-Strategie bieten können. Und angesichts der Effizienzsteigerung ohne E-Mail, obwohl die bei Atos noch gar nicht gemessen wird.

"Dafür brauchen wir künftig noch KPIs", sagt Holz. Für den Manager ist die Umstellung der internen Kommunikation auch primär keine Frage von eingesparten Cents, sondern des generellen Umdenkens der Mitarbeiter und einer Verhaltensänderung in der Zusammenarbeit. Kann man die E-Mail bis 2021 komplett abschalten? "Das glaube ich schon", sagt Holz, "aber wenn externe Partner dann noch per E-Mail kommunizieren wollen, werden wir dies auch können."

Die E-Mail ist nicht das erste Medium, dessen Nutzen in Zweifel gezogen wurde. Georg Steinhausen, der Pionier der deutschen Briefforschung, konstatierte schon um 1890 in seinem Standardwerk von der "Geschichte des deutschen Briefes" das Ende der Briefkultur. Damals hatten die Postkarte und die Telegrafie ihren Siegeszug angetreten.

Der Sozialphilosoph Theodor W. Adorno bezeichnete den Brief 1962 als "anachronistisch", und eines Tages kam dann auch die Idee des papierlosen Büros auf die Welt. Dagegen wird in der Regel das "Rieplsche Gesetz" angeführt, was eigentlich kein Gesetz, aber immerhin schon 99 Jahre alt ist: "Kommt ein neues Nachrichtenmedium hinzu, sterben die alten MedienMedien nicht aus, sondern sie ändern nur ihre Funktion", erläutert Joachim Höflich, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Erfurt, den Grundsatz. Top-Firmen der Branche Medien

Die heutige Relevanz von Telegrammen ist in der Tat limitiert, doch hat sich der Bedarf an schneller, asynchroner und schriftlicher Kommunikation nicht geändert, im Gegenteil - "E-Mail, Chat und SMS haben das unterstrichen", sagt der Professor. Zudem treffe man sich immer noch persönlich, schreibe gelegentlich Briefe von Hand und telefoniere. Allerdings: "Bei jedem neuen Medium braucht es eine gewisse Zeit, bis man herausgefunden und festgelegt hat, wann man über welchen Kanal kommuniziert." In dieser Lernphase sei auch die elektronische Post, konstatiert Höflich: "Der Glaube, dass man alle Aufgaben in kürzester Zeit über die E-Mail abwickeln kann, wird nun zurechtgestutzt."

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